Mit moderner Planungsphilosophie frühzeitig die Weichen stellen:

Schrittweiser Aushau sticht als Trumpfkarte

07.02.1986

Gerade mittelständische Unternehmen stehen mehr und mehr vor der Notwendigkeit, Ihre Produktion durch Einsatz eines DV-gestützten PPS-Systems zu rationalisieren. Der Einsatz eines solchen Konzepts stellt eine schwerwiegende unternehmerische Entscheidung dar nicht zuletzt deshalb, weil investive Mittel nur in begrenztem Umfang verfügbar sind.

In den letzten 15 Jahren hat sich bei den Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen eine einheitliche Konzeption durchgesetzt, die für sich beansprucht, hochintegriert zu sein. Diese "Scheinintegration" wird jedoch mit einem hohen Aufwand für Planung, Steuerung und Auswertung erkauft.

Historisch betrachtet wurden zuerst für einzelne Funktionsbereiche Teilsysteme entwickelt. Anschließend versuchte man, diese unterschiedlichen funktionsorientierten Teilsysteme miteinander zu verbinden. Bei auftragsunabhängiger Serienfertigung mag dieser Versuch gelingen; bei auftragsorientierter Einzel- und Kleinserienfertigung dagegen schlägt er jedoch fehl. Dazu ein Beispiel:

Innerhalb der Materialdisposition erfolgt zuerst mit hohem Aufwand die Ermittlung des für das Produktionsprogramm erforderlichen Primär- und Sekundärbedarfs periodengerecht. In der anschließenden Kapazitätsterminierung werden beim Abgleich - zum Beispiel aufgrund kundenspezifischer Auftragsprioritäten und Ressourcenverfügbarkeiten - in der Regel neue Bedarfstermine errechnet. Daraufhin muß die Materialdisposition unter Berücksichtigung der neuen Termine wiederholt werden. Dieser Prozeß kann mehrmals erforderlich sein, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht ist.

Weiterhin erweisen sich die derzeit eingesetzten Systeme der Material- und Zeitwirtschaft überfordert damit, die Zeitspanne zwischen Auftragseingang und Beginn der Fertigung - Abklärung, Konstruktion, Materialdisposition und Arbeitsvorbereitung - effizient zu planen. Aber genau in dieser Zeitspanne, die mehr als 50 Prozent der Gesamtdurchlaufzeit ausmacht, besitzt ein Einzelfertiger die größte Chance, die Durchlaufzeit zu verkürzen.

Die statische, funktionsorientierte Betrachtungsweise der traditionellen PPS-Systeme führt bei auftragsorientierter Fertigung zu endlosen Computerläufen, deren Ergebnisse oft erst nach Abschluß der Produktion vorliegen. Ein völlig neuer Ansatz ist der dynamische, vorgangsorientierte Entwurf, so wie er sich bei der Methode von Structured Analysis für die Softwareentwicklung bereits bewährt hat. Dabei ergeben sich aus der Beschreibung der erforderlichen Ressourcen die zur Bereitstellung benötigten Vorgange und Abläufe.

Das hier vorgestellte System ist - ausgehend von dieser Planungsphilosophie- gekennzeichnet durch benötigte Ressourcen, Arbeitsvorgänge, um diese Ressourcen bereitzustellen und Anordnungsbeziehungen zwischen diesen Vorgängen. Ressourcen sind dabei alle betrieblichen Einsatzmittel, die bei einem Vorgang verbraucht oder gebraucht werden, so zum Beispiel Material (Rohmaterial, Teile, Gruppen) Mitarbeiter, Betriebsmittel (Werkzeuge, Vorrichtungen, Maschinen), Stücklisten, sowie Zeichnungen und Stromlaufpläne.

Simultane Betrachtung löst viele Probleme

Unter einem Vorgang wird nach DIN 69 900 ein zeitforderndes Geschehen mit definiertem Anfang und Ende verstanden. Ein Vorgang kann zum Beispiel sein:

- die Konstruktion eines Teiles

- die Stücklistenerstellung für eine Gruppe

- die Ermittlung und Bestellung der benötigten Kaufteile

- die Planung der Fertigung der Teile

- ein Fräsvorgang

- die Planung der Montage einer Baugruppe

- die Montage der kompletten Maschine

Ein Vorgang kann aus mehreren Untervorgängen bestehen, die Untervorgänge ihrerseits wiederum aus Untervorgängen. Anordnungsbeziehungen (ein Begriff aus der Netzplantechnik) zeigen, welche Vorgänge vor einem betrachteten Vorgang bearbeitet werden müssen und welche nach dem betrachteten Vorgang bearbeitet werden können oder müssen.

