Walldorf positioniert eine neue Beratungseinheit

SAPs Sündenfall: Einstieg in den Servicemarkt

26.10.2001
SAP provoziert mit seiner Ankündigung, die Beratermannschaft für internationale Geschäfte unter dem Namen SAP Global Service Organization (SAP GSO) auszubauen, Unruhe im Markt. Damit richtet sich der Softwarehersteller zwar an den Kundenbedürfnissen aus, verprellt aber externe Consultants.

"Es ist mal wieder so weit, dass SAP eine stärkere Präsenz beim Kunden benötigt", folgert ERP-Experte Helmuth Gümbel von Strategy Partners aus den jüngsten Ankündigungen der Walldorfer. Von Seiten der Anwender sei schon immer eine größere Nähe zum Hersteller gewünscht worden, die indirekte Unterstützung über weltweit agierende Beratungspartner sei bei großen Kunden nie besonders gut angekommen. Die Sorgen und Nöte ihrer Kunden scheinen die SAP-Verantwortlichen nun ernster zu nehmen - zumindest was Großunternehmen angeht. Für die mittelständische Klientel, so die offizielle Aussage, ist eine direkte Unterstützung weiterhin nicht geplant.

Konkret plant SAP, seine internationale Beratungskapazität auf über 1000 Mitarbeiter aufzustocken. Offiziell heißt es, dass die Zahl der hier Beschäftigten "in den vierstelligen Bereich" gehen werde. Genauere Angaben wolle man nicht machen. Die Consultants sollen teilweise aus eigenen Abteilungen, aber auch durch Neueinstellungen rekrutiert werden. Der Grund für den Aufbau einer auf internationale Projekte ausgerichteten Mannschaft liegt in Schwierigkeiten, die die bisherige Praxis zeigte. "SAP hatte schon immer ein Problem im internationalen Bereich, da multinationale Kunden von lokalen Implementierungspartnern betreut wurden", beobachtet Gümbel. Eine übergeordnete Organisation globaler Einführungsprojekte sei die Ausnahme gewesen. Mit der neuen Struktur versuche SAP nun, dieses Manko in den Griff zu bekommen.

Mitarbeitern beim "Überwintern" helfenNachdem SAP im Rahmen der Bekanntgabe des jüngsten Quartalsergebnisses eingeräumt hatte, in einigen Bereichen mit zuviel Personal ausgestattet zu sein, sieht Gümbel in der Einrichtung einer weltweiten Beratungseinheit aber auch den Versuch, in Zeiten lauer Lizenzgeschäfte einigen Mitarbeitern beim "Überwintern" zu helfen. Fakt ist aber auch, dass die Walldorfer ihr Beratungspersonal in einer Zeit aufstocken, in der deutliche Überkapazitäten im Consulting-Markt sichtbar werden. Darüber hinaus riskiert SAP, langjährige Partner zu verärgern, denen man nun selbst Konkurrenz macht.

Ginge es allein um die Kundenzufriedenheit, hätte sich SAP auf dieses Risiko wohl schon deutlich früher eingelassen. Die Service- und Beratungspartner sind jedoch immer auch Vertriebspartner, die die Software zwar nur zum Teil verkaufen, aber doch häufig empfehlen. Offenkundig haben sie diesen Job in den vergangenen Monaten vernachlässigt und statt der neuen SAP-Produktlinien rund um die Themen Kundenbeziehungs-Management (CRM) und Supply-Chain-Management (SCM) Alternativlösungen empfohlen, die schon länger am Markt etabliert sind und für die bereits Beratungskapazitäten aufgebaut wurden. Beispielsweise hatten sich große SAP-Partner wie Siemens Business Services (SBS) längst auf Siebel und i2 Technologies fokussiert und sind gegenwärtig im SAP-Umfeld noch dabei, Skills für die neuen Produkte heranzuziehen.

Offensive im CRM-MarktDie Walldorfer haben sich denn auch in den vergangenen Monaten in einer breit angelegten Image-Kampagne darum bemüht, ihren jüngsten Produkten zu einem höheren Bekanntheitsgrad zu verhelfen, und auch die Ausrichtung der neu geschaffenen Organisation zielt in diese Richtung. "Das Unternehmen baut seine personellen Ressourcen im Beratungsgeschäft vor allem im Umfeld von Mysap.com und CRM auf", beobachtet Nils Niehörster von Raad Consult. 500 Berater sowie 200 Vertriebler sollen allein im Bereich CRM eingestellt werden: "SAP versucht, tiefer in den Markt vorzudringen."

Als Beispiel für die Probleme, die SAP hier mit seinen Partnern hat, mag Accenture gelten. Der langjährige SAP-Gefährte bildete nicht nur zahlreiche Mitarbeiter auf die CRM-Suite von Siebel aus, er beteiligte sich auch finanziell an dem CRM-Anbieter. Gleichzeitig unterzieht sich das ehemals als Andersen Consulting firmierende Unternehmen nur zögerlich dem neuesten Zertifizierungsprozedere für die höchste SAP-Partnerstufe, den "Alliance Partner". Der Dienstleister hält sich nicht nur deshalb zurück, weil das Zertifikat mit Kosten verbunden ist, sondern er will auch zunächst abwarten, ob SAP es schafft, in den neuen Märkten Fuß zu fassen.

Deshalb gilt es nun für SAP, Vertrauen aufzubauen - und zwar bei Kunden wie Partnern gleichermaßen. Denn auch wenn die Walldorfer nun mit einer eigenen Mannschaft bei großen Kunden die Projektverantwortung übernehmen, werden sie doch weiterhin auf ihre Partner angewiesen sein: "SAP wäre niemals in der Lage, all diese internationalen Beratungs- und Implementierungsgeschäfte alleine zu stemmen", urteilt Experte Gümbel. Mit seiner Standardsoftware R/3 sei dem Hersteller der Balanceakt zwischen dem Partnergeschäft und dem eigenen Business gelungen. Mit Mysap.com und den zugehörigen neuen Modulen müsse er sich dieser Herausforderung erneut stellen.

