Sequent und IPC zaehlen nicht mehr zu den Interessenten Die Privatinvestoren spielen bei der Groupe Bull auf Zeit Von CW-Korrespondent Lorenz Winter

24.03.1995

Der eindrucksvolle Turnaround, ueber den Bull-Chairman Jean-Marie Descarpentries auf der letzten Bilanzpressekonferenz berichtete, ueberzeugte die Privatisierungspartner offenbar nicht. Von den vier Bewerbern der ersten Ausschreibungsrunde haben nur NEC und Motorola ernste Ambitionen, einen Anteil an der Pariser Groupe Bull S.A. zu uebernehmen - allerdings ohne ihr Vorhaben vorlaeufig naeher zu beziffern.

Der US-Hersteller Sequent zog nach inoffiziellen Angaben seine Offerte wieder zurueck. IPC aus Singapur teilte lakonisch mit, es habe nie ein Gebot gemacht. Dass ferner die alten Miteigner von Bull (France Telecom haelt 17 und IBM zwei Prozent) ihre Quote aufstocken werden, wirkt zweifelhaft.

Dagegen haben NEC und Motorola ihre Absicht einer Quotenerhoehung beziehungsweise eines Ersterwerbs offiziell bestaetigt. Jedoch ist bis jetzt noch ungewiss, ob jeder von ihnen etwa 17 Prozent vom Kapital des Pariser Computerfabrikanten uebernehmen wird, wie die oeffentliche Hand es wuenscht. Motorola verkauft seit letztem Herbst fuer Bull grosse Unix-Systeme des Typs "Escala" und will ab Herbst 1996 auch PCs der Bull-Tochter ZDS in ihr Programm aufnehmen. Genau wie bei dem japanischen Konzern NEC, der bereits etwa vier Prozent an Bull haelt, bildet auch die Industriepartnerschaft von Motorola eine logische Grundlage fuer eine Kapitalbeteiligung bei Bull.

Aus der Sicht der kuenftigen Privataktionaere macht Zuwarten allerdings durchaus Sinn. So laesst sich Mitte Mai das geschaeftliche Ergebnis des ersten Halbjahres 1995 besser abschaetzen - wenn die Sonderfaktoren des Turnaround nicht mehr wirken. Die Arbeitnehmervertreter bei Bull behaupten in diesem Zusammenhang uebrigens haeufig, Descarpentries habe bei der Bilanzpressekonferenz ein zu rosiges Bild vom Zustand des Unternehmens gemalt.

Gewerkschaft CGT sucht nach Alternativen

Zwar stimmten die von ihm genannten Zahlen, doch habe der Bull- Chef wohlweislich verschwiegen, dass wichtige Divisionen, darunter die fuer PCs und fuer Unix-Maschinen, vorlaeufig noch defizitaer arbeiteten. Die Grosssysteme machten zwar Plus, doch seien ihre Verkaeufe im Vorjahr um neun Prozent geschrumpft - wie ueberhaupt der Absatz in Frankreich und Europa in allen Sparten zurueckgehe.

Nachdem die Vertreter der kommunistischen Gewerkschaft CGT im Betriebsrat Ende Februar zu einem "Aktionstag" gegen das Privatisierungsprojekt aufgerufen hatten, sammeln sie derzeit Unterschriften fuer einen Alternativplan, der die Fusion der IT- Aktivitaeten von Bull, Thomson und France Telecom in oeffentlichem Besitz vorsieht.

Ein weiterer Grund fuer das bis jetzt eher laue Interesse der privaten Investoren an Bull ist taktischer Natur. Urspruenglich wollte sich der franzoesische Staat auch nach der Teilveraeusserung einen industriepolitisch massgeblichen Anteil am Unternehmenskapital vorbehalten. Fuer private Kandidaten waere es aber weit interessanter, den Kaufpreis nicht an den Fiskus zu entrichten, sondern ihn sofort zu reinvestieren. So braucht Bull nach Feststellung unabhaengiger Consultants schon bald eine neuerliche Finanzspritze. Zudem bekaemen die Quotenkaeufer durch eine derartige indirekte Kapitalerhoehung nachdruecklicher das Sagen.

Damit wird eine zweite Gebotsrunde nach dem Ende des franzoesischen Praesidentschaftswahlkampfes im Mai dieses Jahres immer wahrscheinlicher. Denn die aufsichtsfuehrende Privatisierungskommission hat 60 Tage Zeit, um die jetzige Lage zu pruefen, und wird diese Frist wohl auch voll nutzen. Nach den Wahlen kommt Paris aus Sicht der Investoren jedoch unter Zeitdruck. Bis Ende 1995 muss die Flurbereinigung durchgefuehrt sein - das machte Bruessel bei der "letzten" kolossalen Staatshilfe fuer Bull von elf Milliarden Franc unwiderruflich zur Bedingung.