Schweizer Versicherung will DB2 langfristig durch OO-Datenbank ersetzen Vorreiter: Assekuranz baut auf Objekttechnik

01.12.1995

CW-Bericht, Karin Quack

LUZERN - Mut zur softwaretechnologischen Pionierleistung beweist die in Luzern ansaessige Versicherung Christlich-Soziale der Schweiz (CSS). Bislang ein Vorzeigekunde fuer "DB2", das relationale Datenbank-Management-System von IBM, entwickelt die CSS ihre wettbewerbsrelevanten Applikationen heute auf der Grundlage der objektorientierten Alternative "O2" vom gleichnamigen franzoesischen Anbieter.

Vor zehn Jahren, als die relationale Datenbanktechnologie noch in den Kinderschuhen steckte, war die CSS eines der ersten europaeischen Unternehmen, die DB2 in grossem Stil einsetzten. In einer Hauruck-Aktion tauschte das vor allem im Krankenversicherungssektor taetige Assekuranz-Unternehmen das hierarchische Datenbanksystem "Datacom DB" gegen das IBM-Produkt aus, so dass heute alle CCS-Daten in DB2-Tabellen gespeichert sind. Jetzt steht der naechste Wechsel an: Die CSS hat erkannt, dass sie fuer den ab kommendem Januar teilliberalisierten Schweizer Krankenversicherungsmarkt mehr Effizienz, Flexibilitaet und Uebersichtlichkeit benoetigt. Deshalb hat sie begonnen, ihre Geschaeftsprozesse zu ueberarbeiten und die unterstuetzenden Software-Applikationen in eine objektorientierte Form zu giessen.

Informatikleiter Andreas Meier gibt sich dabei nicht mit halben Sachen zufrieden. Waehrend die Konkurrenz mit Front-end-Tools objektorientierte Oberflaechen ueber konventionelle Datenstrukturen legt, sollen die neuen Anwendungen der CSS bis in die Datenbasis den Prinzipien Einkapselung, Vererbung und Polymorphie gehorchen.

Auf diese Weise muessen die zur Laufzeit erzeugten Objekte fuer die Speicherung nicht auseinandergerissen werden. "Wir wollen keine Unterschiede zwischen den transienten und den persistenten Objekten haben", bekraeftigt Meier, der im Nebenberuf an der ETH Zuerich Informationstechnik lehrt, "sonst haetten wir lieber ganz auf diese Technik verzichtet."

Die neue Software-Umgebung der CSS basiert folglich auf einem objektorientierten Datenbank-Management-System (OODBMS). Und die Entscheidung fiel zugunsten des Produkts O2, das in Deutschland von der Nexus GmbH, Dortmund, vermarktet wird. Verglichen mit bekannteren Systemen wie Objectstore, Objectivity oder Versant, eignet sich O2, so Meier, besser fuer den Einsatz im Mehrbenutzer- Betrieb. Ein weiteres wichtiges Kriterium: O2 ist kompatibel zu dem von der Object Database Management Group (ODMG) definierten Datenbankstandard.

Auf der Grundlage von O2 laufen bei der CSS derzeit zwei Pilotprojekte. Ziel des einen ist es, das gesamte Versicherungs- Know-how als Klassenbibliotheken in einer objektorientierten "Produkt-Workbench" zu speichern. Dieser Softwarebaukasten soll es spaetestens im uebernaechsten Jahr moeglich machen, mit minimalem Aufwand Leistungspakete fuer einzelne Mitglieder oder ganze Kundengruppen masszuschneidern - beispielsweise Modelle mit eingeschraenkter Arztwahl gegen reduzierte Praemienzahlungen. Ebenfalls zum Ende des kommenden Jahres will die Assekuranzorganisation den Prototypen fuer eine auf der Produkt- Workbench aufbauende Vertriebsanwendung vorweisen.

In einem separaten Vorhaben arbeitet der Versicherer an einem System fuer die automatische Ueberpruefung aller eingehenden Rechnungen, die sich per annum auf zwei Milliarden Stueck summieren. In einem ersten Rationalisierungsschritt hat die CSS den Aerzten, Kliniken und Apotheken angeboten, ihre Rechnungen elektronisch weiterzuleiten. Das dafuer genutzte Austauschformat "Trans-Health" hat sie selbst entwickelt - auf Basis des EDI- Standards.

Derzeit muessen all diese Rechnungen noch von Sachbearbeitern auf Plausibilitaet beziehungsweise Richtigkeit ueberprueft werden. Kuenftig soll ein wissensbasiertes Softwaresystem, der "EDI Server", diese Aufgabe uebernehmen, indem er die objektorientierte Know-how-Datenbank der Versicherung zu Rate zieht. Die CSS hofft, das System Mitte des kommenden Jahres in den produktiven Einsatz nehmen und spaeter vielleicht sogar weitervermarkten zu koennen.

Dass Meier mit seiner Entscheidung fuer die objektorientierte Datenbanktechnik Pioniergeist beweist, ist ihm durchaus bewusst. Aber nachdem er O2 ein Jahr lang geprueft hat, haelt er eigenen Angaben zufolge das Risiko fuer vertretbar - zumal das OODBMS zunaechst parallel zu DB2 betrieben werden soll.

Der Informatikexperte traut der objektorientierten Datenbanktechnik durchaus zu, grosse kommerzielle Applikationen zu bewaeltigen. Ausserdem biete das Relationenmodell keineswegs die optimale Loesung fuer jede Art von Anwendung, da es beispielsweise die historische Behandlung von Daten nicht erlaube.

Wie Meier aufgrund seiner Datenbankkenntnisse weiss, erleichtert die Objekttechnik den Anwenderunternehmen die Aufgabe, Komplexitaet beherrschbar zu machen. Und last, but not least gefaellt es ihm auch, seinen Mitbewerbern wieder einmal um eine Nasenlaenge voraus zu sein: "Der technologische Fortschritt hat stattgefunden, und wir wollen ihn nutzen", lautet sein Wahlspruch.

Marktorientiert ohne Profitzwang

Mit mehr als einer Million Mitgliedern zaehlt die Christlich- Soziale der Schweiz rund ein Siebtel der eidgenoessischen Buergerinnen und Buerger zu ihren Kunden. Wie alle Schweizer Krankenversicherer ist sie von Gesetzes wegen verpflichtet, den erwirtschafteten Ueberschuss - im vergangenen Jahr rund 66,6 Millionen Franken - zurueck in die 1700 Mitarbeiter starke Organisation zu fuehren beziehungsweise an die Mitglieder auszuschuetten. Vielleicht liegt hier der Grund fuer die grosse Bereitschaft, Geld in neue, erfolgversprechende Technologien zu investieren.