Zwei Jahrzehnte Portabilität - Grund genug für einen Rückblick:

Seit der "Volljährigkeit" ist die Sache richtig spannend

21.04.1989

MÜNCHEN (gfh) - Die Anfänge des "Unix-Boom" reichen zurück in das Jahr 1979, als die ersten 16-Bit-Mikrocomputer auf den Markt kamen und die eben von AT&T freigegebene Unix-Version das geeignete Betriebssystem für diese neue Rechnergeneration zu sein schien. Auf diese Weise wurde Unix 7 Mutter der meisten "ix" -Betriebssysteme. Da AT&T zwar ihr Betriebssystem, nicht aber den Namen Unix freigab, entstand bald ein Dschungel von Unix-Derivaten, in dem sich die verschlungensten Lianen technischer Betriebssystem-Erweiterungen rankten. 1987 brach schließlich der leidige Unix-Streit aus.

Ausgelöst wurde der Konflikt vom Unix-Hersteller selbst. Sei es aus berechtigter Sorge wegen des immer undurchdringlicher wuchernden Dickichts von Unix-Varianten oder schlicht deshalb, um eine Monopolstellung in einem Wachstumsmarkt zu besetzen - AT&T unternahm den Versuch, sich mittels einer restriktiven Lizenzpolitik Zugriff auf die Unix-Systeme künftiger Kunden zu verschaffen.

Als das Unternehmen zudem mit dem Rechnerhersteller Sun Microsystems die Optimierung von Unix für dessen neue RISC-Architektur vereinbarte, glaubten die meisten Lizenznehmer nicht mehr an lautere Motive bei AT&T. Der Widerstand organisierte sich. Unter der Federführung von Digital Equipment, Hewlett-Packard und Apollo entstand die sogenannte Hamilton Group, zu der sich im Frühjahr 1988 der Mainframe-Quasi-Monopolist IBM gesellte.

Kurz darauf konstituiert sich die Hamilton Group zur Open Software Foundation (OSF). Deren erklärtes Ziel ist es, dem AT&T-Unix ein noch zu entwickelndes OSF-Unix auf Basis von IBMs AIX entgegenzusetzen. Die Fronten scheinen klar: IBMs AIX Version 3 steht gegen Unix V.4 von AT&T. Nach vergeblichen Gesprächen zwischen OSF und AT&T/Sun formierten sich auch die Unix-V-Anhänger zur sogenannten Archer Group, die wenig später als Unix International Inc. firmierte.

Doch ganz so scharf umrissen sind die Fronten keineswegs. Schon bei der Gründung der Archer-Group unterstützten zwei der Mitglieder gleichzeitig die OSF. Inzwischen gibt es 16 Doppelmitgliedschaften. Auch AIX 3 und Unix V.4 ähneln sich mehr als sie sich unterscheiden. Beide sollen nach dem Willen ihrer Entwickler dieselben Standards unterstützen.

Gestritten wird trotzdem - seit Anfang des Jahres hauptsächlich über die Oberfläche des oder der künftigen Standard-Unix-Version(en). Hier hat die Open Software Foundation die Partie mit OSF/Motif eröffnet, Unix International zog mit einer vage formulierten Absichtserklärung zugunsten von Open Look nach. Von Bedeutung ist dieser Streit insofern, als es hierbei weniger um "look and feel" als um die Programmierschnittstelle der Oberfläche geht.

AT&T und IBM haben sich bei den Grabenkämpfen vornehm im Hintergrund gehalten und statt dessen ihre Interessenvertretungen vorgeschickt. Allerdings mußte AT&T der Unix International einigen Einfluß auf die Entwicklung von Unix V.4 einräumen, während IBM sich nach wie vor nicht in die Karten schauen läßt.

So hat der Mainframe-Riese nicht nur die Lizenz von OSF/Motif erworben, sondern auch die Benutzeroberfläche Next-Step des Next-Rechners von Steven Jobs. Auf welchen Architekturen die Benutzeroberflächen eingesetzt werden sollen, gab IBM bisher nicht bekannt.

