"Schloßtag" verdeutlicht Forschungs- und Medienpolitik der neuen Regierung: Die GMD braucht Kooperationspartner mit Mut

26.11.1982

ST. AUGUSTIN (bi) - Teils mit leichter Akzentverschiebung, teils in deutlich veränderter Sprache wurde diesmal auf dem alljährlichen "Schloßtag" der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) gesprochen. Dort hieß es: "Zu einem beträchtlichen Teil wird sich die GMD in Zukunft ihr Wachstum selbst verdienen müssen." Überbringer dieser weiterhin bestehenden Forderung auch des neuen Forschungsministers in Bonn war Staatssekretär Hans-Holger Haunschild. Sein Wendekonzept für die staatliche Großforschungseinrichtung: "Stärkere Hinwendung zur Vertragsforschung" und mehr Anpassung an die "Bedürfnisse der Industrie".

Aufmerksamkeit zog auch der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Horst Waffenschmidt, auf sich mit einer tendenzweisenden Rede über die "Rolle des Staates im Spannungsfeld zwischen Individuum und Information". Das Bundesministerium für Forschung und Technologie hingegen verdeutlichte durch seinen Sprecher einen "vierdimensionalen Raum der Forschungs- und Technologieförderung ".

In allen vier Richtungen sei die GMD bereits tätig.

Eine indirekte Belobigung Haunschilds für den nordrhein-westfälischen Computerhersteller Nixdorf sowie ein dezenter, unausgesprochener Seitenhieb auf die mit Forschungsmitteln bislang reichlich bedachte Siemens AG verhallte vor diesem Gremium nicht ungehört.

Waffenschmidt, der Vertreter des Innenministeriums, nutzte das kompetente Forum, das die Schloßherren der GMD ihm mit ihren zahlreichen prominenten Gästen aus Forschung, Industrie und Verwaltung boten, zu einer Klärung des Standpunktes des Innenministeriums zur Informationstechnik im allgemeinen und im besonderen wie zum Beispiel ihrer Anwendung als neue Medien oder auch als Instrumentarium innerhalb der Arbeitswelt.

Die Würde des Menschen

Ausgehend von Artikel 1, Absatz 1, Satz 1, des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" gelang ihm nach "logisch verknüpften" Hinweisen auf Informations- und Pressefreiheit eine Rechtfertigung des Kernsatzes seines Referates: "Die politische Blockade des Ausbaus moderner Kommunikationstechnologie wird beendet."

"Eine völlig neue Dimension zur Informationsversorgung und -beschaffung" sei erreicht. Presse, Rundfunk und Fernsehen bereiteten sich auf die Nutzung neuer Techniken wie Kabelfernsehen, Bildschirmtext und Satellitenrundfunk vor.

Waffenschmidt führte dazu aus: "Die Bundesregierung tritt dafür ein, daß die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für eine Vielfalt von Angeboten an Informationen und Meinungen im Bereich der neuen Medien baldmöglichst getroffen werden und hierbei unter Wahrung der Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch privaten Initiativen Raum gegeben wird. Vor allem muß der Zugang zu den neuen Medien für jedermann geöffnet werden."

Ausgewogener Datenschutz

Zu den Auswirkungen der neuen Technologien in der Arbeitswelt postulierte der Staatssekretär, in erster Linie habe der Einsatz von Technik dem Bürger und dem Mitarbeiter zugute zu kommen. Ausdrücklich monierte er in diesem Zusammenhang, daß der Prozeß der Arbeitsteilung und Spezialisierung teilweise mehr fortgeschritten sei, als es aus der Sicht einer rechts- und sozialstaatlichen Verwaltungspolitik notwendig ist. Als Arbeitgeber habe die Bundesregierung eine besondere Verantwortung, deshalb müssen - diese Ansicht vertrat jedenfalls der Staatssekretär - "die technischen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung ... so gestaltet werden, daß sie einer weiteren Arbeitszerlegung entgegenwirken und insgesamt noch Gestaltungsfreiheit am Arbeitsplatz erhalten."

Zum Thema Datenschutz verwahrte sich Waffenschmidt gegen übertriebene Darstellungen einzelner Mißbrauchsfälle der Datenverarbeitung, die beim Bürger den Eindruck erweckten, eine überwachte Gesellschaft wie in Orwells Roman "1984" stünde kurz bevor. Er erklärte, was die neue Bundesregierung unter "ausgewogenem Datenschutz" versteht: Erstens könne Datenschutz keinen absoluten Vorrang vor anderen geschätzten Rechtsgütern genießen, und außerdem ..stehe der Schutz der Privatsphäre notwendigerweise in einem gewissen Spannungsverhältnis zu anderen schutzwürdigen Interessen, wie zum Beispiel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung".

Eine Balance zwischen dem Freiheitsraum des Bürgers um dem Informationsbedürfnis der datenverarbeitenden Stellen in Staat und Wirtschaft müsse also gefunden werden.

Als Sprecher der Arbeitnehmerseite und dritter Redner kam Gustav Fehrenbach, Stellvertretender Vorsitzender des DGB-Bundesvorstandes zu Wort. Der Gewerkschaftsmann sieht in Gefolge der Einführung der neuen Technologien "ernsthafte soziale Konflikte" auf uns zukommen. Fehrenbach brachte nur die in der Technologiediskussion immer wiederkehrenden Themen und Forderungen. Im Punkt "Verringerung der Arbeitsteilung und qualifizierte Mischarbeit" konnte man eine Ähnlichkeit der Standpunkte bei Waffenschmidt und Fehrenbach interpretieren. Auch das zu verbessernde Verhältnis zwischen Bürgern und Verwaltung schien ein gemeinsames Ziel der Redner aus unterschiedlichen Lagern. Freilich "führt kein Weg an der Verkürzung der Arbeitszeit vorbei", meint der Mann von der Gewerkschaftsspitze.

Konkreter wurde der Vortragsnachmittag durch den Erfahrungsbericht eines Verwaltungspraktikers. Hinrich Lehmann-Grube, Oberstadtdirektor von Hannover, konstatierte eine Veränderung des Zeitgeistes: Es fällt schwerer als früher, Bürger, Politiker oder Mitarbeiter für technische Neuerungen an sich zu begeistern oder auch nur zu interessieren. Nur wenn "Innovation" unter ein übergeordnetes Ziel gestellt werden könnte, sei es der Wirtschaftlichkeit, der besseren Qualität der Arbeitsergebnisse oder der Humanisierung des Arbeitsplatzes, könnten diese Neuerungen noch Bedeutung und Interesse beanspruchen. So die Erkenntnisse eines Fachmannes "vor Ort".

Speerspitzentechnologie

Als obligater Last-but-not-least-Redner schließlich formulierte GMD-Vorstandsmitglied Friedrich Winkelhage noch die Absichten der GMD. Schlagwort seines Vortrages war "leading-edge technology-Innovation", worunter wohl eine Art von "Speerspitzentechnologie" zu verstehen ist im Gegensatz etwa zur "Normalinnovation". In diesem Bereich sieht Winkelhage noch mehr als bisher Aufgaben auf seine Forschungseinrichtung zukommen, die sie aber in Kooperation mit der öffentlichen Verwaltung sowie Herstellern, Softwarehäusern und Beratungsunternehmen abwickeln will. Appell an die Öffentlichkeit: "Die GMD braucht Partner mit Mut zu Leading-edge-technology-Innovationsprojekten."