Droht i2 und Manugistics ein Nischendasein?

SCM-Anbieter stecken in der Klemme

25.04.2003
MÜNCHEN (ba) - Für die klassischen Anbieter von Supply-Chain-Management-(SCM-)Lösungen wird es eng. Auf der einen Seite fordern die Kunden den Nutzennachweis ihrer Investitionen ein und stellen Großprojekte erst einmal hintan. Auf der anderen Seite rücken die ERP-Protagonisten den SCM-Vertretern stärker auf den Leib, indem sie entsprechende Funktionen in ihre Standardpakete integrieren.

Die Hiobsbotschaften aus der SCM-Szene häufen sich. So meldete zuletzt beispielsweise Manugistics tiefrote Zahlen für das vierte Quartal des Geschäftsjahres 2002/03. Vor allem Abschreibungen und ein rückläufiges Lizenzgeschäft ließen den Nettoverlust auf über 111 Millionen Dollar anschwellen. Angesichts eines Umsatzes in Höhe von 65,5 Millionen Dollar ein erschreckendes Ergebnis, so das Urteil von Analysten. Noch schlimmer traf es i2 Technologies. Der SCM-Spezialist gab bekannt, seine Bilanzen rückwirkend bis 1999 überprüfen zu müssen. Inzwischen ermittelt die US-amerikanische Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) gegen die Verantwortlichen, die zusätzlich noch ein Verfahren über den Ausschluss aus dem Nasdaq-Index am Hals haben.

Versprechen nur selten gehalten

Kürzere Durchlaufzeiten, geringere Lagerbestände, verbesserte Liefertreue und als Folge von alledem immense Spareffekte - mit diesen Versprechen traten Anbieter wie i2 und Manugistics in der Vergangenheit bei den Kunden an. Die Ausgaben für die SCM-Applikationen würden sich binnen Jahresfrist amortisieren, tönten sie. Doch bereits vor zwei Jahren warnten Analysten wie Karen Peterson von Gartner vor den schwer kalkulierbaren Risiken bei der Implementierung einer unternehmensweiten SCM-Lösung. Viele Anwender unterschätzten den Aufwand, das System an die Bedürfnisse des eigenen Unternehmens anzupassen. Mindestens fünf Prozent aller SCM-Projekte würden 2002 scheitern, orakelte Peterson.

Die IT-Kassandra behielt Recht. Fehlgeschlagene Großprojekte bei Nike, Siemens und Volkswagen sorgten für Schlagzeilen. So scheiterte der Siemens-Konzernbereich Information and Communication Networks (ICN) mit der Implementierung einer i2-Applikation. Mangelnde Funktionalität und Performance sowie nicht eingehaltene Termine sorgten dafür, dass von der ursprünglich geplanten Siemens-weiten Einführung der Lösung heute niemand mehr spricht.

In der Folge geriet der SCM-Spezialist mehr und mehr aus der Bahn. Im April 2002 räumte CEO Greg Brady nach nur einem Jahr den Chefposten und gab den Führungsstab an den Firmengründer Sanjiv Sidhu zurück. Ruhe kehrte dennoch nicht ein. Schlechte Quartalsergebnisse, Entlassungen, verspätete Produktvorstellungen sowie Gerüchte über Bilanzmanipulationen bescherten dem texanischen Softwarekonzern weiterhin unruhiges Fahrwasser.

Unrühmlicher Höhepunkt dieser Entwicklung ist die kürzliche Warnung der Finanzverantwortlichen von i2, sie rechneten mit Berichtigungen für die Bilanzen der Jahre 1999 bis 2002 (siehe CW 14/03, Seite 8). Investoren dürften den bisherigen Informationen nicht trauen, so die ernüchternde Nachricht aus der Firmenzentrale in Dallas. Bis Juni soll die Prüfung durch Deloitte & Touche abgeschlossen sein. Mittlerweile hat auch die US-amerikanische Börsenaufsicht ein formelles Verfahren gegen den Softwareanbieter eingeleitet. Der Vorwurf lautet, das Unternehmen habe Umsätze falsch gebucht, um seine Bilanzen zu schönen. Außerdem droht i2 der Ausschluss von der Nasdaq, da die Fristen für die Abgabe der Bilanz 2002 versäumt wurden.

