Video-Kontrolle

Sendekontrolle: Darmstädter Startup lässt Computer fernsehen

09.04.2008
Von Handelsblatt 
Was früher die Arbeit von Dutzenden von Studenten und Hausfrauen war, die in Werbe- oder Mediaagenturen den ganzen Tag auf Fernsehschirme starrten und Notizen machten, ist heute eine Aufgabe für Computer. Rechner eines deutschen Startups kontrollieren TV-Inhalte, Werbespots und PR-Beiträge.

Hamburg, 1. März 2008, ein Orkan wütet über Deutschland: Ein Lufthansa-Jet entgeht beim Landeanflug nur knapp einer Katastrophe. Ein Amateurfilmer hält den Desasteranflug auf Video fest, und der Clip wurde nicht nur im Internet millionenfach aufgerufen - alleine in Deutschland sendeten ihn binnen einer Woche zwölf von 21 TV-Sendern. Besonders eifrig die Privaten Quotenfänger Sat 1 (19 mal) RTL (17) und N24 (13). Aber auch die ARD konnte es sich nicht verkneifen, ihren vielfliegenden Zuschauern 13mal eine Gänsehaut zu verschaffen. Dem ZDF reichten drei Ausstrahlungen, um die Nachricht abzufeiern.

Um an solche Informationen zu gelangen, braucht das Start-Up-Unternehmen iPharro nur ein paar Mausklicks und wenige Minuten. Was früher die Arbeit von Dutzenden von Studenten und Hausfrauen war, die in Werbe- oder Mediaagenturen den ganzen Tag auf Fernsehschirme starrten und Notizen machten, ist heute eine Aufgabe für Computer - die Sendekontrolle von TV-Inhalten, Werbespots, PR-Beiträgen.

iPharro-Chef Joshua Cohen ist Amerikaner, aber nach dem Studium in Deutschland hängen geblieben. Und er bereut es nicht. Denn nicht nur im Silicon Valley lassen sich Web-Unternehmen aufbauen. Das geht auch in Darmstadt, wo iPharro, eine Ausgründung aus dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD , seinen Sitz hat. Ganz ohne Anglizismen geht es aber doch nicht. Der "iPharro Media Seeker" bietet kleinen und mittleren Werbetreibenden, Agenturen oder Mediaeinkäufern eine neue Art der TV-Sendekontrolle. Auf der Seite www.ipharro.de kann der Kunde selber den Clip hochladen, den er verfolgen möchte. iPharro analysiert jedes einzelne Bild und legt einen "Fingerabdruck" des Inhalts an, pro Stunde Sendematerial rund 4 MB an Daten.

Dieser Fingerabdruck aus der Datenbank läuft dann permanent gegen den Sendestrom von derzeit 24 deutschen TV-Sendern, egal ob Satellit, Kabel oder DVB-T. Sind die Fingerabdrücke aus Sendestrom und Datenbank identisch, wird eine digitale Notiz erstellt, mit, Beitrag, Sender, Uhrzeit und Länge des Beitrags - ein Clip wurde ausgestrahlt. Über beliebige Ereignisse, die die überwachten Inhalte betreffen, kann sich der Kunde sofort per SMS, E-Mail oder RSS informieren lassen, um in die Analyse einzusteigen.

"Die Möglichkeiten sind riesig", schwärmt Cohen. Das System erkennt etwa, ob ein Beitrag gekürzt wurde. "US-Sender schneiden schon mal gerne überall ein paar Sekunden raus", weiß Cohen, "dann kann man vielleicht einen Spot mehr das Zeitfenster quetschen". Für den zahlenden Werbetreibenden oder seine Agentur keine ganz unwichtige Information. Oder Konkurrenzbeobachtung: wird der Spot eines Wettbewerbers mitverfolgt, erkennt das System Änderungen zum Original-Clip. Das ist wie beim Rätselspiel "Original und Fälschung". Der Report auf dem Laptop zeigt zwei auf den ersten Blick identische Standbilder eines Waschmaschinen-Spots. Bei einem "Frame", einem TV-Halbbild, ist etwas anders - der eingeblendete Preis, wie eine genauere Analyse per Augenschein klarstellt. "Der Hersteller hat während der Kampagne den Preis gesenkt."

Für das ZDF hat iPharro über Wochen das Sendematerial der Nachrichten mit dem der Konkurrenten abgeglichen. Was war identisch, oder auch, was hatten andere Kanäle vom ZDF übernommen. Für PR-Agenturen will Cohen Auftritte von Klienten verfolgen - welches Interview kam wann und wie bearbeitet. Heute alles einen Knopfdruck entfernt. Die Marktforscher von Nielsen hätten die Technik bereits in Lizenz genommen, rund 20.000 Werbespots sind dort in der Datenbank bereits erfasst.

Das eigene Webportal soll neue Kunden erschließen. "Wir wenden uns an kleinere Unternehmen, PR-Agenturen oder Organisation, die sich die großen Auswerter-Dienste nicht leisten können oder wollen", sagt Cohen. Einen beliebigen Videoclip bis zwei Minuten Länge über ein Jahr lang im deutschen TV verfolgen soll wahrscheinlich unter 50 Euro kosten, ein genauer Preis steht noch nicht fest.

Warum nur TV, warum kein Internet? Die schiere Datenmasse ist das Problem. Alleine auf Youtube werden jede Sekunde rund zehn Stunden neues Videomaterial hochgeladen. iPharro kann derzeit pro PC gerademal 16 TV-Kanäle verfolgen, also 16 Sekunden Material. "Bis wir in das Internet gehen, das dauert noch ein- bis zwei Jahre", glaubt Cohen. IPharro wird vom deutschen Venture Capitalisten Triangle finanziert, der sich ausschließlich auf Ausgründungen aus Universitäten und Forschungsinstitutionen konzentriert hat. In einer ersten Runde hat Triangle im März 2007 rund 4 Millionen Euro eingeschossen.