SDH und ATM schliessen sich nicht aus Kuenftige Breitbandnetze ruhen auf mehr als nur einer Schulter

24.12.1993

Angesichts des sich derzeit vollziehenden Umbruchs im Networking, den Schlagworte wie Digitalisierung, Integration und Breitbandkommunikation begleiten, wird zunehmend darueber diskutiert, in welchem Verhaeltnis die beiden am haeufigsten genannten Techniken, SDH und ATM, zueinander stehen. Leo Becker* geht der Frage nach, wo beide Verfahren im Hinblick auf bevorstehende Einsatzszenarien sinnvoll angewendet werden koennen.

Digitale Netze heutiger Praegung sind in erster Linie fuer den Fernsprechverkehr konzipiert, wobei auch alle anderen Dienste bis n x 64 Kbit/s bedient werden koennen - etwa das "Schmalband-ISDN" mit 144 Kbit/s auf der Teilnehmer-Anschlussleitung. Die digitalen Vermittlungsstellen schalten Verbindungen fuer die Uebertragung von 64-Kbit/s-Signalen. Der Transport der Signale zwischen den Vermittlungsstellen ist die Aufgabe der sogenannten digitalen Uebertragungstechnik.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass die Schnittstelle zwischen Vermittlungsstelle und Uebertragungsnetz nicht der einzelne 64-Kbit/s-Kanal ist, sondern die Zusammenfassung von 30 dieser Fernsprechkanaele in einem 2,048-Mbit/s-Signal (Primaermultiplex-Signal). Alle 30 Sprachkanaele muessen daher zur selben Vermittlungsstelle fuehren. Anzahl und Zielorte der 2- Mbit/s-Verbindungen von und zu einer Vermittlungsstelle haengen dabei vom Verkehrsaufkommen und der Struktur des jeweiligen Netzes ab.

Das Uebertragungsnetz muss also die 2-Mbit/s-Verbindungen zwischen allen Vermittlungsstellen gewaehrleisten. Im Hinblick auf eine wirtschaftliche Realisierung einer solchen Infrastruktur werden die 2-Mbit/s-Signale durch ein sogenanntes Zeitmultiplex-Verfahren zu Signalen hoher Bitrate zusammengefasst und auf den Kabel- oder Richtfunkstrecken uebertragen - was dem heute weitgehend verwendeten PDH-Multiplex-Verfahren entspricht. PDH steht fuer "Plesiochronous Digital Hierarchy" und bedeutet, dass die beim Multiplexen gebildeten Bitraten nicht synchronisiert sind, sondern innerhalb festgelegter enger Grenzen schwanken duerfen.

Fuer Signalarten ueber 64 Kbit/s gibt es bisher keine vom Teilnehmer selbst steuerbaren Vermittlungsstellen - abgesehen von einigen Pilotanlagen (zum Beispiel fuer Konferenzfernsehen). Verbindungen dieser Art muessen bisher von Hand zusammengeschaltet werden. Man rechnet jedoch in Fachkreisen damit, dass solche Breitbanddienste eine gute Akzeptanz finden werden, sofern sie wirtschaftlich angeboten werden koennen. Nicht zuletzt aus diesem Grund verbindet man so grosse Hoffnungen mit dem ATM-Verfahren (Asynchronous Transfer Mode), das es erlaubt, unterschiedliche Signalarten in einem gemeinsamen Netz zu vermitteln und zu multiplexen.

"Normales Fernsprechen" wird auch in einem zukuenftigen Nachrichtennetz einen wesentlichen Teil des Verkehrs darstellen. Die Digitalisierung der Sprachsignale erfolgt dabei entweder in den teilnehmernahen Vermittlungs- beziehungsweise Uebertragungseinrichtungen oder im teilnehmereigenen Geraet (wie bei ISDN). Digitalisiert wird meist in Form einer PCM-Codierung (Pulse Code Modulation). Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass der PCM- Coder einen kontinuierlichen Bitstrom von 64 Kbit/s abgibt, unabhaengig davon, ob Sprachsignale erzeugt wurden oder nicht. Der PCM-Decoder erfordert analog dazu ebenfalls einen ununterbrochenen Signalstrom von 64 Kbit/s.

