85 Prozent mehr Leistung bei Online-Aufgaben

Schnelle Halbleiter-Speicher aus Wafern ergänzen Laufwerke

31.05.1991

Mit dem neuen Festwertspeicher-Subsystem "V 90 Rapid Access" hat der US-Hersteller Tandem sein Angebot an Halbleiterspeichern für schnellste Speicherung erweitert. Durch höchste Integration und das Entfallen des Zugriffs von Schreib- und Leseköpfen wird nach Herstellerangaben eine Leistungssteigerung von bis zu 85 Prozent erreicht.

Wer sich noch an Clive Sinclair erinnert, der denkt an einen frühen Pionier kleiner Rechner, der zuletzt an Elektroautos scheiterte. Insider berichten, daß auch er sich - wie vorher schon Gene Amdahl - an einem Verfahren versuchte, auf einen Schlag aus den vielen einzelnen Chips auf einer Waffel - dem runden "Wafer" aus Silizium, auf dem die Chips entstehen - einen integralen Großspeicher zu machen. Die Idee war zwar gut, mit herkömmlicher Technik war sie aber nicht zu realisieren, weil schon die kleinsten Fehler in einem Chip oder in den Zuleitungen von Strom und Daten - im geplanten Bus auf der Waffel - den gesamten Speicher zunichte machten.

Ein englisches Unternehmen, die Anamartic Ltd. bei Cambridge, hat jetzt im historischen Gebäude Clive Sinclairs mit einem fehlertoleranten Speicher- und Zugriffsverfahren geschafft, was die Chip-Speicher-Welt seit über einem Jahrzehnt versucht: den integralen Speicher auf dem Wafer. ("Anamartic" leitet sich übrigens aus dem Griechischen ab und bedeutet soviel wie "immun gegen Fehler".)

Den Wafer-Scale-Integration-Speicher gibt es ab sofort in Portionen zu 160 MB als fertiges, "von der Stange" käufliches Standard-Peripheriegerät von Tandem Computers für seine "Cyclone"-Hochleistungsrechner unter der Bezeichnung V90 - in Ergänzung zu herkömmlich-bewegten Magnetplattenlaufwerken V80. Der integrale V9O-Speicher ist rund hundertmal schneller: statt 20 Millisekunden 200 Mikrosekunden im Zugriff.

Andere Abnehmer müssen sich noch direkt an Anamartic wenden - seit Pfingsten in Deutschland vertreten durch die Solid Computer GmbH in Oberschleißheim bei München. Geschäftsführer Bodo Schnabel will mit der neuen Technik Computer von DEC, Sun, Mips, Silicon Graphics und IBM-RS6O0O-Rechner ausrüsten, in erster Linie Unix-Maschinen. Für sie gibt es SCSI-Einheiten und, zum Beispiel für Rechner von DEC, eigens angepaßte Speichereinheiten. Gerade für DEC-Rechner sind im Vergleich zu Platten die Anamartic-Speicher im transparenten Cache-Einsatz vielfach schnellere Festspeicher und ein Geheimtip für Tuning bei Performance-Problemen. Sie könnten manch einem den Kauf des nächstgrößeren DEC-Rechners ersparen: Anamartic spricht bei einer gewöhnlichen VAX 4000 von einer Durchsatzerhöhung von 40 Ein-/ Ausgaben je Sekunde auf 260.

Auch bei den Cyclone-Rechnern von Tandem, die dank ihrer Parallelrechnerstruktur in sich beliebig ausbaubar sind, kann ein V90-Speicher gelegentliche "heißlaufende Stellen" auf Magnetplatten "kaschieren": Immer, wenn sich Durchsatzprobleme beim Zugriff auf Platten zeigen - und das ist besonders bei vielgebrauchten, vielleicht schon ein wenig älteren Softwarepaketen der Fall, weniger bei Zentralspeicher-Cache nutzenden TMF-Anwendungen dann lohnt sich ein schneller Wafer-Scale-Massenspeicher.

In Workstations, in PCs, in Server-Rechnern, in Minis, Maxis und Hosts, überall werden heute CPUs um Faktoren schneller, die Platten aber nicht. Dabei sind Datenbankzugriffe immer verknüpfter, modulare Programmstrukturen immer anspruchsvoller an Programm- und Datennachschub, und zentrale Server müssen immer mehr Arbeitsplätze bedienen. Der Engpaß liegt jetzt und morgen bei den Plattenzugriffszeiten, nicht mehr bei der rohen Rechengeschwindigkeit. Wafer-Scale-Technik ist darauf die Antwort.

Die neuesten Speicher wurden für Anwender der leistungsfähigsten Tandem-Rechner vom Typ Non-Stop-Cyclone entwickelt. Ihnen soll dadurch mehr Leistung insbesondere bei Online- und Stapelverarbeitungs-Aufgaben mit besonders hohem E/A-Durchsatz ermöglicht werden. Tandem-eigene Tests haben ergeben, daß bei Online-Anwendungen Leistungssteigerungen von bis zu 85 Prozent, bei Batch-Jobs um bis zu 43 Prozent kürzere Verweilzeiten erreicht werden. Das besondere an den Speichern ist der Umstand, daß hier erstmals ganze Wafer zum Einsatz kommen.