Die gemeinsame und simultane Betrachtung der Ressourcen Mitarbeiter, Maschinen und Material im zeitlichen Ablauf löst viele Probleme, die zwischen der traditionellen Material- und Zeitwirtschaft bestehen. Wirklich entscheidend ist aber erst die Einbeziehung der Ressourcen Stückliste, Zeichnung, genehmigungspflichtige Unterlagen und Stromlaufpläne. Die Verfügbarkeit dieser Ressourcen bestimmt die Termine für Einkauf und Arbeitsvorbereitung, sie läßt somit erst eine Gesamtplanung von der Auftragserklärung bis zur Montage zu.

Die simultane Betrachtung der erforderlichen Vorgänge zur Durchführung eines Auftrages von der technischen Klärung über Konstruktion, Einkauf, Fertigung und Montage würde zu Netzplänen mit Tausenden von Vorgängen führen. Solche Netzpläne sind - bei gleichzeitiger Prüfung der Verfügbarkeit der Ressourcen - kaum rechenbar und für den Anwender nicht handhabbar.

Der entscheidende Schritt zur Vermeidung übergroßer Netze, die niemand verantwortlich pflegen kann, ist die Einführung von Netzhierarchien. Als zentrale Stelle für die Auftragsplanung und Auftragsverfolgung muß die Auftragsleitstelle den Gesamtüberblick über den Auftragsstatus besitzen. Dazu benötigt sie ein Gesamtnetz des Auftrags über alle an der Auftragsabwicklung beteiligten Bereiche.

An das Netz der Auftragsleitstelle (AL-Netz) sind folgende Anforderungen zu stellen: Das Gesamtnetz muß überschaubar sein, das heißt der Feinheitsgrad der Vorgänge darf nicht zu groß werden. Der Aufwand für die Terminierung hat vertretbar zu bleiben. Neben den Vorgangsterminen muß auch die kapazitätsmäßige Auslastung der Teilbereiche erkennbar sein. Mit dem AL-Netz sollten die verfeinerten, unabhängigen Teilnetze der Einzelbereiche geplant, überwacht und koordiniert werden können.

Die Grobvorgänge der Auftragsleitstelle beinhalten die Ecktermine für die Feinplanungen der Einzelbereiche. Ergeben die Feinplanungen der Fachbereiche, daß die von der Auftragsleitstelle vorgegebenen Ecktermine nicht haltbar sind, erfolgt eine unmittelbare Rückmeldung an die Auftragsleitstelle. Dadurch ist gewährleistet, daß die Auftragsleitstelle über alle Planungsänderungen umgehend informiert ist, die Planungsauswirkungen überschaut und zudem die Änderungen im Dialog unmittelbar durchführen kann.

Werden mehrere Projekte gebildet (AL-Projekt, Bereichs- und Teilbereichsprojekte), die unabhängig voneinander ablaufen können, muß ein Projektmanagementsystem geschaffen werden, das die Koordination zwischen den einzelnen Projekten eines Kundenauftrags gewährleistet.

Die Forderung nach einer simultanen Betrachtung von Ressourcen und den dazu benötigten Vorgängen im zeitlichen Ablauf ist bisher von keinem PPS-System verwirklicht. Traditionell beschränkt man sich weiterhin darauf, funktionsorientiert Teilbereichsplanungen - fast ausschließlich unter Betrachtung der Teilbereichsressourcen - durchzuführen. In umständlichen Computerläufen erfolgt dann eine sukzessive Abstimmung der Gesamtressourcen. Diese Vorgehensweise ist primär bedingt durch die begrenzten Möglichkeiten der Systemtechnik vergangener Jahre.

Die dargestellte Architektur moderner, effizienter PPS-Systeme erfordert eine verstärkte Dezentralisierung und Strukturierung der Planungs- und Steuerungsaufgaben sowie flexiblere Planungsstrukturen.

Diese Postulate können jedoch erst durch zwei Entwicklungstrends der

letzten Jahre erfüllt werden:

- Neue Entwicklungen in der DV-Technologie, vor allem durch preisgünstige Mikrocomputer, die ringförmig miteinander vernetzt sind. Diese ermöglichen dem Nutzer, auf alle Ressourcen (Dateien, Programme, Geräte) im Ring zuzugreifen, so als ob diese lokal verfügbar wären. Ein solches ringförmiges Netzwerk besteht aus dedizierten Workstations, die sich jederzeit durch Einbindung neuer Rechner erweitern lassen. Bei Ausfall eines Rechners können alle anderen im Ring unbeschadet weiterarbeiten.

- Sprachen der 4. Generation auf der Basis eines relationalen Datenbanksystems. Solche Entwicklungstools bestehen in der Regel aus einem integrierten Bausteinsystem mit relationaler Datenbank, Abfrage- und Manipulationssprache, Report-Generator, Formular- und Maskengenerator, Sicherheits- und Datenschutzsystem sowie integriertem Data Dictionary.

