Schwarzmalerei

11.09.1981

Ein Redakteur der Badischen Zeitung wirkte als Transporteur von Informationen, die ausschließlich für die Ohren von Mitarbeitern der Kienzle Apparate Bau GmbH bestimmt waren. Der "blinde Passagier" war Zeuge, wie Jochen Kienzle auf einer Betriebsversammlung die derzeitige Situation des Schwarzwälder Unternehmens in düsteren Farben skizzierte: Erstmals seit dem Jahre 1948 seien Verluste in den Bereichen Datentechnik und Apparatebau eingetreten. Von April bis Juli dieses Jahres habe es sogar ein weiteres Umsatzminus von durchschnittlich 27 Prozent gegeben.

Aus Arbeitnehmersicht werten Insider die "Hiobsbotschaft" der Villinger Geschäftsführung als Schwarzmalerei, um Entlassungen und Kurzarbeit zu rechtfertigen.

Die Version der "Badischen" wird von der Kienzle-Pressestelle freilich als in Gänze falsch bezeichnet. Offizielle Kienzle-Darstellung: Die von Jochen Kienzle angeführten 27 Prozent markierten lediglich einen willkürlichen Haltepunkt. Außerdem hätten in den Monaten Juni und Juli dreiwöchige Betriebsferien stattgefunden. Umsatzrückgänge, bezogen auf das vergangene Geschäftsjahr, habe das Unternehmen weder im Inland noch im Ausland zu verzeichnen. Im Vorgriff auf den in Kürze zu erwartenden Jahresbericht weisen die Villinger vielmehr auf einen Umsatzzuwachs von fünf bis sechs Prozent hin.

Ist dies nicht auch wieder nur eine Seite der Medaille? Rückschlüsse auf einen Umsatzrückgang ließ nämlich Kienzle-Kennern zufolge die im April eingeführte Kurzarbeit zu, die rund 700 Beschäftigte betraf. Ein britischer Auftraggeber habe einen Auftrag für "gewisse Datensysteme" geschoben, hieß es seinerzeit in einer Presse-Erklärung. Zum damaligen Zeitpunkt war der Personalbestand auf 4779 Mitarbeiter gegenüber 4979 in 1980 geschmolzen. Am 1. August zählten die Villinger nur noch 4667 Beschäftigte. Nicht mehr ersetzte Ruheständler dazugenommen, ergebe sich ein Personalfraß von zehn Prozent.

Kienzle-Kenner wollen auch von Management-Querelen wissen, die es um den ABC-Computer 9055 gegeben habe. Sie weisen in diesem Zusammenhang auf den Weggang des einstigen Bindels-Kronprinzen Dr. Michael Hoffmann hin, der sich im Juli "äußerst kurzfristig"' entschlossen habe, bei Philips einzusteigen. Sowohl Hoffmann als auch der Geschäftsfuhrer des Bereichs Datentechnik, Dr. Gerd Bindels, weisen derartige Vermutungen entschieden zurück.

Dennoch: Als im Februar 1980 mit dem System 9055 die ABC-Ära begann, gab sich die Kienzle-Führung zuversichtlich. Angesprochen war die Werbefigur "Herr Krusebusch", die mit Kienzle-Hilfe das Computer-ABC lernen sollte. Etwa 1000 ABC-Systeme hoffte man im ersten, 2000 im darauffolgenden Jahr abzusetzen. Bindels ging sogar so weit, das Schicksal des Unternehmens mit dem Werdegang des "Krusebusch-Computers" zu verknüpfen.

Als absolutes Zugpferd bezeichnen Kienzle-Verkäufer heute dagegen den Bürocomputer 9066, der seit fast vier Jahren auf dem Markt ist und erst nachträglich in das ABC-Konzept aufgenommen wurde. Über Installationszahlen für den ABC-Schützen 9055 schweigt sich die Kienzle-Pressestelle aus. Mitarbeiter schätzen die Zahl der ausgelieferten Systeme auf 300.

Pikanterie am Rande: "Auf eigenen Wunsch" scheidet nun auch der langjährige Kienzle-Geschäftsführer Dr Martin Fahnauer aus. Mit Hans-Erich Bornemann betritt jetzt ein Manager des Anteilseigners Mannesmann das glatte Parkett in der obersten Kienzle-Etage. Auf der Villinger Betriebsversammlung habe er der Badischen Zeitung zufolge geäußert, er wolle die Zukunft des Unternehmens aktiv mitgestalten, zumal noch "schwere Zeiten" bevorstünden. Dies wurde bisher noch nicht zurückgenommen.