So gesehen ist auch das 30 Sprachkanaele (e 64 Kbit/s) umfassende Primaermultiplex-Signal von 2,048 Mbit/s als ein unterbrechungsfreier Signalstrom zu werten, und das unabhaengig davon, ob die einzelnen Sprachkanaele belegt sind oder nicht. Dies gilt auch fuer Signale hoeherer Multiplexstufen. Werden zum Beispiel in einem 8-Mbit/s-Signal nicht alle vier 2,048 Mbit/s-Teilsignale fuer die Uebertragung benoetigt, erfolgt die Einblendung von Ersatzsignalen, so dass sich ein vollstaendiger Signalstrom von 8,448 Mbit/s ergibt.

Aehnliche Verhaeltnisse wie bei der Sprachuebertragung sind auch bei Uebertragung von Bewegtbildern gegeben. Auch hier muessen die Bilder in einem festgelegten Takt aufeinanderfolgen. Wie viele Bit/s dabei pro Bild zu uebertragen sind, haengt unter anderem von der gewaehlten Aufloesung, der angewandten Redundanzreduktion sowie dem Codierverfahren ab. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass der Signalstrom waehrend der Dauer der Sendung kontinuierlich ist. Auch die digitalen Uebertragungsstrecken - egal ob Glasfaserkabel, Kupferkabel oder Richtfunk - uebertragen staendig einen digitalen Signalstrom mit der systemspezifischen Bitrate, zum Beispiel 139,264 Mbit/s bei PDH-Strecken beziehungsweise 155,520 Mbit/s bei SDH-Strecken (Synchronous Digital Hierarchy).

Anders hingegen bei der Datenuebertragung. Hier besteht die Aufgabe des Netzes oft nur darin, eine bestimmte Gesamtmenge digitaler Daten vom Sender zum Empfaenger zu transportieren, wobei die Uebertragungsgeschwindigkeit und damit die benoetigte Zeit innerhalb vom jeweiligen Anwendungszweck vorgegebener Grenzen gewaehlt werden kann. Allerdings bestehen im Prinzip nur bei Echtzeitbedingungen engere Grenzen fuer die Uebertragung. Darueber hinaus sind auch die Signallaufzeiten meistens nicht kritisch, sofern sie anwendungsspezifische Maximalwerte nicht ueberschreiten.

Ferner ist nicht unbedingt ein kontinuierlicher Signalfluss erforderlich, dieser kann vielmehr zur Anforderung von Wiederholungen bei Uebertragungsfehlern absichtlich unterbrochen werden. Aus diesen Gruenden haben sich in Datennetzen Uebertragungsverfahren durchgesetzt, die von denen des Fernsprechnetzes erheblich abweichen. Ueblich sind in der Regel verschiedene Formen von Bus-Systemen, bei denen mit Hilfe einer Zugriffssteuerung eine Anzahl von Sendern und Empfaengern ueber ein gemeinsames Uebertragungsmedium miteinander kommunizieren kann.

Die gegenwaertig viel diskutierte SDH-Technik soll einige wesentliche Nachteile des PDH-Verfahrens beseitigen und damit neue Moeglichkeiten fuer den Aufbau und Betrieb von Breitbandnetzen eroeffnen. SDH betrifft - ebenso wie PDH - nur die Multiplex-Ebenen oberhalb einer Geschwindigkeit von 2 Mbit/s (beziehungsweise 1,5 Mbit/s bei der amerikanischen Norm). Der 2-Mbit/s-Bereich selbst und Signale kleinerer Bitraten sind bei einem Wechsel von PDH auf SDH nicht beruehrt und damit auch nicht die heutige digitale Vermittlungstechnik fuer das Fernsprechnetz.

Ohne Zweifel koennen auch PDH-Netze alle Nachrichtenarten in jeder gewuenschten Menge uebertragen. Ihre Nachteile bestehen jedoch darin, dass die Geraete im wesentlichen Hardwarerealisierungen sind, was entsprechende Adaptionen und Umschaltungen erforderlich macht. Ferner muessen die Netzteile manuell durch Rangierkabel in den Verteilern der verschiedenen Hierarchieebenen zu einem vermaschten Netz zusammengeschaltet werden, und nicht zuletzt bieten die PDH- Signale viel zu geringe Moeglichkeiten in puncto Eigenueberwachung, Kennzeichnung und Netz-Management.

