Groupware und Workflow

Schmaler Grat zwischen Chancen und Risiken

12.03.1999
Workflow gilt häufig als der Königsweg zu Kostenreduzierung und Kundennähe, doch hält sich die Anzahl der erfolgreich realisierten Projekte in einem bescheidenem Rahmen - denn die Tücken stecken im Detail. Von Klaus Engelhardt

Produktlebenszyklen schrumpfen teilweise drastisch, neue Techniken werden komplexer, Entwicklungszeiten müssen reduziert werden - Time to Market lautet der Maßstab aller Dinge. Die Klagelieder vom Kostendruck und verschärften Wettbewerb sind bekannt und haben zu Konsequenzen geführt. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) konnte die Industrie im Fertigungsbereich durch eine Reorganisation und Optimierung ihrer Prozesse die Produktivität um mehr als 70 Prozent steigern. Ein annähernd ähnlicher Erfolg blieb dem Office-Bereich bislang versagt. Ebenfalls laut OECD erzielte man dort trotz massivem DV-Einsatz nur ein Anwachsen der Produktivität um magere drei Prozent. Schlimmer noch: Glaubt man den Untersuchungen von Boston Consulting, wäre gar ein Absinken der Office-Produktivität in dieser Dekade um fünf Prozent zu akzeptieren.

Egal welcher Wert stimmt, das Ergebnis ist in jedem Fall ein Debakel und das papierlose Büro eher eine Illusion. Dieser Zustand wundert um so mehr, als seit fast zehn Jahren durch immer wieder neu modifizierte Ansätze für ein ganzheitliches Prozeßdenken intensive Anstrengungen unternommen wurden, um auch in den Verwaltungen, den Administrationen der Produktionsbetriebe und in Dienstleistungsunternehmen wenigstens bescheidene Produktivitätssteigerungen zu erzielen. IT-Unterstützung sollten Dokumenten Management (DM), Groupware und Workflow Management (WFM) liefern.

Auch heute noch leiden die meisten Büroorganisationen unter einer zu hohen Prozeßkomplexität. Entscheidungsstrukturen und Bearbeitungsschritte sind wenig transparent, der häufig streng praktizierte Taylorismus hat eine hochgradig detaillierte Arbeitsteilung zur Folge, und die Durchlaufzeiten für Geschäftsfälle sind immens hoch. Viele Studien belegen das: Lediglich drei bis fünf Prozent Bearbeitungszeit stehen sechs bis neun Prozent Transportzeit und rund 86 bis 91 Prozent Liege- und Rüstzeit gegenüber. Erschwerend kommt hinzu, daß sich innerhalb eines Geschäftsfalls die Medien (Datenträger) häufig ändern, also Brüche vorhanden sind.

Seit fast einer Dekade versprechen die Anbieter moderner Workflow- Systeme, diese Mängel zu beheben. Der Markt dafür boomt in allen Industrienationen. Die meisten Analysten sehen die durchschnittlichen Wachstumsraten bei rund 30 Prozent, in Europa ebenso wie in Amerika. Speziell in Europa sind in den nächsten Jahren noch höhere Umsatzsteigerungen zu erwarten, da die DV- Kapazitäten, die derzeit noch von der Euro-Einführung und dem Jahr-2000-Problem extrem gebunden sind, nach deren Lösung für Aufgaben wie Dokumenten-Management, Workflow und Groupware freigesetzt werden.

Der Markt bietet kaum noch Transparenz

Allerdings ist der heutige Markt von Workflow-Systemen für den potentiellen Anwender recht unübersichtlich: 70 Produkte mit völlig unterschiedlichem Funktionalitätsumfang - ungeachtet neuer Versionen inklusive einer gleichzeitig geänderten Produktstrategie. Viele kleinere Anbieter finden sich zudem ohne Zukunftschancen. Erste größere Konzentrationsbewegungen waren 1998 zu beobachten. Es läßt sich postulieren, daß Anbieter, die in absehbarer Zeit nicht über 200 Millionen Mark jährlich erwirtschaften, und das international, kaum längerfristig im Softwaremarkt überleben.

Allein aus dieser Situation zeichnen sich für Anwender erhebliche Probleme ab. Gelangen durch eine Herstellerfusion zwei zuvor konkurrierende Produkte in eine Hand, ist die Konzentration auf eine Lösung programmiert. Dem Anwender des eingestellten Produkts stehen dann Migrationsstrategien ins Haus.

