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Schweizer Richter entscheidet über Klage gegen IBM wegen Nazivergangenheit

05.03.2003

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Ein Schweizer Richter entscheidet am 20. März 2003 an einem Genfer Gericht, ob die Klage der Interessengruppe Gypsy International Recognition and Compensation Action (Girca) gegen IBM von der eidgenössischen Justiz verhandelt wird. In dem seit einem Jahr anhängigen Verfahren geht es um Kompensationszahlungen, die das Unternehmen an die Sinti und Roma zahlen soll wegen Vergehen gegen diese Bevölkerungsgruppe während der Nazizeit. Bei der formellen Anhörung sollen zwei Fragen geklärt werden: Ist Genf als Gerichtsort für die Anspruchsklage von Girca zuständig? Und sieht das Schweizer Recht zeitliche Beschränkungen für kriminelle Vergehen vor, die sich gegen die Menschlichkeit richten? Nur wenn Genf als Gerichtsort anerkannt und die Frage der Verjährung verneint ist, wird der Prozess überhaupt fortgesetzt, sagte Henri-Philippe Sambuc, der die Girca anwaltlich vertritt.

In dem Hauptsacheverfahren geht es dann darum, Forderungen über Kompensationszahlungen von IBM an die Sinti und Roma durchzusetzen. Sambuc verweist in diesem Zusammenhang auf die Untersuchungen des US-Amerikaners Edwin Black. Dieser hatte in seinem Buch "IBM and the Holocaust; The Strategic Alliance Between Nazi Germany and America's Most Powerful Corporation" schwere Vorwürfe gegen Big Blue erhoben (in Deutschland beim Propyläen-Verlag, Berlin, erschienen im Frühjahr 2001 unter dem Titel: "IBM und der Holocaust. Die Verstrickung des Weltkonzerns in die Verbrechen der Nazis").

Laut Black, der bei seiner Arbeit von rund 100 Rechercheuren unterstützt wurde, haben es Hollerith-Rechenmaschinen und -Lochkarten der IBM-Tochter Dehomag den Bürokraten des Dritten Reichs ermöglicht, Krieg und Konzentrationslager in perfider Genauigkeit zu verwalten.Die Vorgänger der heutigen Computer fanden unter anderem bei den Volkszählungen 1933 und 1939 Verwendung. Dadurch waren Nazi-Statistiker in der Lage, Querverweise zwischen Namen, Adressen, Stammbäumen und Bankkonten zu erstellen. Diese Daten wurden Black zufolge für die systematische Verschleppung und Ermordung von Juden und anderen Minderheiten eingesetzt. Der Autor macht deutlich, dass der Völkermord zwar auch ohne IBMs Rechenmaschinen stattgefunden hätte, Nazi-Bürokraten diese jedoch systematisch zum Aufbau "effizienter" Strukturen verwendet hätten.

Gravierendstes Beispiel ist der Einsatz von Hollerith-Rechnern für die Verwaltung von Auschwitz und zwölf weiteren Konzentrationslagern. Mittels Lochkarten wurden die Insassen nach Gruppen wie "Homosexuelle", "Juden" und "Zigeuner" kategorisiert und zur Zwangsarbeit eingeteilt. Um die Argumentation für Genf als zuständigen Gerichtsort zu stützen, sagte der Girca-Anwalt Sambuc, seine Recherchen hätten ergeben, dass IBM seine Europazentrale von 1936 bis 1956 in Genf eingerichtet habe. IBM wollte sich zu dem schwebenden Verfahren nicht äußern. Big-Blue-Sprecher Brian Doyle sagte lediglich, die Anschuldigungen seien nicht substantiiert. (jm)