Hand in Hand mit Microsoft, dem Monopolisten für PC-Betriebssysteme, propagiert die IBM nach wie vor ihr PS/2 mit dem "Microchannel" und dem Multitasking-Betriebssystem OS/2 als Rechner- und Betriebssystem-Architektur der Zukunft.

Außerdem macht der blaue Riese keinen Hehl daraus, daß er SAA vorzieht, obschon er die OSF-Entscheidungen unterstützt.

Im Grunde ist der "Unix-Krieg" jedoch längst zu Ende, denn in allen wesentlichen Fragen haben sich die Kontrahenten inzwischen stillschweigend darauf geeinigt, die Unterschiede zwischen Unix V.4 und OSF/ 1 so gering wie möglich zu halten. Damit wird die Kaufentscheidung für den Kunden auf die Frage reduziert, an wen er lieber seine Lizenzgebühren zahlt.

1969: Ken Thompson entwickelt in den Bell Laboratories ein dialogorientiertes Betriebssystem. Zur Übertragung auf andere Rechner soll die Programmiersprache B dienen die später Dennis Ritchie zu "C" weiterentwickeln wird.

1973: Dennis Ritchie setzt Unix zusammen mit "C"ein. - Eine offene Lizenzpolitik von AT&T und die daraus folgende Verwendung des Betriebssystems in Forschung und Lehre führt zur Verbreitung im wissenschaftlichen Bereich

1975: Mit Version 6 lizenziert AT&T erstmals "Unix".

1979: Unix 7, die Mutter der meisten Derivate, wird freigegeben. Gleichzeitig erscheinen die ersten 16-BitMikros am Markt.

1980-1982: Bei AT&T laufen drei Unix-Versionen gleichzeitig, darunter Unix System III.

1981: In den USA findet die "usrgroup", eine Vereinigung von Anbietern und Anwendern, zusammen, um an einem gemeinsamen Unix-Standard zu arbeiten.

1984: AT&T beginnt mit der Vermarktung von Unix System V.

1984: X/Open wird gegründet, um das Wirrwarr der verschiedenen und inkompatiblen Unix-Versionen zu lichten.

1986: Die Erschließung des Computermarkts kostet AT&T Millionen von Dollar. "Falsches Timing" sagt AT&T. "Unfähigkeit, sich in den Marktbedingungen zurechtzufinden", diagnostizieren die Gegner. - IBM beginnt mit der Auslieferung von AIX/RT für ihren RISC-Rechner 6150. AIX soll auf IBM-Rechnern vom PC bis zur Mainframe laufen.

1987: AT&T versucht, seine Geschäftspolitk zu ändern: Der Vertragsvorschlag für Unix V.3 sieht vor, daß AT&T in die Entwicklungstätigkeiten der Kunden eingreifen und sie beenden darf. - X/Open gewinnt mit einer zweiten Auflage des "Portability-Guide" Einfluß auf das Kaufverhalten der Anwender. - Sun Microsystems stellt seinen "Sparc"Prozessor vor.

Ende 1987: Sun und AT&T kooperieren im Entwicklungsbereich. Der Verdacht, daß AT&T sein Unix auf den Sparc-Prozessor optimieren könnte, schreckt die Unix-Lizenzenten auf. Eine Anti-Sun/AT&T-Front bildet sich. Digital Equipment, Hewlett Packard und Apollo führen die sogenannte Hamilton-Group an, deren Mitgieder einen herstellerunabhängigen Unix-Standard suchen.

Januar 1988: Die Hamilton-Group versucht zum letzten Mal, eine Einigung mit AT&T zu erreichen. Februar 1988: Motorola bekommt von AT&T den Unix-Quellcode und fällt damit als AT&T-Gegner aus

März 1988: IBM kündigt ein AIX für die /370-Welt an, das allerdings nicht native, sondern unter VM laufen soll. Laut Anbieter unterstützt AIX unabhängige Standards wie Posix ebenso wie die Schnittstellen-Definitionen von AT&T.