Ein Orientierungsproblem ergibt sich für die Anwender auch daraus, daß Workflow-Produkte noch keiner allgemeingültigen Standardisierung unterliegen, weder in der Begriffsbildung noch in der Durchführung.

Als Quasi-Standard sind die bisher getroffenen Festlegungen und Empfehlungen der Workflow Management Coalition (WfMC) zu bezeichnen, die 1993 als Non-Profit-Organisation gegründet wurde und heute über 200 Mitglieder zählt.

Nach den WfMC-Definitionen verknüpft Workflow die einzelnen Aufgaben (Aktivitäten) eines Prozesses zu einem Ablauf und definiert, wer (Mitarbeiter) welche Aufgabe (Rolle) mit welchen Mitteln und welchen Informationen erledigt. Dabei läßt sich eine Aufgabe in einzelne Arbeitsschritte aufteilen.

Um eine Interoperabilität zwischen den Systemen und Modulen verschiedener Hersteller zu ermöglichen, hat die WfMC das Workflow-Referenzmodell entwickelt, an dessen Architektur sich nahezu alle Produktanbieter halten. Dieses Modell legt die genaue Definition der Schnittstellen zwischen den einzelnen Applikationen und Modulen sowie eine klare Trennung von Build-time (Design und Definition der Workflow-Prozeßmodelle) und Run-time (Instanzieren der Workflow-Prozesse) fest. Dadurch erfolgt eine strikte Trennung der Geschäftsprozeß- von der Anwendungslogik.

Neben der WfMC beschäftigen sich andere Institutionen mit der Einstufung von Workflow. Hervorzuheben ist die Klassifizierung der Giga Information Group (GIG). Sie definierte die vier Produktgruppen für Production-, Administrative-, Collaborative- und Ad-hoc-Workflow (siehe Kasten oben und Grafik auf Seite 112). Obwohl diese Bezeichnungen heute noch oft gebraucht werden, läßt sich die damit getroffene Abgrenzung in der Praxis meist nicht durchhalten. Insbesondere die Produktanbieter haben sich bei der Entwicklung ihrer Module nicht an diese Einteilung gehalten.

Deshalb hat die GIG inzwischen ein dreidimensionales Modell vorgeschlagen, das den Marktgegebenheiten und den Projektanforderungen besser entsprechen soll. Die Dimensionen fußen dabei auf drei wesentlichen Workflow-Charakteristika: Prozeßadaptierung (Möglichkeiten sind beispielsweise Prozeßobjekte, Personenobjekte, Fallabwicklung und Pre-structured Workflow), Arbeitsunterstützung (Instrumente sind einfaches Routing, Shared Queues, Role Assignments und Collaborative Support) sowie Informationsunterstützung (elektronische Archivierung, elektronische Formulare, Shared data und integriertes Repository).

Faßt man die verschiedenen Definitionen zusammen, lassen sich als Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von Workflow folgende Kriterien fixieren:

-Organisatorisches Bezugsobjekt von Workflow sind Prozesse und nicht Gruppen wie bei Groupware.

-Die Prozesse sind hoch strukturiert oder strukturierbar.

-Die Komplexität der Prozesse ist niedrig, zumindest aber nicht hoch.

-Die Prozeßtypen sind detailliert modellierbar.

-Die Abläufe (Geschäftsabläufe) sind standardisierbar.

-Die Aufgaben innerhalb der Prozesse und Abläufe sind mehrheitlich hoch strukturiert.

-Die Wiederholungsrate von Abläufen und Prozessen ist hoch, sie rechtfertigt den sehr hohen Investitionsaufwand für Workflow.

-Kommen unstrukturierte Aufgaben innerhalb eines strukturierten Prozesses vor, lassen sich diese durch Integration geeigneter Groupware-Funktionalitäten unterstützen.

Wer Workflow-Projekte unter diesen Prämissen angeht, hegt eine hohe Erwartungshaltung an die Ergebnisse. Verbesserung der Kundennähe, erhöhte Reaktionsfähigkeit und mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Kostenreduktion sind nur einige der Ziele. Die Realität entfernt sich jedoch recht weit von diesem Ideal. Allgemeine Kenntnis über die Durchführung von Workflow- Vorhaben und Praxisstudien belegen, daß über 70 Prozent aller Unternehmen bei der Projektdurchführung erhebliche Differenzen zwischen Soll-Konzept und Ist-Zustand verbuchen. Ein großer Teil der Projekte ist schlicht als gescheitert zu betrachten. Die Gründe dafür sind organisatorischer, technischer und sozio- kultureller Natur.

