Der typische Lernzyklus bei McDonald

Sieben Mythen über Unix durch die Erfahrung evaluiert

21.06.1991

Unix hat sich durchgesetzt keine Frage. Doch die jahrelange Schlammschlacht um Unix macht es heute fast unmöglich sachlich über dieses Betriebssystem zu reden. Durch eine gezielte Entmythisierung versucht John Ozsvath* den ideologischen Schleider zu lichten.

Unix, so heißt es, ist das goldene System in dem Code nie ausstirbt und Computer täglich billiger werden. Außerdem drohte Unix als Dämon der Komplexität. In jedem Mythos steckt ein Stückchen Wahrheit. Aber die allgemein gültigen Ansichten über Unix und seinen Status als offenes System sind falsch. Diese Fehler aber müssen klargestellt werden, damit Chefs von Informatikabteilungen, sich aufgrund der wirklichen Vor- und Nachteile des Betriebssystems ein Bild machen können. Denn Unix verdient mehr als die Halbwahrheiten, derentwegen es von einigen DV-Abteilungen gemieden wird.

1. Mythos

Die Hersteller setzen die Standards. Also sollte man mit Investitionen abwarten, bis sich herausstellt, ob Unix International oder die Open Software Foundation das Tauziehen gewinnt, ein "Standard-Unix-Betriebssystem" zu liefern.

In Wirklichkeit machen die Hersteller Produkte, keine Normen. Die Benutzer setzen Defacto-Standards, indem sie mit ihrem Budget für ein bestimmtes Produkt stimmen. Es macht keinen großen Sinn, mit dem Kauf eines Betriebssystems zu warten, bis ein Hersteller sich als überragend erweist. Vielmehr könnte ein Wechsel zu offenen Systemen die DV-Abteilung von der Abhängigkeit eines Herstellers befreien - wie es zum Beispiel McDonald´s erfuhr, als die DV-Abteilung auf Unix wechselte.

Wenn Benutzer - insbesondere die Industrie oder staatliche Verwaltungen - formale Standards akzeptieren, wird auf die Hersteller Druck ausgeübt, diese Standards anstelle proprietärer Varianten zu übernehmen. Die US-Regierung setzte Hersteller einem solchen Druck aus, als sie für bestimmte große Aufträge Posix-Verträglichkeit vorschrieb. Eine Möglichkeit, die DV-Investitionen zu schützen, ist, einem Normen-Komitee oder einer Benutzergruppe beizutreten.

2. Mythos

Unix ist so schwierig, daß es nur Nasa-Wissenschaftler verwenden können.

In Wirklichkeit hängt der Wahrheitsgrad dieses Mythos von dem ab, der ihn erzählt. Ein Programmieranfänger könnte mit Recht sagen, daß Unix schwer erlernbar ist. Wenn man einige der jüngst hinzugekommenen Programmschichten entfernen würde, die die Endbenutzer vor der Komplexität von Unix abschirmen, könnte es schon etwas furchteinflößend wirken. Die Tatsache, daß Wissenschaftler die ersten Unix-Benutzer waren, sagt mehr über die Lizenzpolitik von AT&T aus als über den notwendigen IQ des Benutzers.

Vom Standpunkt eines kommerziellen Benutzers aus gibt es wahrscheinlich keine große DV-Abteilung, die sich davor fürchtet, Unix zu lernen. Es braucht Arbeit und Zeit - wie bei jedem anderen Betriebssystem auch. Bei McDonald´s wurde ein typischer Lernzyklus für Unix durchlebt. Nach einem Anfall von Selbstlernwillen mußte das Trainingsprogramm eines Herstellers beansprucht werden. Nach etwa einem Jahr waren die Mitglieder des Projektteams kompetente Benutzer.

Für einen Endbenutzer entspricht die Verwendung von Unix mit Hilfe einer grafischen Benutzerschnittstelle und anderer Tools dem Gebrauch von DOS unter Microsoft Windows. McDonald´s sagte seinen Endbenutzern gar nicht, daß sie mit Unix arbeiten, und sie haben sich auch nie beschwert.

3. Mythos

Jede Unix-Anwendung ist vollständig portierbar.

In Wirklichkeit heißt es vielmehr: Unix ist "schleppbar", nicht portierbar. Unix-Applikationen sind nur dann portierbar, wenn sie Industriestandards entsprechen, die allen Plattformen gemeinsam sind wie beispielsweise Posix. Es ist wichtig, die Anforderungen an die Portierbarkeit gründlich zu verstehen und die Verwendung verlockender Supersets strikt zu vermeiden, die den Benutzer an die Unix-Version eines bestimmten Herstellers binden.

