Nationale Zeichensätze trotz jahrelanger Anwenderklagen noch nicht im Griff:

SEAS-Bericht legt IBM-Schwachstellen offen

20.12.1985

MÜNCHEN/ZÜRICH (CW-) - Verstärkten Druck übt anscheinend die Share European Association (SEAS) derzeit auf die IBM aus. Offenbar hatte der Branchenprimus bislang auf Probleme bei nationalen Zeichensätzen und Sprachen nur unzulänglich reagiert. Dazu nahm jetzt das Executive Board der Benutzervereinigung in einem Bericht ausführlich Stellung.

Produkte der IBM, die ja primär auf den Zeichensatz der englischen Sprache ausgelegt sind, basieren auf dem 26 Zeichen umfassenden lateinischen Alphabet. Damit, so ist dem Report zu entnehmen, seien für Anwender in nicht-englischsprachigen Ländern die Schwierigkeiten geradezu vorprogrammiert: Die User müßten die speziellen Zeichen reproduzieren, die in den verschiedenen internationalen Sprachen benötigt werden. Dies führe zu manchen Kompromissen und Unbequemlichkeiten und bedeute, so der Text wörtlich, "daß die meisten europäischen Anwender bei gleichen IBM-Produkten für ihr Geld einen geringeren Gegenwert bekommen als außereuropäische Kunden".

Dieser Bericht - Ende September auf der letzten SEAS-Tagung in Zürich vom Executive Board der Benutzerorganisation abgesegnet - wird derzeit in der IBM-Europa-Zentrale in Paris diskutiert. Insbesondere solle das Papier dem Marktführer die fatale Situation seiner europäischen Anwender in diesem Bereich voll bewußt machen, teilte ein Sprecher der User-Gruppe mit.

Dem Bericht zufolge verteilen sich die Probleme im Umgang mit den unterschiedlichen Sprachgegebenheiten auf drei Sparten: nationale Zeichen, nationale Sprachen sowie Eigenheiten der verschiedenen Tastaturen. An praktischen Beispielen wird unter anderem auf die Inkonsistenz der Codepunkte in den drei Bereichen Datenverarbeitung, Textverarbeitung und Personal Computing verwiesen. So wird etwa der Buchstabe "Á" in der klassischen DV mit X DO codiert, in der Textverarbeitung jedoch mit X DC. Ähnliche Schwierigkeiten entstehen, wenn auf dem PC erstellte Dokumente transferiert werden. Und das Zeichen "a" - verwendet etwa als Kurzbezeichnung für die Mikrosekunde (Ásec) - fehlt völlig.

Zur Beseitigung dieser kritischen Punkte hat die Benutzerorganisation eine Reihe von Lösungsvorschlägen ausgearbeitet: Um die Probleme mit den nationalen Zeichen zu bewältigen schlägt SEAS einen Zeichensatz vor, der nicht nur umfassend den Charakteristika einer bestimmten Sprache Rechnung trägt, sondern zusätzlich die Verwendung von Zeichen aller europäischen Länder mit unterschiedlichen Kompromissen erlaubt. Jedes Zeichen soll eine eindeutige Darstellung haben, um die Kommunikation mit anderen Ländern zu ermöglichen. Auch hardwareseitig müßte eine Unterstützung dieses Zeichensatzes gewährleistet sein.

Zur Lösung weiterer Konflikte, die im Zusammenhang mit nationalen Sprachen auftreten, fordert SEAS sprachabhängige Software, die sich durch einen einfachen, automatischen Prozeß in die gewünschte Sprache umschalten läßt.

Den Problemen mit den verschiedenen Tastaturen könne durch den Einsatz von Geräten begegnet werden, die auf nationaler Ebene standardisiert sind. So lasse sich ein Text in der jeweiligen Landessprache effizient eingeben. Eine wirklich mehrsprachige Nutzung werde möglich wenn alle im Land gebräuchlichen Zeichen eingegeben werden können. Auch dürften Standardbelegungen und -operationen für andere sprachunabhängige Funktionen nicht fehlen.

Weitere Informationen bei SESS-Headquarters, Toernooiveld 1, NL- 6525 Nijmegen.