Die Software der eigenen Organisation angepaßt - nicht umgekehrt

Schwäbischer Mittelständler strickt sich seine PPS selbst

29.05.1998

Die AS/400 ist der klassische Mittelstandscomputer. Auch bei Christ hat eine IBM-Maschine dieses Typs lange als Datenbank- und Anwendungsplattform gedient. Noch in diesem Jahr soll sie endgültig abgeschaltet werden.

Dafür gibt es einige Gründe. Entscheidend war jedoch der Ärger, den Christ mit der Software für seine wichtigsten Anwendungsbereiche hatte. Rolf-Günter Krupezki, Vorstandsmitglied der Christ AG, ist heute noch wütend. Die Anfang der 90er Jahre eingeführte Standardsoftware für Produktionsplanung und -steuerung (PPS) sei nur ein "Softwarerumpf" gewesen, der sich auch mit Hilfe teurer Beraterstunden nicht habe an die eigenen Bedürfnisse anpassen lassen.

Die Christ-Produktion zeichnet sich durch eine gewollt große Fertigungstiefe und extrem vielfältige Produktvarianten aus. DV/Org.-Leiter Siegfried Goldhofer beziffert deren Zahl auf rund vier Millionen. Also fertigt Christ seine Autowaschanlagen quasi als Einzelaufträge - noch dazu mit völlig unterschiedlichen Laufzeiten: Bisweilen wird eine Lieferung mehrere Jahre im voraus disponiert; wenn es nötig ist, muß sie aber auch schon einmal in wenigen Wochen fertig sein. Das stellt hohe Anforderungen an die Flexibilität der internen Auftragsabwicklung - zumal Christ seinen zwölf Meistern ein großes Maß an Eigenverantwortung zubilligt. Sie können beispielsweise selbst entscheiden, mit welcher Priorität die betriebsinternen Aufträge zu bearbeiten sind. Da die AS/400-Software eine feste Reihenfolge vorsieht, mußte sie jedesmal ausgetrickst werden. In der Folge ließen sich die zurückgestellten Aufträge innerhalb des Systems nicht mehr weiterverfolgen. Krupezki: "Da blieb so manches liegen."

Das Fehlen einer flexiblen Auftragsverfolgung wirkte sich auch auf die Bestandsführung aus. Häufig kam es vor, daß die im System verzeichneten und die tatsächlichen Lagerbestände nicht übereinstimmten. Wie sich Krupezki erinnert, mußten die Disponenten, bevor sie einen Auftrag bestätigten, erst einmal nachzählen, ob die benötigten Einzelteile tatsächlich vorrätig waren.

Zunächst hoffte das Christ-Management, diese Mängel mit Hilfe der vorhandenen Software beheben zu können: Es holte weitere Berater ins Haus, überwarf sich daraufhin mit dem Lieferanten der Software, stellte AS/400-Experten ein und suchte über die CW Kontakt zu Unternehmen mit ähnlichen Problemen.

Als alles nichts fruchtete und die Mitarbeiter immer unzufriedener wurden, entschied das Unternehmen schließlich, noch einmal von vorn anzufangen. Die AS/400 sollte durch ein PC-Netz ersetzt werden. Dort wäre, so die Hoffnung der Schwaben, möglicherweise leichter eine passende Softwarelösung zu finden. 1993 startete Christ eine Ausschreibung für ein PC-basiertes PPS-System. An eine Handvoll Anbieter wurden die gewünschten Spezifikationen und die K.o.-Kriterien für das neue System verschickt. Die Hauptmerkmale waren

-verteilte Datenhaltung,

-ein PC-Netz als Plattform,

-Anwendungsintelligenz auf der Ebene der Meister,

-Unterstützung für Profit-Center (Unternehmen im Unternehmen) und

-besondere Flexibilität beim Starten des Betriebsauftrags.

Goldhofer will nicht ausschließen, daß es heute Software gibt, die diese Kriterien erfüllt. Damals aber hätten nur vier der zehn angeschriebenen Anbieter geantwortet; und auch diese seien nicht in der Lage gewesen, den Ansprüchen zu genügen, ohne zahlreiche Softwareschalter umzulegen. "Jeder Anbieter sagt, das können wir, aber keiner verrät, wieviel Aufwand das bedeutet", schimpft Vorstandsmitglied Krupezki. Diese "Scheinflexibilität" gehe zu Lasten der Performance und mache das System fehleranfällig. Fazit des Christ-Vorstands: Standardsoftware ist letztlich teurer als die Eigenentwicklung.

So beschloß das Christ-Management, mit eigenem Personal eine maßgeschneiderte PPS-Software zu entwickeln, die die Arbeitsweise der Mitarbeiter unterstützen statt behindern würde. Bei einem DV-Budget von 500000 Mark im Jahr klingt das nach einem unmöglichen Unterfangen. Andererseits brauchte sich das kleine Entwicklerteam nur auf die speziellen Anforderungen zu konzentrieren und konnte den Schnickschnack weglassen.

Trotzdem gingen mehr als zwei Jahre ins Land, bis im Sommer 1996 die ersten Module des neuen Systems eingeführt wurden. Und beinahe noch einmal so lange dauerte es, die restlichen Kernkomponenten fertigzustellen. Parallel führte Christ eine neue Organisation ein: Die Arbeitsvorbereitung wurde aufgelöst, und die Mitarbeiter wanderten in die Fachabteilungen. Im Zuge dieser Neuorientierung tauschte das Unternehmen beinahe das gesamte mittlere Management aus.

Auch DV-Org.-Leiter Goldhofer stieß erst nach dem Projektstart zum Unternehmen. Dennoch identifiziert er sich voll damit - auch mit der Entscheidung, das Microsoft-Tool "Foxpro" für die Entwicklung zu nutzen.

Mitterweile verwenden die Entwickler allerdings nur noch die objektorientierte Erweiterung "Visual Foxpro". Wo mehr Systemnähe gefordert ist, beispielsweise für die geplante Zeiterfassungskomponente, kommt "Delphi" von Inprise, ehedem Borland, zum Einsatz.

Die Möglichkeit, das System relativ problemlos um neue Module zu erweitern, verhindert nach Krupezkis Einschätzung die "Frustration", die fertige Standardsoftware bei den Mitarbeitern hervorrufe. Für die Unternehmensleitung dürfte aber ein anderes Argument entscheidend sein: Seit der Einführung des neuen Systems konnte die Otto Christ AG ihre Produktivität um 30 bis 40 Prozent steigern.

Die Firma

Die Otto Christ AG, Benningen, fertigt Waschanlagen für Autos und Nutzfahrzeuge. Das Familienunternehmen beschäftigt knapp 500 Mitarbeiter, die im vergangenen Jahr einen Umsatz von 134 Millionen Mark erzielten - 37 Prozent davon im Ausland. Sieben Zehntel ihrer Einnahmen beziehen die Schwaben entweder direkt von den Mineralölgesellschaften oder zumindest von Unternehmen aus deren Dunstkreis. Sie müssen folglich damit leben, daß ihnen eine Handvoll Großabnehmer die Konditionen diktiert und daß der Verkaufspreis im Wettbewerb immer wichtiger wird.