SDH hebt diese Nachteile dadurch auf, dass das SDH-Multiplex-Schema es ermoeglicht, jedes beliebige Teilsignal (zum Beispiel ein 2- Mbit/s-Signal) in einem als STM-1-Signal bezeichneten Digitalsignal der vierten Hierarchiestufe zu lokalisieren, herauszuholen und auch in ein anderes STM-1-Signal einzufuegen. Dies ist realisierbar, ohne - wie im PDH-Verfahren - auf die 2- Mbit/s-Ebene absteigen zu muessen. Durch diese Moeglichkeit laesst sich also das Netz unter Rechnersteuerung quasi in jeder beliebigen Weise vermaschen. STM-1 steht dabei fuer "Synchronous Transport Modul" der ersten Synchronebene und ist ein Digitalsignal mit einer Bitrate von 155,520 Megahertz, das ueber eine Rahmenstruktur verfuegt, die sich alle 125 Mikrosekunden (entspricht acht Kilohertz) wiederholt (vgl. obere Abbildung).

Die SDH-Technik ist in erster Linie fuer den Einsatz auf Glasfaserkabeln (Ein-Modem-Fasern) konzipiert. Die Daempfung in einem optischen Fenster (zum Beispiel 1300 Millimeter) einer Glasfaser ist aber fuer alle in Frage kommenden Uebertragungsbitraten die gleiche. Lediglich durch die Rauschbandbreite des Empfaengers und eventuell durch Dispersionseffekte ergibt sich die Notwendigkeit, die Abstaende zwischen den Regeneratoren bei hoeheren Bitraten etwas zu verringern. Es bringt also so gut wie keine wirtschaftlichen Vorteile, Glasfaseruebertragungssysteme fuer niedrige Bitraten einzusetzen. Bei SDH wird deshalb als niedrigste Transport-Bitrate das STM-1-Signal mit 155,520 Mbit/s vorausgesetzt - selbst wenn nur ein Teil dieser Kapazitaet benoetigt und belegt wird.

Weiteres Kennzeichen der SDH-Technik ist, dass jedem Digitalsignal, das zu transportieren ist, ein sogenannter Path Overhead (POH) beigefuegt wird, mit dem das Signal eindeutig gekennzeichnet und auf Kontinuitaet und Uebertragungsqualitaet ueberprueft werden kann. Zusaetzlich bilden die ersten 9 Bytes jeder Zeile im STM-1-Signal (vgl. obere Abbildung) den sogenannten Section-Overhead (SOH), mit dessen Hilfe man die Uebertragungsstrecken synchronisieren und ueberwachen kann. Darueber hinaus liegen dort auch Uebertragungskanaele fuer das Netz-Management beziehungsweise die Sprachkanaele fuer den Wartungsdienst.

Zukuenftige Anwendungsszenarien vor Augen, geht man vor allem von einem erheblichen Bedarf an Netzen aus, die auf Kundenanforderung hin Verbindungen fuer Signale mit mehr als 64 Kbit/s automatisch schalten koennen. Digitalsignale dieser Art koennen grosse Datenmengen jeder Art sein, auch codierte Bildsignale. Das Problem dabei ist, dass sehr unterschiedliche Bitraten anfallen koennen - eine Aufgabe, die sich mit dem ATM-Verfahren loesen laesst. Das Grundprinzip von ATM besteht ja gerade darin, dass alle zu uebertragenden und zu vermittelnden Signalstroeme in Abschnitte gleicher Bitzahllaenge aufgeteilt werden. Jeder dieser Abschnitte wird wie eine Einheit behandelt. Zu diesem Zweck wird jedem Abschnitt ein Kopfteil zugeordnet und das Ganze als ATM-Zelle bezeichnet.

Die fuer die Behandlung der Zellen erforderlichen Daten sind dabei im Zellkopf enthalten; ein ATM-Netz hat daher durchaus eine gewisse Aehnlichkeit mit einem paketvermittelten Datennetz.

