SCM-Spezialisten arbeiten am Comeback

16.09.2003
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das Softwaresegment für Supply-ChainManagement (SCM) ist von der IT-Branchenkrise schwer getroffen worden. Die angeschlagenen Spezialisten i2 und Manugistics haben nach internen Aufräumarbeiten wieder begonnen, der übermächtigen SAP das Feld streitig zu machen.

Jörg Knebusch hat immer noch ein Faible für Collaboration und unternehmensübergreifende Prozesse. Was einst gepriesen worden war, die Beschaffung und die Logistik der Deutschland AG zu revolutionieren, erwies sich letztlich jedoch als zahnloser Tiger: "In der Realität sind die Anwender nicht weit über EDI hinausgekommen", sagt der ehemalige Supply-Chain-Experte der Meta Group, der inzwischen die Org/IT der Duderstädter Otto Bock Healthcare GmbH leitet.

Tiefe Kratzer im Lack

In der Folge gerieten die einschlägigen SCM-Anbieter wie i2 und Manugistics unter starken finanziellen Druck, der durch hausgemachte Fehler noch verstärkt wurde. Dieses wiederum ließ die Anwender zögern, sich im Hinblick auf die Investitionssicherheit für Tools der Spezialisten zu entscheiden. Hinzu kam: Gescheiterte Projekte hatten am Lack der SCM-Anbieter deutliche Kratzer hinterlassen. Eine Meta-Group-Studie kam 2001 zu dem Schluss, dass erst 22 Prozent der befragten Unternehmen ein SCM-Projekt erfolgreich abgewickelt hätten. "Bis heute", schätzt Knebusch die Situation ein, "haben wir hier noch keinen Quantensprung erlebt."

Deutsche SAP-Anwender, die ein SCM-Projekt planen, würden eine Software wählen von... Quelle: Raad Consult
Deutsche SAP-Anwender, die ein SCM-Projekt planen, würden eine Software wählen von... Quelle: Raad Consult

Als zuletzt die Blase an den Börsen platzte, fiel auch das SCM-Segment in seine schwerste Krise, und die einschlägigen Lieferanten gerieten fast in Vergessenheit. Was bei Anwendern "Back to Business" hieß, sorgte andernorts fast für "Out of Business" - trotz "teils wirklich guter Lösungen", sagt Knebusch. Doch ungeachtet der Meriten ist auch die Otto Bock GmbH ein "klassischer SAP-Anwender" und damit keine Ausnahme in Deutschland.

Wenn ein Unternehmen hierzulande von der IT-Krise profitieren konnte, dann der Walldorfer Softwarekonzern. Während die SCM-Experten mit sich selbst und ihren Finanzen gekämpft haben, nutzte SAP die Zeit, um das Portfolio abzurunden und vorhandene Lücken zu füllen. "Es hat sich viel getan in Walldorf", sagt Daniel Kautz, Supply-Chain-Manager bei Accenture. Wenn Anwender bereit seien, zu investieren und sich von der Standardimplementierung wegzubewegen, können sie seiner Meinung nach inzwischen auch mit SAP-Werkzeugen fast alle Anforderungen abdecken. Glaubt man einer (aus Walldorf unterstützten) Untersuchung von Raad Consult, sehen dies viele deutsche Anwender ähnlich - zumindest die SAP-Anwender.

Revidierte Jahresabschlüsse

Die ERP-Dominanz von SAP breitet sich langsam, aber sicher auf die benachbarten Anwendungsgebiete aus. Doch kampflos wollen die SCM-Spezialisten das Feld nicht räumen. So legte i2 zuletzt vier revidierte Jahresabschlüsse vor, in denen die Umsätze neu ausgewiesen worden sind. Auch wurde das Re-Listing an der Technologiebörse Nasdaq beantragt, von der die Company im Frühjahr wegen einer verspäteten Bilanz verbannt worden war. "Wir müssen sicherstellen", sagt i2-Europa-Chef Jim Contardi, "dass wir wieder gelistet werden." Das wäre ein weiterer Schritt in die Normalität. Vertrauen ist nicht nur im Bankgewerbe der Anfang von allem.

Zudem hat sich i2 neu aufgestellt und IT-Dienstleistungen in den Mittelpunkt gerückt. Niemand kaufe mehr nur eine Software, sagt Contardi. Die Anwender hätten spezifische Probleme in ihrer Lieferkette, und i2 wolle diese lösen - "wir bündeln die SCM-Kompetenzen unserer Berater mit unserer Software". Beides zusammen schaffe erst eine Lösung, an der Kunden interessiert seien.

Den Vorwurf, mit Dienstleistungen sei heute nur schwer Geld zu verdienen, lässt Contardi nicht gelten. Dies treffe sicher für Commodity-Services zu, deren Anbieter fraglos unter Druck stünden. Als Commodity bezeichnet der i2-Manager etwa den gesättigten Markt für SAP- und Oracle-Consultants. Sein Unternehmen biete hingegen keine Grundlagendienste an, sondern orientiere sich mehr am Business-Consulting. Commodities lässt i2 übrigens in Indien erledigen, wo die Company inzwischen rund 40 Prozent der Mitarbeiter beschäftigt.

Insgesamt hat i2 noch 2800 Angestellte, davon 250 in Europa und 70 in Deutschland. Den Status quo lediglich verteidigen will Contardi indes nicht: "Wir wollen wieder wachsen." Allerdings werde die Mitarbeiterzahl nicht analog zum Umsatz gesteigert, da mehr Geschäft über Partner generiert werden soll. "Früher haben wir dazu tendiert, alles selbst zu machen", sagt der Emea-Chef. Heute zählen Partnerschaften, etwa mit IBM und Accenture.

Auch Manugistics hat die Flinte nicht ins Korn geworfen, trotz des übermächtigen Goliaths in Walldorf. Die Company beschäftigt weltweit noch 1100 Mitarbeiter. Davon sind 30 in Deutschland im Vertrieb und für die Implementierung zuständig - einige mehr als noch zu Beginn des Jahres, sagt Pressesprecherin Claudia Jauch. Einen Rückzug aus dem wichtigen deutschen Markt werde es folglich nicht geben.

In den vergangenen Quartalen setzte das Unternehmen jeweils rund 65 Millionen Dollar um. Von einem Einbruch wie bei anderen Softwerkern kann also nicht die Rede sein. Allerdings wurden die Nettoergebnisse wegen hoher Abschreibungen und Umstrukturierungskosten immer schlechter: Im Fiskaljahr 2003 (Ende: 28. Februar) fiel ein Nettoverlust von 212 Millionen Dollar an. Der Bestand an kurzfristig verfügbaren Mitteln bewegt sich seit Jahresbeginn knapp unter 150 Millionen Dollar.