Das Management versucht indes, die Auswirkungen der Bilanzprobleme herunterzuspielen. So sei das, was gerade bei i2 passiert, nichts Ungewöhnliches mehr, argumentiert Janet Eden-Harris, Chief Marketing Officer des Unternehmens. In den USA habe es im vergangenen Jahr rund 300 Firmen gegeben, die den gleichen Prozess einleiten mussten. Man habe sich angesichts einiger vergangener Transaktionen und der zahlreichen aktuellen Untersuchungen dazu entschlossen, gleich alles zu bereinigen und die Prüfung bis 1999 auszudehnen. Ein Verkauf des Unternehmens, über den in der Branche bereits seit längerem spekuliert wird, sei bislang nicht diskutiert worden.

Mehr Service - weniger Lizenzgeschäft

Jim Contardi, i2-President für den Bereich Europa, Mittlerer Osten und Afrika (Emea), kündigte an, die Einnahmen künftig stärker an den Projektfortschritt beim Kunden zu koppeln. Während früher mehr als die Hälfte der Umsätze aus Lizenzkosten stammte, soll bald mehr Geld mit längerfristig angelegten Serviceleistungen erwirtschaftet werden. Dieser Anteil soll in Zukunft größer ausfallen als Lizenz- und Wartungseinnahmen. So wollen die Verantwortlichen offenbar den drastischen Einbrüchen im Lizenzgeschäft begegnen. Im vierten Quartal des abgelaufenen Geschäftsjahres 2002 betrugen die Lizenzeinnahmen 36,6 Millionen Dollar. Ein Jahr zuvor war mit einem Lizenzumsatz von über 72 Millionen Dollar an gleicher Stelle rund das Doppelte gestanden. Mit der Kopplung an den Projekterfolg hofft der Anbieter, verloren gegangenes Vertrauen bei den Kunden zurückzugewinnen. Contardi räumt ein, dass in der Vergangenheit manche Projekte zu lange gedauert hätten und zu komplex gewesen seien.

Ob die neue Strategie erfolgreich ist, bleibt abzuwarten. Gerade das personalintensive Servicegeschäft dürfte nach dem unfreiwilligen Weggang vieler Mitarbeiter nicht einfach werden. Nach Abschluss der Ende letzten Jahres angekündigten Entlassungsrunde werden nur mehr rund 2800 Angestellte bei i2 arbeiten, weniger als die Hälfte der einst über 6000 Beschäftigten. Nach Einschätzung von Horst Wildemann, Professor für Betriebswirtschaftslehre und SCM-Spezialist an der Technischen Universität München, ist die Servicestrategie angesichts des hohen Erklärungs- und Beratungsaufwands im Rahmen von SCM-Projekten zwar konsequent. Dabei bestehe aber die Gefahr, dass i2 großen Dienstleistern wie IBM Global Service, die im Projektgeschäft mit i2 zusammenarbeiten, in die Quere komme.

Auch Bruce Hudson, Analyst der Meta Group, glaubt nicht an die Servicelösung. Hier müsse sich i2 mit mehr Konkurrenten herumschlagen als im SCM-Markt. Daher sollte sich das Unternehmen damit abfinden, dass es ein Softwarehersteller sei, und besser mit den großen Dienstleistern kooperieren. Letztendlich werde sich i2 zu einem Nischenanbieter für Best-of-Breed-Angebote im SCM-Bereich entwickeln.

Wenn dies gelänge, wären die meisten Kunden schon zufrieden. Hans-Dieter Nase, Direktor für die Bereiche Auftrags-Management und Produktionsplanung bei Edelstahl Witten Krefeld (EWK), sieht für seine laufenden i2-Anwendungen keine Probleme. Allerdings mache er sich Sorgen über ein aktuelles Projekt, das ohne Consulting-Leistungen von Seiten i2s nicht zu stemmen sei. Er könne sich jedoch nicht vorstellen, dass die Software komplett vom Markt verschwinde.

Andere Kunden sind mit i2 dagegen weniger zufrieden. So brachte eine Umfrage der Firma Nucleus Research Anfang dieses Jahres wenig Erfreuliches für i2 zutage. Zwölf von 22 an der Umfrage teilnehmenden Referenzkunden gaben an, keinen Return on Investment (RoI) erzielt zu haben. 15 Nutzer erklärten, ihr Projekt habe dreimal so lange gedauert wie ursprünglich geplant.

Besser schnitt dagegen i2-Konkurrent Manugistics ab. 80 Prozent von 20 befragten Unternehmen äußerten, die Investitionen in die SCM-Lösung hätten sich amortisiert. Frank Hemforth, Mitarbeiter im Bereich Technology Business Consulting Europe bei Manugistics, führt dies darauf zurück, dass im laufenden Implementierungsprozess immer wieder zuvor definierte Kennzahlen überprüft würden, um den Erfolg des Projekts sicherzustellen.