ATM unterscheidet sich von PDH und SDH wesentlich

Fuer die Uebertragung werden andererseits die ATM-Zellen im Zeitmultiplex lueckenlos aneinandergereiht, wobei jede Zelle als Block immer erhalten bleibt - ein Merkmal, worin sich ATM von den Multiplex-Verfahren PDH (bitverschachtelt) und SDH (byteverschachtelt) ganz wesentlich unterscheidet.

Mit der Diskussion um ATM kam auch die Frage hoch, ob dieses Cell- Relay-Verfahren nicht auch die Aufgaben von SDH uebernehmen koennte - immerhin ist es ja prinzipiell moeglich, auch die Digitalsignale einzelner Sprecher (64 Kbit/s) oder ein 2-Mbit/s-Signal mit 30 Sprachkanaelen in ATM-Zellen zu verpacken und durch ein ATM-Netz zu leiten. Im Hinblick auf das "normale" Fernsprechnetz ist dabei absehbar, dass schon aufgrund der immensen investierten Summen ein Umstieg auf ATM-Vermittlungstechniken nicht in Frage kommt; noch dazu, wenn wesentliche Vorteile fehlen, die einen Umstieg wirtschaftlich rechtfertigen wuerden. Darueber hinaus waere der Transport der 2-Mbit/s-Signale des digitalen Fernsprechnetzes in einem ATM-Netz zwar technisch prinzipiell moeglich, wuerde dort jedoch gleichzeitig Anforderungen generieren, die nicht ohne weiteres erfuellt werden koennten.

Die 2-Mbit/s-Verbindungen des Fernsprechnetzes sind permanente bis semipermanente Verbindungen zwischen den jeweils beteiligten Vermittlungsstellen. Sie muessen also lediglich zur Anpassung an Veraenderungen des Verkehrsaufkommens beziehungsweise bei Umbauten im Netz oder bei Ersatzschaltungen umgeschaltet werden. Diese sporadischen Umschaltungen von einem ATM-Vermittlungsknoten durchfuehren zu lassen, der normalerweise die von den Anwendern gewuenschten Breitbandverbindungen herstellt, wuerde nur neue Probleme verursachen.

Hinzu kommt, dass - bedingt durch die statistischen Schwankungen der Verbindungswuensche - auch eine ATM-basierte Vermittlung gewisse Ueberlastungsrisiken in sich birgt. Diese treten insbesondere dann auf, wenn nicht mehr alle anstehenden ATM-Zellen verarbeitet und weitergeleitet werden koennen. Zur Abschwaechung dieses Effektes werden in ATM-Vermittlungen beispielsweise Wartepuffer eingesetzt. Fuer die 2-Mbit/s-Signale des Fernsprechnetzes und auch fuer alle Digitalsignale der hoeheren Multiplex-Stufen ist aber weder eine zeitliche Verschiebung (durch die Puffer) noch der Verlust einzelner Zellen tolerabel.

Wie vorhin ausfuehrlich beschrieben, verlangt der Empfaenger aber einen kontinuierlichen Signalstrom. Um die Wahrscheinlichkeit von Stoerungen entsprechend niedrig zu halten, muesste die Kapazitaet des ATM-Netzes sehr gross dimensioniert werden, was dessen Wirtschaftlichkeit nachhaltig verringern wuerde. Zudem bieten die ATM-Zellkoepfe nicht die Moeglichkeit, all die Informationen unterzubringen, die fuer den Betrieb, die Ueberwachung und die Wartung der Uebertragungswege im Rahmen eines modernen Netz- Managements erforderlich sind. Ein Signalstrom aus aneinandergereihten ATM-Zellen muesste also fuer den Transport noch um eine Zusatzkapazitaet erweitert werden.

Immer mehr beginnt sich daher die Einsicht durchzusetzen, dass es in kuenftigen Breitbandnetzen nicht um die Frage SDH oder ATM, sondern um eine Integration beider Techniken geht. Dabei duerfte das SDH-Uebertragungsnetz die eigentliche Transportaufgabe uebernehmen, waehrend die ATM-Komponenten fuer das Vermitteln und die Aufbereitung der ATM-Signale mit ihrer Zellenstruktur zustaendig sind.