Mobilfunk/Bewusstseinswandel bei Netzbetreibern erforderlich

Schneller Content ist die halbe Miete

06.04.2001
Die Ausrichtung auf Sprachdienste ist Schnee von gestern. Im Mobilfunknetz von morgen geben Datenservices den Ton an. Damit schlägt die Stunde für Wireless-Application-Service-Provider. Von Bodo Kohlenbach*

Die Frequenzvergabe für Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) hat in den Staaten Deutschland, Großbritannien und Italien allein 85 Prozent der gesamten europäischen Lizenzkosten verschlungen. Die in den genannten Ländern involvierten Netzbetreiber zählen zu den größten Europas und dürften aller Voraussicht nach, trotz der immensen Investitionen, auch weiterhin eine dominante Rolle spielen.

Ohne Folgen bleiben die aberwitzigen UMTS-Auktionskosten dennoch nicht: Sie werden den Konsolidierungsprozess im europäischen Telekommunikationssektor weiter verschärfen und einige Lizenznehmer zwingen, durch gemeinsame Nutzung der UMTS-Infrastrukturen (Shared Networks) Kosten zu minimieren. Außerdem erhoffen sich die Lizenznehmer eine bessere Auslastung der teuren Netzkapazitäten durch die Öffnung ihrer UMTS-Netzwerke für virtuelle Betreiber.

3000 Anwendungen für EuropaSolche Virtual Operators werden auf Basis bestehender Kernangebote aus anderen Branchen mobile Applikationen entwickeln und anbieten. Bis 2005 erwartet Durlacher Research rund 3000 neue Anwendungen und Services in Europa. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich die Netzwerkbetreiber von ihrer Closed-Shop-Mentalität verabschieden und ihre Applikationsplattformen schnell für Drittanbieter wie zum Beispiel Wireless-Application-Service-Provider (WASPs) öffnen.

Die Entwicklung und Akzeptanz von UMTS wird auch stark vom Erfolg des General Packet Radio Service (GPRS) abhängen. GPRS kann aufgrund seines paketorientierten Ansatzes als eine Art Schlüsseltechnik für das mobile Internet und damit als Testballon für UMTS bezeichnet werden. Sollte es für GPRS eine ähnliche Pleite geben wie beim Launch des Wireless Application Protocol (WAP), wäre dies sowohl für das Vertrauen der Endkunden als auch der Investoren in UMTS fatal.

Trotz des Fehlstarts wird sich WAP aber noch positiv entwickeln und eine der Triebkräfte für das mobile Internet werden. Der Grund: WAP bleibt in Verbindung mit GPRS die gängige Darstellungsform für Mobiltelefone. Personal Digital Assistants (PDAs) werden hingegen über konventionelle HTML-Browser auf das Internet zugreifen.

Für WAP via Global System for Mobile Communications (GSM) entwickelte Applikationen werden erst mit der breiten Verfügbarkeit von GPRS etwa ab Mitte 2002 profitabel. Zu den umsatzträchtigsten mobilen Anwendungen zählen unter anderem Mobile Multimedia Messaging, E-Mail und mobile Spiele.

Wertorientierte Tarifmodelle sind gefragtVoraussetzung für eine erfolgreiche Verbreitung von WAP, GPRS und UMTS sind außerdem einfache Tarifstrukturen. Die kürzlich von allen Mobilfunkbetreibern eingeführte KB-bezogene Abrechnung von GPRS-Diensten wird nur zur Verwirrung der Endkunden beitragen. Um mobilen Datendiensten zum Durchbruch zu verhelfen, müssen Preismodelle wie zum Beispiel Flatrates sowie wertorientierte Tarifstrukturen für das Gros aller mobilen Datenapplikationen eingeführt werden. Prominentes Beispiel für ein solches wertorientiertes Modell ist Short Message Service.

Fest steht auch, dass sich das Geschäftsmodell der Mobilfunkbetreiber grundsätzlich ändern muss, damit sie langfristig von datenbezogenen Applikationen profitieren können. Momentan befindet sich der Markt in einer Sondierungsphase, das heißt, mobile Applikationen und Services werden entwickelt und am Markt getestet. Eine zielgruppenspezifische Ausgestaltung erscheint unverzichtbar. Die überkommene Ausrichtung auf Sprachdienste ist nicht mehr zeitgemäß und erweist sich für ein solch dynamisches Marktumfeld als viel zu träge. Deshalb müssen die Lizenznehmer ihre Netzwerke für kleinere, flexiblere und zielgruppenorientiertere Unternehmen, die WASPs, öffnen. Diese können dann schnell und marktnah die populärsten Spiele, die neuesten Animationen von Grußbotschaften oder interessantesten Neuigkeiten über Stars auf die Endgeräte der Kunden bringen. Sie stellen eine Art Katalysator zwischen den trägen Telco-Riesen und dem dynamischen Markt dar.