Früher gab es Unterschiede bei den Tools. Die angeblich Portierbaren gebärdeten sich auf jeder Plattform etwas anders. Demnach mußte auch die Applikations-Schnittstelle für jede Plattform zurechtgezupft werden. System-Tools für das Datenbank-Management, die oft stark auf Leistung getrimmt sind, hatten spezielle Portabilitätsprobleme unter den verschiedenen Unix-Implementationen.

4. Mythos

Unix-Programmierer spinnen, sind selten und teuer.

In Wirklichkeit wissen wir alle, daß es Spinner immer und überall gibt. Doch sind Unix-Programmierer selten? Wenn Sie in den USA in der Nähe einer großen Stadt oder einer Universität wohnen ist es wesentlich leichter, Unix-fähige DV-Spezialisten zu finden. Woanders ist es schwieriger. Doch das gilt für alle Informatiker, nicht nur für Unix-Profis.

In abgelegenen Gebieten kosten Unix/C-Spezialisten mehr als Cobol-Fachleute.

Einsparungen durch die Entwicklung von Applikationen unter Unix auf Supermikrocomputern machen diese Lohnmehrkosten jedoch mehr als wett. Eine solche Applikationsentwicklung kostet in den meisten Fällen wesentlich weniger als die Entwicklung auf einem Mainframe.

Mit den Entwicklungs-Tools der vierten Generation, die unter Unix erhältlich sind, können Applikationen zudem schneller entwickelt werden. McDonald´s erzielte mit 4GL-Programmierung gute Resultate. Das Niveau der Produktivitätsverbesserungen, die damit erreicht werden, hängt davon ab, wie kompatibel die Applikation zu der gewählten Sprache der vierten Generation ist.

Man kann sich deshalb erlauben, für das Personal mehr auszugeben, weil sich mit Unix-Plattformen und offenen Systemen die Hardwarekosten unter Kontrolle halten lassen. Darüber hinaus ermutigt die Programmentwicklung für offene Systeme die Angestellten, in Begriffen wie modulares Design und wiederverwendbare Routinen - ein Trick, den Mainframe-Entwickler von PC-Programmierern wieder neu lernen - zu denken.

Wenn der Programmierer seine Zeit nicht mit dem Schreiben von redundantem Code verbringt, spart man die Überarbeitungskosten.

5. Mythos

Mit einem offenen System hat man keinen Einfluß auf die Hersteller.

In Wirklichkeit entspricht nichts weniger der Wahrheit als das. Der Entwurf einer offenen Systemumgebung verlagert Macht und Einfluß auf die Anwender. Denn man hat damit eine Reihe von gleichwertigen Alternativen.

Wegen dieser Auswahlmöglichkeit muß sich der Hersteller durch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis hervortun.

Darüber hinaus müssen die Hersteller speziell demonstrieren, daß sie aufmerksam die Bedürfnisse des Kunden verfolgen, daß sie immer nachziehen und daß sie schnell liefern. So entsteht ein völlig neues Kunden-Hersteller-Verhältnis.

6. Mythos

Mit offenen Systemen kann man alles überall anschließen.

In Wirklichkeit geht das noch nicht. Allgemeine Verbindbarkeit könnte für die Zukunft einmal das Ziel sein - aber ohne Standards für offene Systeme wird sich diese Wunschvorstellung niemals erfüllen. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten auf dem Markt.

7. Mythos

Unix ist nicht sicher.

In Wirklichkeit liegt in diesem Mythos am meisten Wahrheit. Die zögernde Hinwendung zu Standards auf dem Gebiet der Sicherheit ist ein größeres Hindernis für kommerzielle Benutzer. Vielleicht sogar ein Oxymoron: Man kann nicht gleichzeitig offene Systeme und Sicherheit haben.

In den Fällen, wo Anforderungen an die Sicherheit überdimensionale Ausmaße annehmen, wird sie manchmal wirklich zum Problem. Der Mangel an Zusammenarbeit zwischen Sicherheitssystemen ist eines der größten Hindernisse für verteilte Applikationen in einer Multivendor-Umgebung. Bei jedem Wechsel von einer Applikation auf einer Plattform zu einer anderen auf einem anderen Rechner das System ab- und wieder anzuschalten oder das Paßwort zu wechseln frustriert den Benutzer.

Allerdings ist Unix im Anbieten von transparenten Sicherheitsmaßnahmen für Benutzer, die sowohl auf lokale wie auch auf entfernte Applikationen zugreifen müssen, weiter entwickelt als manches proprietäre Betriebssystem. Auch was die Multivendor-Lösungen angeht, ist es eindeutig im Vorsprung.