Mit einer der größten Hürden der Workflow-Einführung wird nur selten gerechnet. Sie ergibt sich aus dem bei den meisten Projekten zwangsläufigen Eingriff in die Ablaufstruktur der Organisation, das heißt beim Business Process Re-Engineering. Dort sind viele Prozesse vorhanden, die sich zum Zeitpunkt des Projekts nicht mehr nachvollziehen lassen, und deren Sinn und Zweck kaum noch ersichtlich ist. Solche Prozesse sind über Jahre oder gar Jahrzehnte gewachsen und von Mitarbeitern angestoßen worden, die häufig nicht mehr im Unternehmen wirken.

Zu beobachten ist ebenfalls häufig, daß gerade Entscheider ein Projekt anregen, es dann aber nicht mehr unterstützen oder die Ausrichtung viel zu sehr auf die Technik fokussieren. Um so wichtiger ist ein verbreiteter Workflow-Leitspruch: "Strategie vor Organisation - Organisation vor Technik."

Wer das nicht berücksichtigt, muß unter Umständen teuer dafür bezahlen. Nicht ausreichend informierte oder von den Herstellern auf die falsche Fährte gelockte Anwender machen gern den Fehler, sich bei der Optimierung der Bearbeitungszeiten in begrenzten Prozessen festzubeißen, den Warte- und Liegezeiten von Geschäftsfällen aber zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Daraus resultieren Budget- und Zeitüberschreitungen, die in die Millionen Mark gehen.

Allein Dokumenten-Management-Projekte erfordern bereits Budgets von rund zwei Millionen Mark, wenn beispielsweise 300 Arbeitsplätze an das System angeschlossen werden und externe Beratung beteiligt ist. Hinzu kommen weitere über 500000 Mark, wenn an gestaffelte Projekte noch eine Neuausstattung der Hardware sowie ein Lizenzausbau gekoppelt werden.

Trotz der Gefahren derart "teurer Experimente" gibt es auch positive Stimmen, selbst wenn die Workflow-Projekte nicht hundertprozentig gelungen sind. So berichten Unternehmen, daß es in jedem Fall vorteilhaft war, mit Hilfe eines Workflow-Projekts abgewickelte Aktivitäten und Arbeitsschritte rückverfolgen zu können. Außerdem seien Geschäftsprozesse in der Regel bedeutend besser beherrschbar geworden, selbst dann, wenn das Gesamtprojekt nicht als Erfolg zu bezeichnen war. Bleibt noch die oft bekundete Praxiserfahrung zu erwähnen, daß Workflow-Projekte zu keiner Mitarbeiterentlassung geführt haben, obwohl eines der Ziele explizit Personalkostenreduzierung lautete.

Produktgruppen nach GIG

Production Workflow: Merkmale sind eine hohe Wertigkeit der Information, der Charakter der Bearbeitung ist monoton und wiederholungsreich. Vorgänge sind sehr streng vorstrukturiert, Regeln und Ausnahmen sind genau definiert. Die Wiederverwendbarkeit der Prozesse ist äußerst hoch. Die Systeme sind jedoch sehr starr und unflexibel.

Ad-hoc-Workflow: geeignet für unstrukturierte, nur einmal auftretende Vorgänge. Prozeßbedingungen sind nicht vordefiniert, sie entstehen, während der Prozeß läuft. Die Arbeiten werden ad hoc ausgeführt. Nutzer werden spontan eingebunden oder ausgeschlossen. Die Prozeßdefinition wird in der Regel nicht nochmals verwendet.

Collaborative Workflow: Die Prozesse sind komplex und nur wenig vordefiniert. Gegenüber Ad-hoc-Bedingungen haben die Informationen jedoch eine wesentlich höhere Wertigkeit. Es gibt nur wenige Workflow-Systeme am Markt, die solche Konzepte realisieren.

Administrative Workflow: Die Definition der Vorgänge ist ähnlich streng wie beim Production Workflow, ebenso die geringe Flexibilität. Die Wertigkeit (Wiederverwendbarkeit) der behandelten Information ist allerdings merklich geringer als beim Production Workflow. Einsatzgebiete sind häufig nur kleinere Projekte, beispielsweise die Erweiterung einer Formularapplikation, um sie geänderten Anforderungen anzupassen. (Siehe dazu auch Grafik auf Seite 112.)

Dr. Klaus Engelhardt ist selbständiger Berater für Archivierungs- , Dokumenten-Management und Workflow-Systeme in Sprockhövel.