CIO Fröschl schafft das Center of E-Excellence ab

Siemens: Der lange Weg zur E-Company

15.03.2002
MÜNCHEN (wh) - Mit Milliardeninvestitionen und einer Zentralstelle für das Electronic Business wollte Siemens-Chef Heinrich von Pierer den Konzern in eine "E-driven Company" verwandeln. Nun baut CIO Friedrich Fröschl den IT-Bereich radikal um. Das Center of E-Excellence unter Albert Goller findet darin keinen Platz mehr.

"E-Business macht Siemens zu einem anderen Unternehmen. Wir stellen unser gesamtes Geschäft auf eine neue Grundlage." Mit dieser Ankündigung machte von Pierer im November 2000 Schlagzeilen. Kritiker spotteten über den "Flugzeugträger Siemens im Wendemanöver", doch der Franke meinte es ernst und präsentierte auch gleich seine Geheimwaffe: Das Center of E-Excellence unter Leitung von Albert Goller habe bereits den "Masterplan" für den Wandel zum Internet-Unternehmen entworfen. Aufgabe der Stabsstelle sei es, konzernweite Richtlinien für den IT-Einsatz zu formulieren und sämtliche Aktivitäten rund um das Electronic Business zu koordinieren.

E-Business-Zentrum geht auf in neuer AbteilungKnapp eineinhalb Jahre später ist davon nicht mehr die Rede: "Das Center of E-Excellence gibt es in seiner früheren Form nicht mehr", vertraute Fröschl, seit November 2001 amtierender CIO, der COMPUTERWOCHE an. Die bisherigen Zentralstellen "Information und Knowledge Management" (IK) unter Chittur Ramakrishnan und Gollers Abteilung gehen auf in der neu gegründeten Einheit "Corporate Information and Operations" (CIO). Goller werde "in absehbarer Zeit" eine neue Aufgabe erhalten, Ramakrishnan innerhalb von CIO die kaufmännische Führung übernehmen. In den Büros der einstigen E-Business-Zentrale am Münchner Flughafen zieht Siemens alle CIO-Mitarbeiter zusammen.

Was Fröschl ankündigt, ist nichts weniger als ein grundlegender Umbau der IT-Organisation. "Die Abteilung CIO kann künftig Einfluss nehmen auf die IT-Budgets der Bereiche", erläuterte der ehemalige Chef der IT-Dienstleistungssparte Siemens Business Services (SBS). Jedem Unternehmensbereich soll ein CIO zugeordnet sein, der sowohl an seinen Bereichsleiter als auch an den Konzern-CIO berichtet. Fröschl erhofft sich davon einen Durchgriff auf IT-Entscheidungen der Bereiche, die in der Vergangenheit allen zentralen Vorgaben zum Trotz weitgehend selbständig handelten.

Doch damit nicht genug: Neben den Bereichsverantwortlichen installiert Siemens in jeder der Hauptregionen - Amerika, Asien/ Australien sowie Europa, Mittlerer Osten und Afrika (Emea) - einen weiteren CIO. Er soll für den laufenden Betrieb vor Ort verantwortlich zeichnen. Welche Macht der Konzern-CIO in der neuen Struktur tatsächlich besitzt, muss sich erst noch erweisen. Auf der Ebene des Zentralvorstands verantwortet jedenfalls Claus Weyrich das Thema Corporate Technology.

Dass das Zusammenspiel der diversen CIOs "nicht trivial" ist, räumt Fröschl ein. Ihm gehe es darum, Versäumnisse der Vergangenheit zu beheben: "Wir haben die Prozess-Standardisierung vernachlässigt", konstatiert er, und kritisiert damit indirekt auch seinen Kollegen Goller. Das Center of E-Excellence habe seit dem Bestehen in großem Umfang Applikationen getestet und Empfehlungen ausgesprochen, die Abteilung IK die Infrastruktur aufgebaut (Netze, Server, Desktops etc.). Dabei sei dem Prozess-Management nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt worden. "Wir können nicht den zweiten und dritten Schritt vor dem ersten tun." Mit der neuen Organisation sei gewährleistet, dass zuerst Prozesse definiert werden, die dann in den ausgewählten Applikationen abzubilden sind. Die Einrichtung der darunter liegenden Infrastruktur bilde die letzte Etappe. Erfolgsentscheidend dabei sei ein ständiger Informationsaustausch zwischen diesen drei Ebenen, der in der Vergangenheit nicht genügend stattgefunden habe.

Zuständigkeiten waren nicht klar abgegrenztDer Stratege Fröschl spielt damit auch auf die offenbar unzureichende Zusammenarbeit zwischen Goller und Ramakrishnan an. Für Experten wie Andreas Zilch von der IT-Beratung Techconsult kommt diese Problematik nicht überraschend. Zwischen den Abteilungen IK und Center of E-Excellence gebe es Überschneidungen, Zuständigkeiten seien oft nicht klar abgegrenzt.