April 1988: IBM wird Mitstreiter der Hamilton Group und verhandelt mit Steve Jobs über die Entwicklung einer AIX- Benutzeroberfläche.

Mai 1988: Die Hamilton-Gruppe wird zur Open Software Foundation (OSF}. Unter den Mitgliedern der ersten Stunde: Siemens, Bull und Nixdorf. Die Gruppe wählt AIX als Grundlage eines künftigen OSF-Unix.

Juli 1988: Die OSF verschickt die technischen Anforderungen ("Request for technology") für eine OSFBenutzer-Schnittstelle .

August 1988: Das negative Echo auf den Unix-Streit zeigt Wirkung: OSF und AT&T/Sun verhandeln über Unix-Schnittstellen. Spekulationen über den Beitritt von Sun zur OSF machen die Runde.

September 1988: Bei der OSF gehen 40 Vorschläge für eine Benutzeroberfläche ein. AT&T gehört zu den Unternehmen, deren Einsendung sich qualifiziert. - Die Santa Cruz Operation (SCO) darf ihr Xenix in Unix umbenennen. - Das Markenzeichen-Programm der X/OpenGruppe läuft an. - AT&T, X/Open und OSF sitzen auf Einladung der German Unix User Group (GUUG) an einem Tisch, erzielen aber kein Ergebnis.

Oktober 1988: Um AT&T herum bildet sich die Anti-OSF-Vereinigung "Archer-Group". Zwei der 18 Mit glieder gehören zugleich der OSF an. November 1988: Die OSF bekräftigt ihr Bekenntnis zur AIX-Version 3 und teilt mit, daß ihr Betriebssystem OSF/1 sowohl die derzeitigen Unix-V-Versionen als auch die BerkeleyVariante 4.3 BSD unterstützen wird. Die "Archer Group" formiert sich zur Unix International Inc. Die Fronten im Unix-Streit werden organisatorisch zementiert.

Dezember 1988: IBM äußert die Absicht, AIX in ihr SAA-Konzept einzubinden. Die OSF-Entscheidung für eine Benutzerschnittstelle fällt zugunsten eines Mischprodukts aus den Vorschlägen von Digital Equipment und Hewlett-Packard/Microsoft aus.

Januar 1989: AT&T trennt Hard- und Software-Division. Zuständig für die Unix-Entwicklung ist jetzt die Unix Software Operation (USO). Die Oberfläche OSF/Motif wird vorgestellt. Nixdorf erwirbt als erstes Unternehmen die Lizenz für die noch unfertige Benutzerschnittstelle. - X/Open beansprucht die Führung im Stret um Unix-Standards. Erste Produkte werden mit dem X/Open-Warenzeichen ausgezeichnet.

Februar 1989: Die Unix International ersucht X/Open, ihre Unix-Enwicklung und damit AT&Ts Unix-Entwicklungsabteilung USO technisch zu unterstützen. - AT&T trennt die eigene Oberfläche "Open Look" von Unix V.4. - Microsoft steigt mit 20 Prozent bei Santa Cruz Operations ein. - OSF/1 wird für Ende 1989 angekündigt.

März 1989: Unix International entscheidet sich mit viel "Wenn und aber "für Open Look als Benutzeroberfläche und verspricht ihren Mitgliedern Unix-V.4-Vorzugslizenzen. - OSF/Motif läuft auf einigen CeBIT-Ständen als Demo-Version. - Auffallend viele Unternehmen werben in Hannover mit ihrer X/OpenUnterstützung. - Santa Cruz Operation, Digital Equipment, Locus Computing, Relational Technology und Tandy kündigen eine Entwicklungsumgebung unter Einbeziehung von OSF/Motif an. - Der erste ISIS-UnixReport von Nomina erscheint, ebenso der dritte Portability Guide von X/Open.