"In etwas Neues reingerutscht"

Schulen hilflos bei "Sexting"

19.03.2014
"Sexting" heißt der rasche Austausch intimer Fotos mit Hilfe von Smartphones. Experten versuchen nun das bundesweite Ausmaß des Phänomens zu erfassen. An einer Schule in Nordrhein-Westfalen wurde derweil ein besonders heikler Fall bekannt.

Schnappschüsse wechseln blitzschnell den Besitzer, sind mit zwei Klicks im Internet veröffentlicht. Das Foto-Smartphone ist der Begleiter der Jugend. Damit einher geht inzwischen ein heikles Phänomen: "Sexting". So nennt man den Austausch intimer Fotos über Foto-Handys mit Programmen wie Whatsapp oder Snapchat. Die Schulen in Deutschland sollten sich darauf einstellen, sagt der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer der Nachrichtenagentur dpa. "Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass wir hier in etwas Neues reingerutscht sind." Auch Jugendschützer schlagen Alarm.

Der Begriff "Sexting" ist eine Kombination aus den Wörtern "Sex" und "Texting", letzteres steht im Englischen für den Versand von Handy-Botschaften. Lokalen Umfragen in Ostdeutschland zufolge hat bereits jedes fünfte Mädchen und jeder zehnte Junge einschlägige Erfahrungen gesammelt. "Wir versuchen nun, das wahre Ausmaß bundesweit zu erfassen", kündigt der Kriminalitätsforscher an.

Wenn die Beziehung zerbricht, oder die Bilder in falsche Hände geraten, könne aus Sexting sehr schnell Cybermobbing werden, warnt Pfeiffer, etwa wenn der Verflossene die Bilder aus Rache ins Internet stellt: "In den USA hat es deswegen schon Selbstmorde gegeben."

Auch juristisch ist der Bildertausch problematisch: Das Versenden von Nacktbildern Minderjähriger kann unter Umständen als Verbreitung von Kinderpornografie gewertet werden.

Viele Erwachsenen haben noch nie von Sexting gehört: "Die Mehrheit der Lehrer ist absolut szenefremd. Auch die Eltern haben Schwierigkeiten, über die Auswüchse der virtuellen Welt Bescheid zu wissen", erklärt Benjamin Wockenfuß, Experte der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen. Dort hat man jetzt mit der Schulung von Lehrern begonnen.

Auch Kriminalitätsforscher Pfeiffer hat in den vergangenen Wochen ein Gymnasium in Willich (Nordrhein-Westfalen) nach einem Skandal um Sexting und sexuelle Belästigung beraten. Der Fall offenbarte eine besondere Qualität: Die Machenschaften sollen dort von einem Lehrer ausgegangen sein. Auf Speichermedien hatte die Polizei bei dem Pädagogen Nacktfotos von Schülerinnen entdeckt, die diese ihm zugeschickt haben sollen. Daraufhin hatte der Schulträger externen Expertenrat gesucht.

"Die Schule hat nun beschlossen, zwei Vertrauenslehrer eigens für Sexting und Cybermobbing einzusetzen und auszubilden", sagt der Berater. Außerdem soll mit einer Umfrage unter den Schülern herausgefunden werden, ob das Problem ein noch größeres Ausmaß hat.

Bei der Analyse des Falls hatte sich gezeigt, dass die Beschwerden, Verdachtsmomente und Hinweise auf den Lehrer nirgendwo zusammengeführt wurden. Der Sportlehrer sei zwar jeweils von einzelnen Lehrern angesprochen worden, habe sich aber jedes Mal herausreden können. Obwohl es sich um eine vorbildliche Schule handele, hätten "die Lehrer nicht immer richtig reagiert", sagt Pfeiffer.

Vier Mal hatten sich Schülerinnen an Lehrer gewandt, nur in einem Fall sei die Polizei eingeschaltet worden. So hätten auch die Ermittler nur von einem Bruchteil der Verdachtsmomente erfahren. "Man hätte dem Täter eine Falle stellen und zum Schein auf die von ihm angebotene, persönliche Sport-Nachhilfe eingehen können. Die hatte er mehreren Schülerinnen anonym über Facebook angeboten", sagt Pfeiffer.

Der Fall war schließlich von ganz anderer Seite ans Licht gekommen: Der 28-jährige Lehrer steht inzwischen unter Verdacht, seinen Cousin erschlagen zu haben: Bei den Mord-Ermittlungen war man auf die Fotos der Schülerinnen gestoßen. (dpa/tc)