Ab 1. Januar: Auch die IT-Branche muss sich umstellen

Schuld- und Vertragsrecht geändert

14.12.2001
Der Gesetzgeber lässt die IT-Branche nicht zur Ruhe kommen: Zum Januar werden grundlegende Regeln nicht nur für die Verjährung und den Verzug, sondern auch für Kauf- und Werkverträge tief greifend geändert. Von Martin Schweinoch und Stefan Krätschmer*

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) als "Bibel" des deutschen Zivilrechts in ihren Grundzügen unverändert den immer rascheren Innovationen getrotzt. Damit hat es nun ein Ende: Am 29. November wurde mit dem "Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts" eine grundlegende Reform zentraler Regelungen für alle Verträge verkündet.

Mit dem neuen Gesetz steigen die Verzugszinsen weiter an: Für ab Januar entstehende Ansprüche aus Geschäften ohne Verbraucherbeteiligung betragen sie acht Prozent über Basiszins (derzeit 11,62 Prozent). Verzug kann für Ansprüche auch auf neue Weise eintreten: Ist eine Leistung innerhalb einer bestimmten Frist nach einem Ereignis vereinbart, tritt mit Ablauf dieser Leistungszeit automatisch Verzug ein. Beispiele dafür sind Vereinbarungen wie "Zahlung zwei Wochen nach Rechnungserhalt" oder "Lieferung 14 Tage nach Abruf". Auch ohne solche Vereinbarungen kann Verzug bei Entgeltforderungen automatisch 30 Tage nach Fälligkeit und Erhalt einer Rechnung eintreten. Gegenüber Verbrauchern ist dafür aber zusätzlich ein Hinweis auf diese Folge in der Rechnung notwendig.

Verjährungsfrist drastisch verkürztDie Verjährungsregeln wurden grundlegend überarbeitet, die Verjährungsfristen teilweise drastisch verkürzt. Die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren (anstatt von bisher 30 Jahren) gilt immer dort, wo keine spezielle Verjährungsfrist vorrangig eingreift. Sie beginnt am Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Inhaber des Anspruchs von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit haben müsste.

Neu ist auch, dass bei Verhandlungen über einen Anspruch oder die ihn begründenden Umstände die Verjährung nicht weiterläuft. Darunter wird man in der Praxis wohl auch die Bearbeitung einer Störungsmeldung etwa durch eine Hotline verstehen müssen. Die Verjährungsfrist läuft dann erst weiter, wenn die Fortsetzung dieser "Verhandlungen" von einer der beiden Seiten verweigert wird, und endet frühestens drei Monate später.

Nicht nur das Recht für alle Kaufverträge wird wesentlich geändert, sondern auch ein neuer Typ des Kaufvertrags besonders geregelt: der Verbrauchsgüterkauf. Für alle Kaufverträge ab Januar 2002 gelten neue Regeln zur Definition der geschuldeten Eigenschaften der verkauften Ware. Zunächst treffen die vertraglich vereinbarten Eigenschaften und dazu nachrangig die Eignung zur vertraglich vorausgesetzten Verwendung zu.

So weit sich bestimmte Eigenschaften so nicht ermitteln lassen, muss sich die Ware für ihre gewöhnliche Verwendung eignen und die dafür zu erwartenden Eigenschaften aufweisen. Für diese sind neu auch Aussagen zu Eigenschaften - durch den Hersteller oder Verkäufer - in der Produktkennzeichnung und der Werbung heranzuziehen, außer der Verkäufer musste diese Aussagen nicht kennen. "Vollmundige" Werbeaussagen bestimmen künftig also die nach dem Kaufvertrag geschuldeten Eigenschaften der beworbenen Waren.

Bleibt die gelieferte Ware hinter den geschuldeten Eigenschaften zurück, ist sie mangelhaft. Der Käufer kann künftig selbst im Rahmen seines neuen Nacherfüllungsanspruchs wählen, ob der Verkäufer auf eigene Kosten die gelieferten Waren nachzubessern oder neue Waren zu liefern hat. Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung nur ablehnen, wenn sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist. Erfolgt die Nacherfüllung nicht innerhalb einer vom Käufer gesetzten Frist, kann der Käufer durch einseitige Erklärung die Vergütung herabsetzen (mindern) oder den Kaufvertrag zurückabwickeln (zurücktreten).

Neu und zusätzlich zu diesen Rechten hat der Käufer dann gegen den Verkäufer einen Anspruch auf Schadensersatz für Schäden durch mangelhafte Erfüllung des Kaufvertrages. Dieser Ersatzanspruch ist gesetzlich in der Höhe unbeschränkt. Er entfällt nur, wenn der Verkäufer nachweisen kann, dass er die Verletzung der Pflicht zur Lieferung mangelfreier Ware nicht - etwa wegen Fahrlässigkeit - zu vertreten hat. Dieser Nachweis wird in der Praxis häufig aber kaum zu erbringen sein. Die Frist, in der ein Verkäufer für Mängel bei Übergabe der verkauften Ware an den Käufer haften muss, ist deutlich verlängert: Sie beträgt künftig zwei Jahre statt bisher sechs Monate.

Kaufverträge anpassenAuch diese Änderungen bedeuten akuten Handlungsdruck für die Verkäuferseite: Die Kaufverträge sind grundlegend an die neue Situation anzupassen, bevor sie ab dem 1. Januar verwendet werden können. Alte Regelungen gerade in Standard-Kaufverträgen werden bei einem Vertragsabschluss nach dem 1. Januar 2002 häufig unwirksam sein. Statt dieser Klauseln gilt dann das Gesetz - einschließlich der betragsmäßig unbegrenzten Schadensersatzhaftung.

