Fehleinschätzung bei Schlüsselprojekten führte zu Millionenverlusten:

Siemens-DV kränkelt nach Software-Pleiten

13.11.1981

MÜNCHEN - Die ehrgeizigen Ziele der Siemens AG, aus der Münchner Elektronik-Schmiede einen respektablen Computer-Konzern zu machen, gelten vorerst als gescheitert. Nach mehreren "Pleiteprojekten" im Softwarebereich, wie "Simas" und IS", werden Insbesondere in der Datenverarbeitung rote Zahlen geschrieben. Reorganisation, Personalabbau und die Straffung der Produktpalette sollen die Münchner nun wieder in die Gewinnzone führen. Siemens-Kenner geben Indessen den Münchnern für dieses Vorhaben nur geringe Chancen.

Nachdem Spekulationen über einen Personalabbau bisher nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurden, ließen die Siemens-Manager am 17. Oktober erstmals die Katze aus dem Sack. Auf einer Veranstaltung ("Fragen an den Vorstand") für Mitarbeiter des Bereiches Basisinformationssysteme (BI) erklärte das Vorstandsmitglied der Zentralniederlassung (ZN) München, Wolfgang Pilz, daß ein Personalabbau von 25 bis 30 Prozent angestrebt werde.

Zwar wolle man keine. Entlassungen vornehmen aber dennoch eine Reduzierung durch; normale Fluktuation herbeiführen. Mit "dicken Abfindungen und hervorragenden Zeugnissen" werden deshalb momentan vor allem jüngere BI-Mitarbeiter zum "weichen" Abgang animiert, wollen Siemens-Angehörige wissen.

Das ursprünglich von Siemens geplante Fresko "Basisinformationssysteme" gleicht heute eher einem Flickerlteppich. Branchenkenner, die bereits bei der BI-Taufe im Oktober 1976 einen Flop prophezeiten, sehen sich heute voll bestätigt. Da seinerzeit die Entwicklung eines eigenen MDT-Computers mangels Software-Masse scheiterte, griffen die BI-Manager kurzerhand auf den im Erlanger Siemens-Werk produzierten Prozeßrechner "330" zurück und motzten ihn, mehr schlecht als recht, zu einer Kommerz-Maschine auf. Erst nachdem ein speziell entwickelter Compiler und das Betriebssystem fertig waren, merkten die BI-Manager, daß der brave Erlanger für buchhalterische Aufgaben zu langsam war. Trotzdem kam die vergewaltigte 330 als Serie 6.000 auf den Markt.

Bereits Anfang 1977 wurden zuhauf Vertriebsleute eingestellt, die jedoch eineinhalb Jahre Däumchen drehen mußten, weil sich die Entwicklung der Anwendungssysteme erheblich verzögerte. Die Probleme eskalierten, als zwar der erste Rechner und das Betriebssystem greifbar waren, die Anwendungssoftware aber noch ausstand.

"Die Vbs mußten in dieser Situation dem Kunden quasi alles versprechen, ohne zu wissen, was da überhaupt kommt", erinnert sich ein leitender Siemens-Angestellter.

Als die ersten Rechner schließlich ausgeliefert wurden, habe der Vertrieb vor einem neuen Debakel gestanden. Standard-Software fehlte, so daß die Anwender die Programme selber stricken mußten. Einige Kunden hätten zur Selbsthilfe gegriffen und zusammen mit der Münchener Softlab. GmbH ein eigenes Betriebssystem auf die Beine gestellt. Intern sei daraufhin bei Siemens ein Gerangel um das eigene Betriebssystem Amboss 3 und die Softlab-Entwicklung entstanden.

Als dann endlich die ersten Anwendungspakete verfügbar waren, wird kolportiert, seien diese ungetestet an die Kunden weitergegeben worden. Lästert ein Siemens-Software-Entwickler: "Hard- und Software standen sich verständnislos gegenüber."

Die Schwierigkeiten für die BI-Leute begannen jedoch schon vorher, nämlich bei der Festlegung des internen Berechnungssatzes für die Erlanger Prozeßmaschinen, erklärte ein Ex-Siemens-Berater. Der Bereich Energietechnik (E) habe viel zu hohe Preise gefordert. Angesichts von Hardware-Macken und Software-Problemen hätten die Bl-Verkäufer jedoch häufig Nachlässe bis zu dreißig Prozent gewähren müssen. Das habe den BI-Bereich schnell in die roten Zahlen geritten.