So verwendet die Schichtenmethode von Unix die Maschinen- und Zugriffscodes auf dem File-Niveau. Spezifische Applikationen können zusätzliche Sicherheitsimplementationen beifügen. Dieser Aufbau ermöglicht größere Flexibilität bei der Implementation von Datensicherheit. Proprietäre Betriebssystem-Sicherheit andererseits variiert von Rechner zu Rechner, mit speziellen Benutzern, die den File-Zugriff kontrollieren.

In den sieben Mythen, die hier dargestellt wurden, wurzeln viele Mißverständnisse über Unix. In den nächsten fünf Jahren allerdings dürften sie verschwinden, da sich die Systementwicklung vom Mainframe in verteilte Rechnerumgebungen verlagert. Wenn man Applikationen und Datenbanken verteilt, ist es von Vorteil, sie alle unter einem einzigen Betriebssystem laufen zu lassen.

Unix erhöht diesen Vorteil, indem es auf dem Desktop-Rechner genauso läuft wie auf einem Computer, der 100 Benutzer unterstützt.

Im Büro findet der Übergang zu Unix bereits heute statt. 1986, so stellte die Marktforschungsfirma Dataquest fest, gaben Firmen, Regierungen und Ausbildungsstätten weltweit je knapp eine Milliarde Dollar für Unix-Applikationssoftware aus. Berechnungen ergaben, daß bis 1992 Firmen allein rund sieben Milliarden Dollar in Unix investieren werden, Regierungen über fünf Milliarden und Ausbildungsstätten rund drei Milliarden Dollar. Und das ist kein Mythos.

* John Ozsvath ist Leiter der Abteilung Systementwicklung bei McDonald´s und für die Amtsperiode 1990-1991 der Präsident von Uniforum.

Die Freunde von Unix

UNIX-Benutzer, die Geschwindigkeit und Richtung der Standardisierung beeinflussen wollen, haben eine Reihe von Möglichkeiten, dies zu tun. Beispielsweise die Benutzergruppe Uniforum, das X/Open-Konsortium, Unix International und die Opel Software Foundation bieten die Chance der Einflußnahme.

Das Uniforum Technical Committee etwa schlägt dem Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) Spezifikationen in einer Reihe von neuen Unix- und Posix-Gebieten vor. Es besteht aus mehreren technischen Untergruppen.

- Internationalisation: Dieses Gremium koordiniert die Arbeit im Hinblick auf die verschiedenen sprachlichen und kulturellen Anforderungen, die in verschiedenen Ländern an portable Betriebssysteme gestellt werden.

- Sicherheit: Diese Gruppe arbeitet meist als Ausbildungseinheit; sie hat Standards für das amerikanische Verteidigungsministerium und kommerzielle Umgebungen vorgeschlagen, die in der Bildung der Posix.6-Working-Group gipfelten.

- Leistungsmessung: Beratende Gruppe für Benchmarks, die auch den Normengremien In. formationen liefert.

- Realtime: Das Gremium arbeitet gemeinsam mit der Posix.4-Working-Group, um Echtzeit-Erweiterungen des Posix-Standards zu erforschen und bewerten.

- C+ +: Hier diskutiert man objektorientierte Programmierthemen, die mit der C + + -Sprache zusammenhängen.

Ansprechpartner für Fragen der Standardisierung finden Interessenten bei:

GUUG German Unix User Group

Herr Treitz, SAP AG, Max-Planck-Straße 8, 6909 Walldorf, Telefon 06227/340

OSF Open Software Foundation

Alain Fastré, Director European Operations, Excelsiorlaan 32, B-1930 Zaventem, Belgien, Telefon 003 22/729 78 51

88-Open Consortium Ltd.

Kevin M. Pereau, International Business Manager, 10 Homeland Court Suite 800 San Jose, CA 95 112, Telefon (408) 436 66 00

X/Open Company Ltd.

John Totman, Director, European Programs, Apex Plaza, Forbury, Road, Reading RG1 1AX, Berkshire, England, Telefon 00 441(0)734 50 83 11

AT&T Unix Systems Laboratories Europe Ltd.

Robert Mitze, Managing Director International House, Ealing Broadway, London W5 5DB, England, Telefon 00 44-81/567 77 11

IDC Europ. Centers for Open Systems

Thomas Tiefenbrunner, Director European Services for Open Systems Manager, Wächterbachstr. 23A, 6242 Trostberg, Telefon 061 73170 98 40

Unix International

Scott Hansen, Managing Director, Avenue De Beaulieu 25, B-1160 Brüssel, Belgien, Telefon 003 22/672 37 00