Geldmangel macht alternative IT-Konzepte interessant

Schwäbisch Hall baut komplett auf Linux

14.03.2003
MÜNCHEN (ls) - Die Stadt Schwäbisch Hall hat sämtliche Server auf Linux umgestellt. Jetzt beginnt die zweite Phase des ambitionierten Behördenprojekts, die Migration sämtlicher Client-PCs. Die Verantwortlichen wollen die DV-Kosten drastisch reduzieren.

Hermann-Josef Pelgrim ist nicht zu beneiden. Der Oberbürgermeister der pittoresken württembergischen 36000-Einwohner-Stadt Schwäbisch Hall muss 2003 mit 60 Millionen Euro weniger auskommen als vor zwei Jahren. Allein die Gewerbesteuer-Einnahmen sind um 85 Prozent zurückgegangen.

Überall muss gespart werden - und das, wo der städtischen Datenverarbeitung sogar höhere Kosten ins Haus standen. Denn Microsofts Politik erzwang einen Wechsel von Windows NT zu XP sowie den entsprechenden Office-Produkten und hätte gleichzeitig höhere Ausgaben für Lizenzen zur Folge gehabt. Alternativen waren willkommen.

Seit 1997 hatte die kleine Truppe unter Leitung von DV-Koordinator Horst Braeuner mit Linux Erfahrungen gesammelt. Zunächst ging es nur um überschaubare Internet-gerichtete Anwendungen, später kamen File- und Print-Server sowie Datenbanken unter Linux hinzu. Der Befund: Mit Open-Source-Software sind weit preisgünstigere Lösungen möglich als mit kommerziellen Anwendungen.

Der Einbruch der städtischen Einnahmen veranlasste Braeuner, die IT-Kosten noch einmal zu berechnen. Das Ergebnis: Bei einer Migration der 300 vernetzten und diverser Stand-alone-PCs auf Linux und Open-Source-Anwendungen ließe sich zehnmal mehr sparen als durch die Umstellung der Server. Daraufhin gab es grünes Licht vom OB: "Die Umstellung kann beginnen!"

Pelgrim: "Wir hätten mit Linux sicher nicht angefangen, wenn wir nicht an allen Ecken und Enden hätten sparen müssen." Inzwischen nennt der OB jedoch weitere Argumente: "Zweitens soll unsere IT sicherer werden; die Fachleute stellen Linux in dieser Hinsicht hervorragende Noten aus. Drittens setzen wir auf offene Standards, die eine Wahlfreiheit unter den technischen Angeboten sichern."

Unerwartet erhielt das Linux-Projekt im Oktober letzten Jahres Vorschub, als IBM und Suse darauf aufmerksam wurden. Big Blue fragte an, ob Interesse an einem Pilotprojekt bestehe. Schon am 18. November unterzeichneten die Stadt, IBM und der Linux-Distributor einen Vertrag, bis Ende 2004 sämtliche Server und Client-PCs auf Linux und Open-Source-Anwendungen umzustellen.

IBM liefert die Hardware, vor allem Blade-Server (HS20), unter den besonders günstigen Bedingungen, wie sie zwischen dem Bundesinnenministerium und Big Blue für die öffentliche Verwaltung abgemacht sind. Auf den HS20 wird als Betriebssystem der "Suse Linux Enterprise Server" installiert. Die Arbeitsplätze werden mit "Suse Linux Enterprise Client" ausgestattet.

Bereits Ende Januar 2003 waren alle Server erneuert und unter Linux in Betrieb. Ende Februar startete Phase zwei des Projekts, die Umstellung der Clients. Das "Open-Office"-Paket, die Datenbanken "MySQL" und "PostgreSQL", die Browser "Mozilla" und "Konqueror" sowie "K-Mail" und die Groupware "Skyrix" treten an die Stelle von Microsoft-Programmen.

Der erste PC, der auf Linux umgestellt wurde, darauf legte OB Pelgrim Wert, war sein eigener - "um ein Signal zu setzen". Nach einer Befragung unter den Mitarbeitern der Stadtverwaltung stehen 90 Prozent dem Open-Source-Projekt erst einmal skeptisch gegenüber. Ein "Kickoff-Meeting" Ende Februar verhalf ihnen zu der Erkenntnis, dass die Open-Source-Anwendungen ähnlich zu bedienen sind wie die gewohnten Microsoft-Programme.

Jetzt werden, im Gegensatz zu anderen Linux-Projekten, zunächst jene Ämter auf Open Source umgestellt, die am meisten mit Microsoft-Anwendungen arbeiten. Das ist als erstes das Bürgeramt. Danach sind die Behörden dran, die Fachanwendungen benutzen. Für etliche dieser Programme haben die Hersteller Linux-Versionen angekündigt. Andere sollen über Windows-Emulatoren wie "Wine" von Codeweavers oder Server-basierend über den Linux-ICA-Client von Citrix laufen.

In sechsstelliger Höhe sparen

Weniger problematisch sind zentrale Fachanwendungen, die Schwäbisch Hall seit den 70er Jahren als Dienstleistung vom "Kommunalen Informations-Verbund Baden-Württemberg" (kivbw) bezieht. Es handelt sich dabei um Mainframe- und Unix-basierende Programme, beispielsweise R/3 oder für das Meldewesen. Für sie gibt es Client-Emulationen, oder sie werden als Web-Frontends via Browser und per Java auf dem Client aufgesetzt. Braeuner und Pelgrim loben ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit den kivbw-Rechenzentren in Karlsruhe und Freiburg.

Der Vertrag mit Suse und IBM sieht die Einrichtung eines "Kommunalen Linux-Competence-Center" (Klicc) vor. Dieses soll die Mitarbeiter der Stadtverwaltung über Linux informieren und in Kooperation mit der lokalen Volkshochschule entsprechend schulen.

Das Linux-Projekt der gut 60 Kilometer nordöstlich von Stuttgart gelegenen Stadt hat solche Aufmerksamkeit erregt, dass DV-Chef Braeuner von E-Mails überflutet wird. Die entfernteste Bitte um weitere Informationen kam aus Chile. Nach genaueren Auskünften fragten über 30 deutsche kommunale Behörden.

Der Informationsbedarf dürfte noch anwachsen, wenn Schwäbisch Hall das gelingt, was die Verantwortlichen ausgerechnet haben. OB-Pelgrim und DV-Chef Braeuner kalkulieren, dass sie schon in diesem ersten Jahr statt 139000 Euro für die Microsoft-Lizenzen nur rund 26000 Euro für die Open-Source-Option ausgeben müssen. Der Stadtsäckel würde um 113000 Euro weniger belastet. Und das ist nur der Anfang: Bei Microsoft wären alle zwei Jahre gut 250000 Euro für das obligatorische Update unter der "Software-Assurance" fällig. Bei Linux gibt es diesen Kostenblock erst gar nicht.

Steckbrief

Ziel: Umstellung einer Microsoft-Umgebung auf Linux und Open-Source-Programme

Anwender: Stadt Schwäbisch Hall

Umfang: für die gesamte Stadtverwaltung

Herausforderung: erste Komplettmigration im öffentlichen Dienst, Pilotprojekt

Zeitrahmen: November 2002 bis Dezember 2004

Stand: Server sind umgestellt

Aufwand: "darf nichts kosten"

Ergebnis: deutlich verringerte Lizenzkosten

Basis: Intel-basierende IBM-Server, "Suse Linux Enterprise" für Server und Clients.

Realisierung: Eigenleistung, IBM, Suse

Nächster Schritt: Umstellung der Clients von Windows 9x und NT auf Linux