Mit Hilfe eines ringförmigen Netzes lassen sich Funktionen der derzeit zentral ausgerichteten PPS-Systeme in dezentral ausgerichtete "Inselsysteme" auslagern. Alle Benutzer können unabhängig voneinander bei optimalem Antwortzeitverhalten arbeiten. Das übergeordnete PPS-System übernimmt bei gröberer Auslegung die koordinierende Funktion. Dabei ist der Informationsfluß zwischen Leit- und Inselsystem für Auftragsvorgabe und Rückmeldung gesichert, denn im Ring kann jeder auf alle Ressourcen zugreifen.

Relationaler DB-Ansatz ist bei PPS von Vorteil

Ein solch zukunftsträchtiges, integriertes PPS-System kann mit vertretbarem Aufwand und vorgesehenem Aufgabenumfang nur mit Hilfe einer flexiblen Informations-System-Architektur erstellt werden. Der relationale Datenbankansatz mit seinen entwicklungsfreundlichen Tools, seiner hohen Auskunftsfähigkeit und flexiblen Änderbarkeit ist dabei den starren Netzwerk-Datenmodellen der traditionellen PPS-Systeme weit überlegen.

Bei der Auswahl eines relationalen Datenbanksystems für ein PPS-System sollte einer NFR-Datenbank ("non first normal form relations") der Vorzug gegeben werden. NFR-Datenbanken erlauben auch "nicht normalisierte" Relationen. Rein relationale Datenbanken dagegen lassen nur flache Datenstrukturen (einwertige Felder) zu. Aber gerade für ein PPS-System werden zur Verarbeitung der Netzstrukturen von Stücklisten oder Netzplänen mehrwertige Felder - mit denen Über- und Unterordnungen abgebildet werden können - benötigt. Damit fallen die rein relationalen Datenbanken für die PPS-Problematik aus. Mit diesen wäre aus Performance- und Datenspeichergründen eine effiziente Bearbeitung von Stücklisten oder Netzplänen nicht möglich.

Streben nach CIM auch für ungeeignete Systeme

Obwohl die traditionellen PPS-Systeme den Anforderungen nach Integrationsfähigkeit und flexiblen Planungsstrukturen nicht genügen, strebt man ungeachtet dessen - auf der Basis dieser veralteten Systeme - mit CIM (Computer Integrated Manufacturing) die Integration zusätzlicher Aufgabengebiete an. Hierbei werden zum Beispiel Aufgabenbereiche wie CAD (Computer Aided Design), CAE (Computer Aided Engineering), CAM (Computer Aided Manufacturing) integriert mit den traditionellen PPS-Systemen gesehen.

Aber gerade eine solch anspruchsvolle Gesamtkonzeption verlangt den Einsatz modernster Systemtechnik (ringförmiges Rechnernetz, flexible Datenbanksoftware) sowie Planungskonzepte. Denn im CIM-Konzept gilt es, technische und betriebswirtschaftliche Daten miteinander zu verbinden. Dabei gewinnen die Eigenschaften moderner Systemtechnik weiter an Bedeutung.

- Flexible Informations-System-Architektur, um neue Aufgabenstellungen mit vertretbarem Aufwand zu entwickeln.

- Flexible Planungsstrukturen, um aus vorhandenen Informationen die für andere Aufgabenstellungen benötigten Daten zu gewinnen oder aber um zusätzliche Aufgabenstellungen in das vorhandene System problemlos zu integrieren.

- Ausfallsichere Datenbanksysteme, um zum Beispiel im Rahmen von CAM die sich aus der Produktionssteuerung ergebenden Vorgaben für die Prozeßsteuerung zu nutzen und umgekehrt, um die aus der Prozeßsteuerung gewonnenen Echtzeitdaten für die Rückmeldung zu verarbeiten.

- Ein Ring von Mikrocomputern, wobei die Inselsysteme lokal arbeiten, aber das Leitsystem dennoch auf alle verfügbaren Daten im System zugreifen kann. Denn nur so sind bei einem solch umfassendem System vertretbare Responszeiten und ein überschaubarer Datenverwaltungsaufwand möglich.

Investitionsentscheidungen frühzeitig vorbereiten

Der Schritt in Richtung CIM-Konzept sollte nur gewagt werden, wenn diese Voraussetzungen erfüllbar sind. Für alle, die vor der Investitionsentscheidung für ein PPS-System stehen, gilt es, mit moderner Planungsphilosophie und Systemtechnik frühzeitig die Weichen zu stellen. Hierbei bietet sich gerade für mittelständische Unternehmen die Chance, ihr individuelles PPS-System unter Verwendung von flexibler Datenbanksoftware und einem ringförmigen Rechnernetz - ihren liquiden Mitteln und ihrem Einführungsstand entsprechend - schrittweise auf- und auszubauen. Bis zur Realisierung eines umfassenden CIM-Konzepts ist dann noch ein weiter Weg.

*Dr. Dieter Klaus ist Geschäftsführer der Infodas Gesellschaft für Systementwicklung und Informationsverarbeitung mbH, Köln.