Die Simas-Pleite

Als größte BI-Pleite erwies sich dann das Software-Projekt Simas. Angelehnt an die MAS-Strategie der IBM sollte ein Anwendersoftware-Komplex geschaffen werden, der nahezu alle betriebswirtschaftlichen Bereiche eines Unternehmens abdecken konnte. Die Programme sollten modular aufgebaut und, bezogen auf den spezifischen Anwendungsfall, maschinell zusammengefügt werden können.

Für dieses ehrgeizige Vorhaben stellte Siemens kurzfristig 120 Spezialisten auf die Beine davon rund 80 Berater aus verschiedenen Software-Häusern. Es entstand ein Kompetenz-Hickhack, den ein Ex-Siemens-Mitarbeiter so beschreibt: "Es brodelte an allen Ecken. Niemand wußte, was bei den einzelnen Beteiligten überhaupt läuft."

Da anfangs "sehr unvorsichtige Entwicklungstermine" genannt worden seien, hätten die Siemens-Bosse geglaubt, die Projektdauer durch Erhöhung der Manpower verkürzen zu können. Dabei hätten sich die Verantwortlichen verkalkuliert: Niemand sei in der Lage gewesen, die "Freien" zu koordinieren. In der Projektarbeit habe es Relationen gegeben, so ein Ex-Berater, daß "auf einen Siemens-Mann neun Externe kamen". Der Software-Profi: "Wer am lautesten schrie, hatte das Sagen."

Zu dem allgemeinen Tohuwabohu sei hinzugekommen, daß die am Simas beteiligten Software-Häuser untereinander heftig konkurrierten. Schließlich setzten sich mehrere Mitarbeiter von ihren Brötchengebern ab und stiegen als Subunternehmer in das Simas-Projekt ein, indem sie ihre Ex-Firma ausboteten.

An der Bürokratie gescheitert

Trouble gab es aber auch unter den Siemens-Internen. So sei innerhalb der Simas-Entwicklung viermal die Projektleitung und einmal sogar das gesamte Management ausgetauscht worden, erklärt ein Software-Manager In der Anfangsphase hätten die

Siemens-Bosse Projektleiter ernannt die in der Hierarchie so niedrig aufgehängt waren, daß sie nicht einmal Papierbestellungen selbständig vornehmen konnten. Ehemalige Berater des Elektrokonzerns sind überzeugt, daß das Scheitern von Siemens primär auf die Verfilzung des Münchner Konzerns zurückzuführen sei.

Als die Siemens-Bosse Ende 1979 erstmals feststellten, daß das Simas-Projekt zu teuer wurde, drehten sie den Geldhahn zu und reduzierten die Zahl der Mitarbeiter drastisch. Ende 1980 arbeiteten nur noch etwa 30 bis 40 Leute an Simas. Anfang 1981 wurde dann die "Unvollendete" (Siemens-Häme) endgültig ad acta gelegt. Siemens-Kennern zufolge hatten die Münchener bis zu diesem Zeitpunkt an die 100 Millionen Mark in den Simas-Sand gesetzt.

Eine Reihe von Kunden, denen mit dem Überprogramm Versprechungen gemacht wurden, mußten mit individuellen Lösungen bedient oder in bar entschädigt werden. Beim Münchener Sporthaus Schuster sollte beispielsweise ein Warenwirtschftssystem mit integriertem Rechnungswesen implementiert werden. Zwei Jahre lang bereitete sich die Schuster-DV auf das neue System vor. Nach dem Simas-Debakel mußte man sich - zwar von Siemens finanziell abgefunden - in bezug auf die Anwendung völlig neu orientieren.

Auch beim Münchner Textilhaus Beck mußte der Elektrokonzern tief in die Tasche greifen. Hier war gar schon ein Siemens-System 6.640 installiert, auf dem bereits Stammdateien eingerichtet waren. DV-Chef Friedrich Hutter hatte aber nicht nur mit Simas-Schwierigkeiten zu kämpfen - auch die Hardware lief nicht wie geplant: "Bereits bei den ersten Testläufen verstärkte sich der Eindruck, das System funktioniert nicht." Nach Hutters Meinung habe Siemens in seinem Unternehmen die Problematik des Handels gänzlich unterschätzt.