Beim "klassischen Verfahren", DRAM-Speicher zu bauen, werden hunderte megabitgroßer Einzelchips wie in einem Gemüsebeet auf einem 15 Zentimeter (6 Zoll) runden Siliziumsubstrat, der "Waffel", photolitographisch im Reinraum erzeugt, dann getestet - je nach Reifephase der Technik fallen hier zwanzig bis achtzig Prozent der Chips bereits durch - und anschließend als -Einzelplättchen herausgesägt - dabei gehen noch ein paar mehr kaputt. Schließlich werden aus den einzelnen Chip-Plättchen wieder Speicher gemacht: also Golddrahtkontaktieren (Bonding: Hartlöten von Drähten mit 25 Mikrometer Durchmesser), Plastikverkapseln, Aufbringen auf eine Leiterplatte, und mühevoll ist der Festspeicher zum Einschub in einen Rechner zusammengebaut.

Anamartic läßt die Chips gleich auf der Waffel - das ist Wafer Scale Integration. Damit dort jedoch schlechte Chips, ja sogar schlechte Einzelstellen in ansonsten größtenteils guten Chips, umgangen werden können, nutzt Anamartic ein patentiertes, fehlertolerierendes Zugriffsverfahren.

In Zukunft sind mehrere parallele Wege denkbar

Da gibt's keinen "Bus", der an allen Chips eine Haltestelle hätte - denn fiele der irgendwo aus, so käme kein Zugriff auf dem Rest der Route mehr zustande. Bei Anamartic hat jedes Chip-Segment statt dessen zwei Ein- und Ausgangslogiken in alle vier "Himmelsrichtungen", mit denen es von den vier umgebenden Chips jeweils zwei beliebige ansprechen kann. Datenanfragen und -antworten werden also auf dem Wafer schnell von Chip zu Chip weitergegeben (die Taktzeit beträgt heute 50 Nanosekunden), bis der richtige Megabitspeicher antwortet. Für die Zugriffsbahn hat sich als optimaler Weg eine von außen nach innen kleiner werdende Spirale herausgestellt, die schlechte Chips umschifft. Kleine Verzweigungen sind aber auch möglich. Und in Zukunft sind natürlich auch mehrere parallele Wege zu den Daten denkbar, wenn da noch schneller recherchiert werden soll.

Der Zugriffsweg, die Spirale, wird von Anamartic bereits bei der Auslieferung des Speichers auf der Ansteuerplatine außerhalb der Waffel festgehaltene ist aber auch während des Betriebs im Feld adaptiv veränderbar - selbst spätere Fehlstellen werden somit dynamisch und ohne Benutzereingriff neutralisiert. Fast läßt sich folgern: Je schlechter die Chip-Ausbeute auf der Waffel ist, je neuer das Verfahren, desto besser hilft das Patent von Anamartic.

Dabei ist diese erste erfolgreiche Wafer Scale Integration erst ein Anfang. Wenn heute aus einer Waffel mit 202 (guten und schlechten) 1-MB-Chips (Breite der Strombahnen 1,2 Mikrometer) ein Speicher von garantierten 20 MB wird, der dann mit sieben weiteren Waffeln zur Standardgröße für die Tandem-V90-"Lauf"-werke von 160 MB ergänzt wird, so sind bei Anamartic bereits Tests mit vier- und 16-Mbit-Chips (Leiterbahnen dort 0,8 beziehungsweise 0,5 - Mikrometer) erfolgreich: Die Speichergröße pro Waffel wird dann zu 50 beziehungsweise 100 MB. (Die Steigerung ist nicht linear, weil die Fläche der einzelnen Chips wächst.) Auch andere als DRAM-Speicher, etwa statische RAMs, E- und EE-Proms bis hin zu Flash-Proms, lassen sich mit derselben Zugriffstechnik auf der Waffel bauen, auf einem einzigen Substrat - sogar zukünftige komplette "massive Parallelrechner" in SIMD-Technik.

Anamartic Ltd., im April 1986 gegründet, und Teilnehmer im europäischen Jessi-Projekt, hat hier durch seine Patente und durch die Erfahrung erster echter Lieferungen für den harten Transaktionsverarbeitungseinsatz auf Rechnern einen wertvollen Vorsprung. Spezielle Bonding-Techniken, wie das mehrfache Kontaktieren (stitch bonding) mitten auf der Waffel mit 50 Mikrometer dicken, goldenen Stromzuführungen, kommen dazu, und zahlreiche Einzelerfahrungen wie der Gang der Spirale, das Testen, die elegante Wärmewegführung verbunden mit geringstem Energieverbrauch, aber auch die Nutzung teilbeschädigter Chips für eine noch höhere Ausbeute -jedes Chipsegment besteht logisch aus 32 "Kacheln" (tiles) zu je 32 Kbit.

Die Vorteile schneller, preiswerter und fehlertoleranter Festspeicher werden sich also in den kommenden Jahren nicht nur Ein-Ausgabe-hungrigen Großrechneranwendern mit heißlaufenden Magnetplatten-Zugriffsarmen zeigen, sondern auch Workstation- und PC-Anwendern bis hinunter zu Taschencomputern - und bis "hinauf" zu den künstlichen Intelligenzlern mit ihren selbstlernenden neuronalen Netzen samt transputernder Fuzzy-Logik, aber das dann bitte alles auf einer Waffel! Ein V-90-System verfügt über bis zu vier V-90-Laufwerke mit einer Kapazität von jeweils 160 MB. Das Basismodell 4300 mit 160 MB kostet rund 240 000 Mark.