Mit Computer Gesundheitsmängel nach Tönen diagnostiziert:

Schrei - und ich weiß, was dir fehlt

07.12.1979

Schon der erste Schrei eines jungen Erdenbürgers kann erstaunlich viel über seinen Gesundheitszustand verraten - jedenfalls dann, wenn er von einem sachgerecht programmierten Computer unter die Lupe genommen wird.

Diese neuartige Computer-Anwendung- es handelt sich hier um die praktische Nutzung des auch sonst vielfältig eingesetzten Verfahrens zur Mustererkennung - ist das Ergebnis der Kooperation von einem Kinderarzt und einem Ingenieur. Alles begann damit, daß der Kinderarzt 55 für gesund befundene Babies in die Fersen pikte und der Ingenieur ihre Schreie auf Tonband aufnahm, um sie anschließend auf nicht weniger als 88 Parameter hin zu untersuchen. Aus dem Ergebnis konstruierte er dann so etwas wie einen "Standard-Vergleichsschrei" gepickter gesunder Babies mit typischen Referenz-Lautstärken, -Tonhöhen etc.

Dr. Michael Corwin vom Upstate Medical Center in Syracuse, US-Bundesstaat New York, der Arzt, und Howard L. Golub, Ingenieur für Biomedizin am MIT, verglichen ihren Standard-Schrei anschließend mit den Schreien 43 weiterer Babies, die bestimmte Gesundheitsmängel aufwiesen. Das Resultat: der Computer erkannte 19 von 21 an Gelbsucht leidenden Babies und neun von zehn Säuglingen mit Defekten der Atemwege an ihrer Art zu schreien.

Corwin und Golub erwarten nämlich, mit ihrer Schrei-Diagnose künftig auchbestimmte Hirnschädigungen, bakterielle Meningitis und Schwerhörigkeite ermitteln zu können, vielleicht auch eine Neigung zum sogenannten "plötzlichen Krippentod" - einer noch immer recht rätselhaften Sache, bei der scheinbar gesunde Kinder plötzlich tot aufgefunden werden. Dabei wäre der Computer allen anderen Untersuchungsmethoden vor allem dadurch überlegen, daß er einen einfachen, nicht belastenden und billigen Reihen-Check vieler Babies ermöglichte.

*Egon Schmidt ist freier Wissenschaftsjournalist in München