Parallel zu Simas lief mit ..IS" (Integrierte Software) im Geschäftsbereich Datentechnik (D) ein weiteres Projekt, das für die Serie 7.500 bestimmt war. Obwohl eine Gleichartigkeit zwischen beiden Projekten gegeben war, gelang es den Siemens-Managern nicht, sie zusammenzuführen. Vielmehr habe zwischen BI und D ein "absolut unbegründeter Konkurrenzkampf" stattgefunden, erinnert sich der lange Zeit bei Siemens tätige Sachverständige Heinz Bernd Ohmen. Die Abteilungen seien unfähig gewesen, Informationen von unten nach oben gehen zu lassen. Nachrichten schwirrten so lange durch die bürokratischen Kanäle, bis nichts mehr von ihnen übrig-blieb.

Als ein Berater-Team schließlich nachwies, daß es möglich sei, Simas und IS zusammenzuführen, wurde Ohmen zufolge das Ergebnis unter den Tisch gekehrt und gelangte niemals zu dem für die Bereiche verantwortlichen Dr. Anton Peisl. Fazit: Auch IS wurde eingestampft und hinterließ - nach Insider-Schätzung - eine Investitionsruine von rund 50 Millionen Mark.

"Mit beiden Projekten hat Siemens das Unvermögen bewiesen, große Projekte erfolgreich zu steuern", konstatiert ein Ex-Simas-Projektleiter. Dies bestehe vor allem in der absoluten Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten. Weniger dem Siemens-Vertrieb, als vielmehr dem Management geben denn auch Siemens-Kenner die Schuld für die Fehlschläge der Vergangenheit. Da die Münchner mit ihren Produkten bisher immer zu spät in den Markt gekommen seien, läge der Hund wohl eher im starren und behördenmäßigen Vorgehen begraben.

Wie es nun mit der Siemens-DV weitergehen soll, wisse niemand so richtig, beklagt sich ein leitender Siemens-Mitarbeiter aus dem DV-Bereich. Seine Kollegen in den unteren Reihen seien derzeit völlig verunsichert und durch die Fehlentscheidungen ihrer Chefs demotiviert.

Noch immer fehle in der gesamten DV-Produktpalette eine einheitliche Hard- und Software-Strategie. Unklar sei auch, was mit den BI-Produkten geschehen soll. Nach der Eingliederung des BI-Bereiches in E (Energietechnik) und K (Kommunikationstechnik) stehe noch immer nicht fest, wer nun eigentlich welche Produkte vertreiben solle. Hier werde jetzt eine Untersuchung der Boston Consulting Klarheit schaffen.

Sicher scheint indes, daß die Rechnerfamilie 6.000 bei E untergebracht wird und die Textverarbeitung sowie die Laserdrucker K zugeordnet werden.

Die "Einschränkung gewisser Aktivitäten" sowie eine Bereinigung der Produktpalette wird von offizieller Siemens-Stelle zugegeben. Daß ein Prozeß eingeleitet wurde, der mit einem "erheblich reduzierten Personalbestand" enden soll, wird freilich heftig dementiert. Bestritten wird auch ein Gewinnrückgang, der sich mit vierzig Prozent im laufenden Geschäftsjahr in dreistelligen Millionenzahlen bewegen soll.

Fehler bei Fujitsu-Vertrag

Sorgen mache dem Peisl-Nachfolger Dr. Claus Kessler vor allem das stark defizitäre; Großrechnergeschäft, wollen Eingeweihte wissen. Auch hier ziehen die Münchener seit langem eine Kette von Verlusten hinter sich her. Die Aussicht, bald wieder schwarze Zahlen zu schreiben, bezeichnen Branchenkenner als äußerst schlecht. Die Verluste im Fujitsu-Handel seien inzwischen auf vierzig Millionen aufgelaufen. Siemens habe hier den Fehler gemacht, die Verträge mit den Japanern in amerikanischer Währung abzuschließen, was sich jetzt durch den Kursanstieg des Dollars ertragsmindernd niederschlage. Hinzu käme, daß die Münchener nach dem Kooperationsvertrag der Japaner mit der ICL nicht mehr über die alleinigen Rechte, für den Europa-Vertrieb verfügen. Ab 1983, ist durchgesickert werde der englische Computer-Konzern mit den Fujitsu-Maschinen auch in deutschen Markt gehen.