Deutlich verändert wird auch der Anwendungsbereich des Kaufrechts: Bisher gilt für die Lieferung beweglicher Sachen, die nicht übliche Handelsware sind, das Werkvertragsrecht. Das beinhaltet auch die Abnahmeprüfung und -erklärung durch den (Werk-)Besteller. Künftig regelt das Kaufrecht auch die Herstellung beweglicher Sachen nach individuellen Vereinbarungen und Vorgaben des Kunden - und dazu gehört auch Software. Zusätzlich sind dann einzelne Vorschriften des Werkvertragsrechts anwendbar, etwa für mangelnde Mitwirkung des Käufers und eine Vertragskündigung aus diesem Grund durch den Verkäufer. Andererseits ist der Käufer berechtigt, den Vertrag auch ohne irgendeinen Grund jederzeit zu kündigen. Allerdings muss er dem Verkäufer dann die vereinbarte Vergütung bezahlen und kann davon nur ersparte Aufwendungen des Verkäufers abziehen.

Keine Abnahmeprüfung für die SoftwareDiese Änderungen klingen zwar auf den ersten Blick recht abstrakt. Die Umsetzung eines umfangreichen Projekts zur Softwareerstellung nach den Regeln des Kaufrechts mit einzelnen werkvertraglichen Ergänzungen führt aber zu deutlichen Veränderungen für die Praxis: Die Individualsoftware unterliegt keiner Abnahmeprüfung mehr, eine Abnahmeerklärung durch den Auftraggeber ist nicht mehr erforderlich. Der Auftragnehmer muss im Zweifelsfall nicht mehr nachweisen, dass die Lösung alle vereinbarten Anforderungen erfüllt, um eine Abnahmeerklärung und die Fälligkeit der Vergütung zu erreichen. Die Frist für die Verjährung von Ansprüchen wegen Mängeln beginnt mit der bloßen Ablieferung der Individualsoftware beim Auftraggeber. Allerdings haftet der Auftragnehmer bei Mängeln dann möglicherweise auch auf Schadensersatz - eben nach den neuen Kaufregeln.

Die notwendigen Änderungen für das Geschäftsmodell, die einzusetzenden Verträge und die Kalkulationsgrundlagen sind auf Auftragnehmerseite jeweils rasch bis zum Januar zu analysieren und umzusetzen. Denn für Neuverträge gilt das neue Schuldrecht bereits ab diesem Zeitpunkt uneingeschränkt. Alte Vertragsmuster in der Zeit danach wiederzuverwenden führt zu kaum absehbaren Risiken. Das kann und darf die Geschäftsführung eines Anbieters nicht eingehen. (am)

*Martin Schweinoch und Dr. Stefan Krätschmer sind Rechtsanwälte in der Münchner Kanzlei Schweinoch Tacke Roas (www.s-t-r.de).

Akuter HandlungsbedarfDa das geänderte Recht für alle ab Januar neu abzuschließenden Verträge ohne Einschränkungen gilt, ist nicht mehr viel Zeit, um sich auf die Änderungen vorzubereiten. Für davor abgeschlossene Verträge bleibt es bei dem bisherigen Recht. Ausnahme: Für vor dem 1. Januar 2002 vereinbarte Dauerschuldverhältnisse gilt ab Januar 2003 ebenfalls das neue Recht. Dauerschuldverhältnisse sind Vereinbarungen für Leistungen über eine längere Zeit. Davon gibt es in der IT-Branche nicht gerade wenige: von Wartungs- und Pflegeverträgen über Vertriebs- und Kooperationsvereinbarungen bis hin zu Rahmenverträgen.

Ob ein Rahmenvertrag ein Dauerschuldverhältnis darstellt, entscheidet sein Inhalt: Begründet er selbst - ohne weitere Einzelverträge - echte Leistungspflichten, ist er wohl als Dauerschuldverhältnis zu verstehen, für das altes Recht noch bis 31. 12. 2002 weiter gilt. Trifft er aber nur Regelungen, die noch keine konkreten Leistungspflichten beinhalten, gilt für die erste darauf basierende Leistungsvereinbarung im neuen Jahr auch neues Recht - und damit auch für die Inhalte des Rahmenvertrags. Viele Vertragsregelungen werden unter neuem Recht aber unerwünschte Effekte auslösen oder - gerade in Standardverträgen - sogar unwirksam sein. An Stelle unwirksamer Vertragsklauseln gilt dann die gesetzliche Neuregelung.

Für die Vertragspartner besteht daher akuter Handlungsbedarf: Die Inhalte sind auf ihre Verträglichkeit mit dem neuen Recht zu überprüfen. Sollen Verträge nach dem 1. Januar 2002 abgeschlossen werden oder beinhaltet ein Rahmenvertrag noch keine konkreten Pflichten, müssen Analyse und Anpassung bereits bis zum 1. Januar 2002 erfolgen. Begründet ein Dauerschuldverhältnis konkrete Pflichten, muss die Anpassung bis zum 1. Januar 2003 erledigt sein.

Die Verjährungsfristen unterscheiden sich teilweise erheblich vom bisherigen Recht: Die Übergangsregelungen sehen vor, dass für am 1. Januar 2002 noch nicht verjährte Ansprüche immer die kürzeste Verjährungsfrist aus dem alten oder neuen Recht gilt.