Schilda als Standard

22.02.1985

Wer aus einer - zumindest für IBM-Kunden - "revolutionären" Ankündigungserklärung von Big Blue zitieren möchte, muß sich schon in das Jahr 1964 zurückbegeben, in dem das System /360 die 1401 ablöste.

Seitdem bestimmte in schöner Regelmäßigkeit, nämlich alle fünf Jahre, die Evolution, was der Mainframe-Marktführer performancehungrigen Großkunden als Appetitzügler verkaufte. Das war bei den Systemen /370 und 303X so, das war bei der 308X nicht anders.

"Als Ergänzung zur Prozessorfamilie 308X", so der Pressetext, werden nun die Modelle 3090/200 und 3090/400 "Kunden mit besonders schnell wachsendem Bedarf an Computerleistung angeboten" (O-Ton IBM). Die vielzitierte Erlkönigin, die "Sierra", ist da. Aber handelt es sich bei den 3090-Großrechnern tatsächlich um die ersten Sierra-Modelle, von denen man sich, was die Leistungsfähigkeit betrifft, wahre Wunderdinge erhofft hatte? Von dem Marketingkünstler IBM wird man eine klare Stellungnahme nicht erwarten dürfen (siehe "Ergänzung") - lassen wir es also bei "Sierra", ein Name, an den sich IBM(-Hof)-Berichterstatter gewöhnen werden.

Die IBM bietet ihren 3081-Kunden nunmehr die Option, entweder auf die vorhandene 3084Q oder die neue 3090/200 zu gehen - allein unter Performance-Gesichtspunkten keine echte Alternative: Beide Maschinen liegen im 30-Mips-Bereich. Solche Konstellationen kommen einem irgendwie bekannt vor und man stellt sich die Frage: Ist die 3084Q nun als obsolet anzusehen und welche Rolle spielt die dyadische 3090/200 in der Upgrade-Politik des Marktführers?

Eine erste Antwort: Big Blue will offensichtlich die Einstiegs-Sierra gar nicht forcieren, jedenfalls vorläufig nicht. Nach der blauen Return-on-Investment-Logik wäre ja eigentlich eine mittlere Sierra-Maschine fällig gewesen um - erstens - die 308X-Familie weiter im Gespräch zu halten, und - zweitens - in einer an gemessenen "Field Debug Time", einer "Entwanzungszeit", die Produktlernkurve ("Product Learning Curve") zu kriegen (siehe 3081D vor vier Jahren).

Daß die "quadratische" 3090/400 nicht vor Mitte 1987 verfügbar ist, bestätigt Insider-Aussagen, wonach technische Probleme im Betatest aufgetreten seien. Nun also soll die kleine Sierra als Versuchsobjekt herhalten, das heißt, es wird beim Kunden nachentwickelt: Schilda als Standard. Dafür spricht auch, daß im Kanalbereich ein Teil dessen noch nicht gekommen ist, was die IBM in der Pipeline hat.

Auch sonst nur (IBM-) Gewohntes: Exzessives Paging und Swapping, daß es nur so eine Von Neumann-Art hat; Zyklus-Zucken kurz vor dem Keramik-Kollaps - und eine IMS-Erweiterung, die weiter auf CICS hoffen läßt. Warum mehr tun, wird sich die IBM sagen, als das unbedingt Notwendige. Fragt man sich, wie das zentrale Problem der /370-Architektur - der enorme System-Overhead - gelöst wurde, so ist die Antwort, daß es gar nicht gelöst wurde. Für IBM ist die Frage unwichtig geworden. 1987 ist schließlich auch noch ein Jahr: Schilda als Standard.

Schlußvorhang: Mother Blue schützt die Investitionen ihrer Kunden - bis sie es sich anders überlegt. Was signalisiert das 3090/200 Announcement denn anderes als: Nun kauft mal alle brav 308X-Maschinen, die sind billig zu produzieren, und außerdem verdienen wir noch eine schöne Stange Geld damit. Das mag eine knallharte Einstellung sein, sie ist wahr scheinlich aber realistisch. Die IBM kennt ihre Kunden.