"Sichere DV-Systeme sind doch nur eine Illusion"

07.10.1994

Wer sich heute ueber ein "supersicheres Computersystem" freut, hat entweder ein kindliches Gemuet oder ist uebler dran, als er glaubt: Kein noch so perfekter Rechner koenne verhindern, dass nicht doch ein cleverer Tastenfreak den Weg dorthinein findet, toent es aus Hacker-Kreisen. Seit 1986 steht jedoch das unerlaubte Eindringen in fremde Systeme unter Strafe. Mit Steffen Wernery, der durch seine Aktivitaeten im Hamburger Chaos Computer Club bekannt wurde, sprach CW-Redakteurin Monika Schalwat.

Waren das noch Zeiten, als Hacken Spass gemacht hat und frei von jeglicher Strafverfolgung war." Der Mann, der das sagt, muss es wissen: Steffen Wernery, heute 32 Jahre alt und "seit frueher Kindheit an ein begeisterter Technikfan", gehoert seit 1984 zur Fuehrungsriege des beruehmt-beruechtigten Hamburger Chaos Computer Clubs.

Die damals rund 150 Mitglieder des Vereins kannten sich Anfang der 80er Jahre in den Rechnernetzen von Banken, Sparkassen und Institutionen besser aus als die eigentlichen Anwender. Allerdings brachte ihnen das nicht nur "spannende Aktion" und internationale Schlagzeilen, sondern auch Aerger mit den staatlichen Ordnungshuetern. Spaetestens, als sie merkten, dass sie den Code der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehoerde Nasa geknackt hatten und "wir bei denen spazierengehen konnten", wurde Wernery und seinen Mannen die Sache zu heiss: Nach anfaenglicher Euphorie meldeten die PC-Freaks ihren Erfolg dem deutschen Verfassungsschutz.

Der wiederum informierte den amerikanischen Geheimdienst CIA von dem Bruch. Dann ging die ganze Aktion an die Presse, so dass viele Anwender auf die Unzulaenglichkeiten von Computersystemen aufmerksam wurden.

Unter anderem brachte auch das oesterreichische Fernsehen einen einstuendigen Bericht ueber die hackenden Hamburger und schickte Wernerys Rat ueber die Fernsehschirme, sich bei dieser Taetigkeit nur nicht erwischen zu lassen. Dabei hatten die turbulenten Aktivitaeten der Chaos-Gemeinde einmal bedeutend ruhiger angefangen. Gegruendet 1981 in Westberlin, wollte man dem Staat mit eigener Technik eine Gegenoeffentlichkeit mit Buergernetzen und Beratungsstellen entgegensetzen. Ueber anfaengliche Versuche kamen die damaligen Organisatoren wohl nicht hinaus. Nach einigem Hin und Her etablierte sich der Club in Hamburg.

Der Autodidakt Wernery - laut eigener Aussage kann er kaum eine Zeile programmieren und hat in jungen Jahren eine berufliche Ausbildung abgebrochen - kaufte sich 1982 seinen ersten Rechner nebst Modem. Zu den Chaos-Leuten kam er ueber den Passwoerteraustausch mit niederlaendischen Fans. Dort gingen die Eintrittskarten fuer die heimlichen Systembesuche en masse von Hand zu Hand.

Das Hacken interessierte den Medien-Fan Wernery jedoch nur am Rande: "Wir wollten den DV-Herstellern zeigen, welche Schwaechen und Maengel sie den Nutzern verkaufen und welche Gefahr darin liegen kann", sagt er heute.

Zu spueren bekam das unter anderem auch ein deutsches Kreditinstitut: Die Nordlaender hatten sich bei den Bankern eingeklinkt und zur Begruessung erst einmal runde 50000 Mark abgehoben, diese dann aber wieder als Konteneingang zurueckgebucht.

Das seien "sehr lustige Erinnerungen", meint Wernery. Aus Wendezeiten gehoeren dazu auch die freundschaftlichen Beziehungen mit den Freaks aus dem Ostberliner Computerclub im "Haus der jungen Talente" in der Klosterstrasse. Bei den Berlinern, so der Hamburger, "war alles bis ins kleinste organisiert und geplant". Um so verwunderter waren die Ostdeutschen dann, als "wir erst kurz vor einer gemeinsamen Veranstaltung mit einem Haufen Strippen und Modulen erschienen und erklaerten, diesen wirren Packen in wenigen Minuten funktionstuechtig zu haben".

