Mehr Projekterfolge durch eine gesunde Kritik-Kultur

Sieben Tipps gegen die Optimismus-Falle

18.04.2016
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Seit 2008 fokussiert sich der ehemalige IT-Unternehmer und Bitkom-Hauptvorstand darauf, Führungskräfte und Mitarbeiter der IT-Branche als Coach und Trainer zu unterstützen. Er ist Autor des Fachbuchs "Führungspraxis für Ingenieure und IT-Experten"
Optimismus ist Programm, besonders beim Start von Projekten und neuen Initiativen. Doch so manches Mal rennt man im Projektverlauf in die Fallen der Vergangenheit. Ein gesunder Umgang mit Kritik bewahrt Führungskräfte, Projektleiter und Projektmitarbeiter davor, in die Optimismus-Falle zu laufen.

"Wir brauchen keine Bedenkenträger, wir brauchen Macher." oder "Jetzt achten Sie endlich einmal auf die Chancen anstatt mir zu erzählen, was nicht funktionieren wird. Das können wir uns in der jetzigen Situation nicht leisten. Wir müssen jetzt erfolgreich sein, also reißen Sie sich zusammen und vergessen Sie Ihre Schwarzmalerei.", sagt die ambitionierte Führungskraft.
Kennen Sie das? Vielleicht sogar von sich selbst?

Erzwungener Optimismus ist kontraproduktiv
Erzwungener Optimismus ist kontraproduktiv
Foto: g-stockstudio - shutterstock.com

Optimismus ist Programm, sobald es um den Start neuer Projekte oder die Entwicklung einer Strategie zur Steigerung von Umsatz, Ertrag, Effektivität oder irgendeiner KPI geht.
Der Mitarbeiter, der seine Bedenken anmeldet, wird von den Kollegen und vor allem der zukunftsorientierten, umsetzungsbereiten, innovationsfreudigen Führungskraft mit Blicken getötet, sobald er seine Stimme erhebt.

Ergebnisse ohne Taten

Sie haben es doch sicherlich auch schon mehr als einmal erlebt, dass man einen Workshop mit ganz klaren Ergebnissen beendet hat. Einen tollen Plan und ein absolutes Commitment gab es auch. Sogar Unterschriften aller Teilnehmer auf einem Flipchart. Aber komischerweise ist dann trotz aller Überzeugung und gemeinsamem Optimismus nichts daraus geworden.

Erfolgsbeispiel: Fehlschlag voraussehen

Einer meiner Coaching-Klienten bekam vom Vorstandsmitglied, das für die weltweite Expansion verantwortlichen ist, die Aufgabe, in seinem Land die Expansionsgeschwindigkeit zu verdoppeln. 100% mehr binnen 12 Monaten - Das klingt nach einer Herausforderung. Vor allem dann, wenn man weiß, dass der ursprüngliche Expansionsplan bereits eine 30%-ige Steigerung der bisherigen Bestmarke verlangte.

Nun gut, mein Klient ist nicht umsonst einer der aufstrebenden Top-Manager des Unternehmens, und er nahm die Herausforderung an. Doch er wusste, dass es nicht damit getan ist, einfach nur "Das schaffen wir, Tschakka!" zu rufen, um das Ziel zu erreichen.

Schritt 1: Die übliche Planung

Gemeinsam mit seinem Team identifizierte er alle Tätigkeiten, die notwendig waren, um diese Geschwindigkeit an den Tag legen zu können. Das Team war skeptisch und optimistisch zugleich - schließlich hat der Vorstand seine Erwartungen geäußert und diese möchte man nicht enttäuschen. Vor allem dann nicht, wenn man aus Asien stammt. Dort sitzt nämlich mein Kunde und sein Team besteht vollständig aus Asiaten, denen es bekanntermaßen ohnehin schwer fällt, offen Kritik zu äußern.

Doch mein Coachee war aufgrund eines Leadership Programms für diese Optimismus-Falle sensibilisiert. Er kannte einen Weg, um das Team aus der Falle herauszubringen.

Schritt 2: Optimismus-Falle erkennen

Nachdem alle Maßnahmen und Strategien definiert waren, stellte er seinem Team folgende Frage:
"Angenommen, ein Jahr ist vergangen. Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir das geforderte Ergebnis liefern sollen und wir haben es nicht geschafft. Wir sind kolossal gescheitert und der Vorstand ist mindestens so enttäuscht wie wir selbst.", leitete er ein.
Dann stellte er seinem Team die entscheidende Frage: "Welche Ausreden würden wir verwenden, um zu erklären, warum es nicht geklappt hat?"

Sein Team blickte ihn überrascht, skeptisch und leicht verwirrt an. Nach ein paar Sekunden des Nachdenkens fiel bei ihnen der Groschen und sie machten sich mit Begeisterung daran, alle Ausreden aufzuschreiben, die ihnen in den Sinn kamen.

Viele Ausreden hatten damit zu tun, dass man ganz einfach anderen die Schuld in die Schuhe schob. Kennen wir das nicht alle, dass die Projekte vor allem deswegen schief gehen, weil "die anderen" nicht getan haben, was sie hätten tun sollen? Selten liegt die Schuld bei uns. Zumindest wollen wir das uns selbst und anderen gerne weismachen.

Das Team hatte seinen Spaß bei der Suche nach Ausreden. Ohne dabei zu merken, dass sie dabei waren, all die Punkte zu sammeln, die gegen die Umsetzung des überaus ambitionierten Plans sprachen. Hätte man sie direkt danach gefragt, welche Kritikpunkte und Risiken im Plan stecken, hätten sie diese nie in der Form adressiert.

Schritt 3: Konkrete Maßnahmen

Nachdem die Liste mit Ausreden recht imposant aussah, gab mein Coaching-Klient ihnen die nächste Aufgabe: "Nun wissen wir, welche Ausreden wir bei einem Misserfolg verwenden würden. Jetzt bitte ich Euch darum, entsprechende Pläne und Strategien zu entwickeln, damit diese Ausreden nicht mehr möglich sind."
Am nächsten Tag hatte er Lösungsansätze für alle potenziellen Ausreden. Viele hatten mit Kommunikation, unklaren Aufgaben sowie falschen oder nicht ausgesprochenen Erwartungshaltungen zu tun.

Ob die Umsetzung des sehr ambitionierten Projektes zu einem Erfolg werden wird? Das kann man noch nicht absehen. Doch dieser Leader hat in jedem Fall schon jetzt viele potenzielle Probleme identifizieren und mit Lösungen versehen lassen, die die Projektumsetzung ansonsten massiv gefährdet hätten. Es werden im Laufe des Projekts neue und andere Herausforderungen dazukommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sein Team mit diesen jedoch besser umgehen können. Schließlich haben sie alle bereits gemeinsam Probleme identifiziert, offen angesprochen und gelöst - anstatt im "wir schaffen alles"-Taumel keinen Mut zu haben, ihre Bedenken zu äußern.