Geschäfte brechen ein

Die jüngst veröffentlichten Geschäftszahlen von Manugistics sprechen jedoch eine andere Sprache. So berichtete das Unternehmen für 2002 einen Umsatz von 272,4 Millionen Dollar, knapp 25 Prozent weniger als noch ein Jahr zuvor. Die Verluste wuchsen im Jahresvergleich von 115 auf 212 Millionen Dollar. Als besonders alarmierend werten Experten die Einbrüche bei den Lizenzeinnahmen. Mit 18,5 Millionen Dollar betrug dieser Posten im vierten Quartal 2002 nur mehr 27,5 Prozent vom Gesamtumsatz. Ein Jahr zuvor waren es noch 40,5 Prozent. Angesichts dieser Probleme wird es für die SCM-Spezialisten i2 und Manugistics schwierig, neue Geschäfte an Land zu ziehen, resümiert Helmuth Gümbel, Analyst bei Strategy Partners. Kunden wollten heute keine Phantasiezahlen in Sachen RoI mehr hören, von denen keiner nachrechnen könne, ob sie erreicht wurden. Viele setzten daher verstärkt auf solide Angebote.

Dennoch wird Gümbel zufolge weiter Geld für SCM-Lösungen ausgegeben. "Dies ist kein Bereich, in den man einmal groß investiert, und die Sache ist erledigt." Neue Geschäftskonstellationen und Prozesse sorgten jedoch dafür, dass sich SCM oftmals zu einer permanenten Baustelle entwickle. Gerade Mittelständler ständen deshalb oft vor Problemen. Von dieser Situation profitierten die klassischen ERP-Anbieter, die zunehmend SCM-Funktionen in ihre Standardpakete integrieren. Ein Mittelständler analysiert die Wertekette, zu der er gehört, und eruiert, welche Produkte seine Partner einsetzen, erläutert Gümbel. In aller Regel orientiert sich daran seine Kaufentscheidung. "Das gefällt natürlich den Anbietern, die bereits einen großen Marktanteil besitzen."

Allerdings ist auch bei den ERP-Anbietern Sand im SCM-Getriebe. So musste beispielsweise SAP im letzten Jahr einen deutlichen Umsatzrückgang in dieser Sparte hinnehmen. Jedoch haben SAP und Co. den Vorteil, Ausfälle mit anderen Geschäftsbereichen kompensieren zu können. Funktional haben noch die Spezialisten die Nase vorn. So könne i2 nach wie vor auf einen gewissen Vorsprung bauen, berichtet Peter Becher, Leiter des Bereichs Process Management bei der Krones AG in Neutraubling. Sein Unternehmen habe sich im vergangenen Jahr für die i2-Lösung entschieden und diesen Schritt bislang nicht bereut. Im Rahmen der Vorbereitung habe man sich auch mit den SAP-Produkten beschäftigt, dabei allerdings keinen Vorteil für Krones erkennen können. Ein kleiner Hoffnungsschimmer für i2 und Manugistics?

ERP-Konkurrenz

Neben der SAP, die mit "Mysap SCM" im Markt vertreten ist, versuchen auch die anderen ERP-Anbieter, im SCM-Revier zu wildern. So hat beispielsweise Peoplesoft für kommenden Mai eine komplett überarbeitete SCM-Palette angekündigt. Das neue Angebot, mit dem nach langen Verzögerungen die Integration der SCM-Funktionen in das ERP-Paket gelingen soll, richtet sich in erster Linie an Produktionsunternehmen, die Teile ihrer Fertigung an Partner ausgelagert haben. J.D. Edwards hat Mitte März mit dem Analyse-Tool "Demand Forecasting" das erste Werkzeug seiner neuen SCM-Suite vorgestellt. Damit sollen Anwender ihre Bedarfsplanung anhand von statistischen Auswertungen von Verkaufszahlen und Auftragsinformationen besser handhaben können. Wann das Gesamtpaket "Supply Chain Management 9.0" herauskommt, steht noch nicht fest.

Abb: Umsatzentwicklung bei i2 Technologies und Manugistics

Während i2 Technologies nach dem Höhenflug der Jahre 2000 und 2001 tiefer fiel, entwickelten sich die Geschäfte von Manugistics auf einem niedrigeren, aber dafür konstanteren Niveau. Quelle: i2/Manugistics