Waehrend der bewegten Clubzeiten habe man aber auch "viel Mieses erlebt", so Wernery. Unter anderem seien einige Mitglieder mit der neuen Macht via Computer nicht klargekommen und haetten ihre Kenntnisse an internationale Institutionen verkauft, auch an den russischen Geheimdienst KGB.

Diese und andere "Widerwaertigkeiten" haetten Aerger mit den Behoerden eingebracht und dem Club geschadet. Doch jetzt sei man "aelter und reifer geworden", ist der heutige Projektchef der Audioland International Telefonservice GmbH, Hamburg, - ein gesponsertes Unternehmen der Beate-Uhse-Familie - ueberzeugt. Wenn sich "heute Hacker verlaufen", seien sie Gast im fremden DV-Netz und "sprechen mit den Betroffenen". Das "Vermuellen von fremden Daten" verbiete die "Hacker-Ethik". Allerdings muesse man lernen, mit kommenden Computergenerationen zu leben - auch der Nachwuchs koenne sich dem Reiz des Unerlaubten nur schwer entziehen. An den Mythos "supersicheres DV-System" glaubt Wernery nicht. Das Basteln an knacksicheren Softwareloesungen "fresse doch nur Performance", die man fuer Anwendungen besser nutzen koenne. Im Grunde genommen, so der Norddeutsche, rennen die Nutzer dem Datenschutz "wie einer Rakete hinterher", und immer wuerde es jemanden geben, der noch besser ist.

Die Sicherheit der Systeme koenne nur "in den Unternehmen selbst organisiert werden". Dafuer sei jeder einzelne Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz verantwortlich. Alles andere sei mehr Schein als Sein.

Wernery selbst hat sich aus dem aktiven Hacker-Dasein zurueckgezogen. Seine Taetigkeit als Unternehmer und Berater im Vorstand des eingetragenen Chaos-Vereins hat ihn mit der staatlichen Macht ausgesoehnt. Jetzt werkelt er an legalen Audio- Reality-Projekten. Seit einiger Zeit ist eine Idee seines Hauses, die in Zusammenarbeit mit der Aikiu GmbH, Muenchen, (Agentur fuer interdisziplinaere Aufgaben in Kommunikation, Information und Umwelt) entstand, auf dem Markt: "Die Villa" - so nennt sich der "akustische Abenteuerspielplatz in einem virtuellen Traumhaus", der per Telefon erreichbar ist.

Ueber eine Hotline (23 Pfennig/12 Sekunden) meldet sich der Teilnehmer (ab 18 Jahre) an, bekommt dann den Grundriss des imaginaeren Hauses, einen Funktionsplan und die Verhaltensregeln fuer das "jugendfreie Spiel". Mit Hilfe der Funktionstasten des Telefons oder Tongebers (Fernbedienung) wie Raute, Stern oder Doppelkreuz kann man maximal 30 Minuten lang akustisch durch 35 Raeume wandern, sich "mit den anderen Gaesten unterhalten, seinen Frust ablassen, "ungestoert im Kuehlschrank flirten oder auf einem Sofa kuscheln" - aber bitte gepflegt, wuenschen sich die Initiatoren.

Technisch realisiert ist das Ganze auf 486er PCs unter OS/2 Presentation Manager per ISDN zum Telefonnetz. Bewertet wurde die "kuenstliche Hoerwelt am Telefon" von den Medien eher unterschiedlich: von "weltweit einzigartig" bis hin zu der Meinung, dass "solche Unterhaltungen eigentlich nicht sein duerften".

Vor allem einsamen, kontaktarmen oder sehbehinderten Menschen werde die Villa aus ihrer Isolation heraushelfen, hoffen die Entwickler. Rund 120 Interessenten und 1300 feste Teilnehmer frequentieren derzeit die Villa-Line. Die Spielchen unter dem erotisch angehauchten akustischen Pseudodach werden Wernery nicht auf Dauer reizen koennen. Vielleicht noch drei bis fuenf Jahre, schaetzt er. Dann will der Chaos-Mann entweder ein neues technisches Medium ausprobieren oder vielleicht in die Politik gehen.