Warum Siemens erst jetzt die Prozessgestaltung ernsthaft vorantreibt, bleibt offen. In der IT-Branche steht das Thema seit Jahren ganz oben auf der Prioritätenliste. Als von Pierer den Weg zur E-Company beschrieb, sparte er diesen Aspekt nicht aus: Für die Umstellung der internen und externen Geschäftsprozesse solle die SBS-Sparte verantwortlich zeichnen, hieß es seinerzeit. Deren Chef hieß Friedrich Fröschl.

Sparziele bleiben bestehenTrotz dieser Versäumnisse zieht der CIO eine positive Zwischenbilanz. Goller und Ramakrishnan hätten ihre Grundsatzaufgaben sehr gut erledigt. So sei etwa der Anteil des elektronischen Einkaufs im vergangenen Jahr konzernweit von zehn auf 17 Prozent gestiegen. Von Pierer hatte einen Wert von 25 Prozent vorgegeben, bei Consumer-Produkten von 50 Prozent. Zudem stellte er Einsparungen in Höhe von ein bis zwei Prozent des Jahresumsatzes in Aussicht, die durch die E-Business-Initiative zu erreichen seien. In der Summe ließen sich die bisher erzielten Kostenvorteile nicht beziffern, sagt Fröschl, wohl aber in einzelnen Bereichen. Die Zielmarke von Pierers bleibe bestehen: "Dazu stehe ich."

Weniger optimistisch beurteilt Helmuth Gümbel von der Unternehmensberatung Strategy Partners die Initiative. "Bei Siemens wird in bestimmten Abständen immer wieder versucht, etwas total zu vereinheitlichen, obwohl eigentlich jeder weiß, dass es nicht geht." Die Konzernstrategen, hingen "verschiedenen Träumen nach", so etwa, dass man die Supply-Chain-Prozesse vereinheitlichen könne. Mit dem Vorhaben, einheitliche Logistik-Kenngrößen einzuführen, sei Siemens zwar ein Stück vorangekommen; eine flächendeckende Umsetzung aber sei nicht erkennbar.

Ein Kernproblem bei der Etablierung von Standards ist die föderative Struktur des Konzerns. Die Siemens AG besteht erst seit 1966, davor trugen mehrere eigenständige Firmen mit unterschiedlichen Kulturen den Namen, beispielsweise Siemens-Schuckertwerke oder Siemens & Halske. Diese Eigenständigkeit besteht bis heute fort, erklärt Gümbel, der selbst zehn Jahre für das Unternehmen arbeitete. Trotzdem gab es immer wieder zentrale Richtlinien, zum Teil bis zum Exzess. In einem Organisationshandbuch etwa beschrieben die Siemensianer detailliert, wie die Büros der einzelnen Rangstufen auszusehen haben. Gümbel: "Diese beiden Extreme, Föderalismus einerseits und zentraler Dirigismus bis in die Details andererseits, haben immer miteinander gekämpft - und tun es noch heute."

Auch in der IT-Landschaft des Konzerns wird dieser Konflikt deutlich. So wollten die Zentralisten etwa für den Bereich Human Resources (HR) einheitlich Software von Peoplesoft eingesetzt wissen. Nachdem dieses Vorhaben misslungen war, wechselte man zu SAP, wiederum ohne durchschlagenden Erfolg.

Ähnliches ereignet sich in dem für Siemens besonders wichtigen Bereich Supply-Chain-Management (SCM). Entgegen den Empfehlungen des Centers of E-Excellence, i2 zu verwenden, installierte die Mobilfunksparte ICM vergangenes Jahr ein Pilotsystem des konkurrierenden Produkts SAP "APO". Erst nach Interventionen der Zentrale und einer Evaluierung innerhalb von ICM entschieden sich die Bereichsfürsten für i2.

Fröschl will solche Konflikte in Zukunft ausschließen. Wo sich Produkte zweier Hersteller überschneiden, werde seine Abteilung präzise definieren, welche Funktionen von welchem Zulieferer abgedeckt werden. Im Fall von i2 und SAP sei dies noch nicht geschehen.

IT-Konsolidierung hat oberste PrioritätAnsonsten steht auf der To-do-Liste des Siemens-CIO immer wieder Konsolidierung. Zu seinen wichtigsten Projekten zählt er die Vereinheitlichung der SAP-Systeme. Die kolportierte Zahl von rund 350 SAP-Releases im Konzern sei zwar "definitiv falsch." Nach seiner Kenntnis handele es sich um zirka 200 Versionen. Mit der geplanten Konsolidierung ließe sich pro Jahr ein dreistelliger Millionenbetrag in Euro sparen.

Auch den E-Commerce-Auftritt will Fröschl vereinheitlichen. Unter dem Schlagwort "E-Customer Interface" strebe er ein weltweit gleiches Look and Feel an, mit identischen Sicherheitsstandards etwa für Single-Log-on-Mechanismen. Daneben steht ein zentrales Lieferanten-Management auf der Agenda.

All dies wird kaum ohne Personalabbau vonstatten gehen. Wie viele der weltweit zirka 8000 bis 9000 IT-Mitarbeiter davon betroffen sein werden, lässt sich kaum vorhersagen. Dann muss sich zeigen, ob dem Flugzeugträger das Wendemanöver gelingt.