Netze für Drittanbieter öffnenFür einen erfolgreichen Start der mobilen Datenrevolution durch UMTS müssen nicht nur Netze, Applikationen und die richtigen Preisstrukturen installiert, sondern auch die Verfügbarkeit von UMTS-Endgeräten sichergestellt sein. Genau dort wird aber voraussichtlich ein weiterer Engpass liegen: Einige Endgerätehersteller, wie zum Beispiel Alcatel, haben massenmarktfähige UMTS-Handys erst für Anfang 2004 angekündigt.

Das Volumen des mobilen Internet-Marktes wird laut Durlacher Research Ltd. im Jahr 2005 in Europa 76 Milliarden Euro übersteigen (siehe Grafik "Mobile Datenumsätze in Europa"). Dies entspricht rund 45 Prozent des erwarteten Gesamtumsatzes für Services in der Mobilfunkbranche. Voraussetzung hierfür ist, dass sowohl UMTS-Netze als auch entsprechende Dienstleistungen sowie die nötigen Endgeräte ab Anfang 2003 zur Verfügung stehen.

Japan wird im Jahr 2005 weltweit die Führung in mobiler Internet- und Handy-Technologie übernommen haben. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der europäischen und amerikanischen Hersteller zur Einführung von UMTS keine entsprechenden mobilen Endgeräte liefern können. Japanische und koreanische Anbieter werden ihren Vorsprung in der Display-, Batterie- und Netztechnologie auf Kosten der etablierten europäischen Handy-Produzenten erfolgreich in Marktanteile umwandeln.

Die Bandbreite bleibt knappUMTS wird auch in den nächsten Jahren keine breitbandigen mobilen Multimedia-Anwendungen ermöglichen. In Europa müssen die Kunden noch mindestens fünf bis sechs Jahre auf den Download von Musiktiteln oder Vi-deos über das Mobilfunknetz warten. Realistisch erscheint bei dem Start von UMTS eine Videostreaming-Funktionalität von weniger als 15 Sekunden, das erlaubt aber gerade die Ausstrahlung kurzer Sport- oder Musikvideo-Sequenzen. Gründe hierfür sind die zu erwartenden Bandbreiten-Beschränkungen der UMTS-Netzwerke und die Leistungsengpässe bei der kommenden Generation von UMTS-Endgeräten. Statt der erwarteten Übertragungsrate von 2 Mbit/s werden zu Beginn von UMTS (Anfang 2003) gerade einmal 40 Kbit/s Bandbreite erreicht. Erst mit der Einführung der nächsten Mobilfunkgeneration 4G ab etwa dem Jahre 2010 dürfte die Limitierung der Bandbreite weitestgehend aufgehoben sein.

Zu bedenken ist ferner, dass sich neue, alternative Netzwerktechnologien bis zum Jahr 2005 etablieren werden. Mit der Einführung von Public Wireless LAN (auf Basis von 802.11e) und der Einbindung von Bluetooth-Technologien entstehen Multinetzwerk-Umgebungen, die GPRS und UMTS komplettieren. GPRS wird auf absehbare Zeit dünnbesiedelte Gebiete mit einer Mindestbandbreite versorgen. In den Ballungszentren kommt UMTS zum Einsatz und garantiert den Kunden höhere Bandbreiten. In den "Hot Spots", das sind Orte mit extrem hoher Nutzerdichte wie zum Beispiel Bahnhöfe oder Flughäfen, können Kunden mit Hilfe von Public Wireless LAN Dateien mit einer Geschwindigkeit von bis zu 11 Mbit/s herunterladen. Bluetooth schließlich erlaubt die mobile Datenkommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen. Voraussetzung für ein solches Szenario ist aber die Verfügbarkeit von Multimode-Handys, die alle genannten Standards unterstützen.

*Bodo Kohlenbach ist Senior Mobile Analyst bei Durlacher Research Ltd. in Bonn

Abb.1: Multi-Network-Umgebung

Je nach Zone kann der Teilnehmer unterschiedlich hohe Transferraten in Anspruch nehmen. Quelle: Durlacher Research

Abb.2: Mobile Datenumsätze in Europa

Mit der Einführung von GPRS und UMTS steigt die Nutzung mobiler Datenanwendungen. Quelle: Durlacher Research