SAP gründet die Consulting-Einheit einerseits, um dieses Geschäft anzuschieben, andererseits sollen Pannen während der Markteinführung vermieden werden. "Die Kerneigenschaft einer Standardsoftware, die das Rückgrat des Unternehmens bilden soll, ist Zuverlässigkeit", betont Niehörster. Weil aber die Software noch kaum etabliert und der Markt misstrauisch seien, dürfe sich der Softwareriese hierbei keine großen Fehlschläge leisten. Ein Imageschaden könne das Unternehmen härter treffen als der Zeitverlust für Anpassungen, der durch ein misslungenes Projekt entstehe.

"Wenn bei einem kleinen Kunden mal etwas fehlschlägt, dann lässt sich der Schaden eher mit Zugeständnissen beheben, als wenn ein Konzern etwa durch ein fehlerhaftes Lieferketten-Management Absatzprobleme bekommt", vergleicht Niehörster. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Ebenso geht es darum, die Beratungsengpässe im Umfeld der neuen SAP-Produkte zu entschärfen. Somit dürfte es für den Anwender wesentlich attraktiver sein, sich direkt vom Hersteller beraten zu lassen. Dieser wiederum behält die Kontrolle, kann seine Erfahrungen direkt in die Weiterentwicklung des Systems einbringen und erzielt zusätzliche Umsätze aus der Beratungstätigkeit.

Letzteres könnte sich entscheidend auf die künftige Strategie des Unternehmens auswirken. Zwar gehen die Meinungen darüber auseinander, inwieweit der ERP-Markt gesättigt ist, Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass die Wachstumsraten - nicht zuletzt wegen der gegenwärtigen Konjunkturkrise - sinken.

Die Kunden sehen die Gründung der globalen Serviceeinheit positiv. Genoveva Hodel, zuständig für die Kooperation mit IT-Consultants beim Pharmakonzern Roche, spricht für viele, wenn sie sagt: "Die Gründung von SAP GSO ist für uns zumindest kein Nachteil." Die Walldorfer treten aus ihrer Sicht lediglich als ein zusätzlicher Anbieter von Beratungsleistungen in den Markt ein. Gleichzeitig meldet sie jedoch Bedenken an, ob eine zu starke Dominanz von SAP nicht auch Folgen für die künftige Preispolitik haben könnte. Skeptisch sieht sie auch die Vorherrschaft in Sachen Schulung, die SAP schon jetzt innehat und die nun weiter ausgebaut beziehungsweise ausgenutzt werden könnte. Auch dürfte mit der Beratung durch den Hersteller ein Interessenkonflikt zwischen Produktverkauf und neutraler, sprich herstellerunabhängiger Beratung unausweichlich sein.

Direkte Konkurrenz zu ConsultantsMit der Gründung von SAP GSO stößt SAP die Partner nicht zum ersten Mal vor den Kopf. Bereits existierende Unternehmen wie SAP SI, SAP Markets oder SAP Portals haben ebenfalls dafür gesorgt, dass sich das Verhältnis deutlich abgekühlt hat. Die Strategie geht eindeutig zu Lasten der Consultants, die damit einen Teil ihres Geschäfts an die Walldorfer abgeben müssen. Waren bisher die Leidtragenden jedoch eher in den Reihen der Mittelstandspartner zu finden, so dürften nun primär die großen Beratungshäuser die Betroffenen sein. Die Betreuung internationaler Projekte lag bisher in ihrer Hand. Zurzeit ist jedoch die Investitionsbereitschaft der Kunden gering, so dass viele Beratungskonzerne ihr Personal nicht hinreichend beschäftigen können. Cap Gemini Ernst & Young beispielsweise räumte erst kürzlich ein, dass lediglich 68 Prozent der Berater ausgelastet seien.

KPMG - jetzt ein SAP-KonkurrentEntsprechend trifft die nun angestoßene Initiative der SAP in Consulting-Kreisen auf wenig Begeisterung. KPMG beispielsweise hatte bereits vor zwei Jahren unter dem Namen Global Solutions Delivery eine Beratungsmannschaft aufgebaut, die identisch ausgerichtet ist wie nun SAP GSO. Trotzdem sind beide Parteien nach wie vor voneinander abhängig und werden nicht müde zu betonen, dass die Zusammenarbeit ungefährdet sei. "SAP hat dann exzellente Karten, wenn man in Walldorf die Stärken und Erfahrung der globalen Partner nutzt und die Projekte gemeinsam mit uns betreibt," zeigt sich Brigitte Wallesch, Partnerin bei KPMG Consulting und verantwortlich für das SAP-Geschäft, überzeugt. Allerdings räumt sie ein, dass nun erstmal abzuwarten sei, wie die Entwicklung weitergehe. "Die Nachfrage ist groß genug", meint sie. Letzteres ist auch aus anderen Beratungshäusern zu vernehmen. Die Abhängigkeit von SAP spielt man vor allem mit dem Argument herunter, dass man sich eben nicht nur auf SAP spezialisiert hätte. Mit einem breiter aufgestellten IT-Beratungs-Know-how sowie dem Zugang zu den Vorstandsebenen über strategisches Management-Consulting verfüge man über einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber den Walldorfern. Und letztendlich seien beide Seiten voneinander abhängig, so der Tenor. "Die SAP ist stark genug, um zu wissen, dass sie teilweise auch über die Berater bei großen IT-Restrukturierungsprojekten mit ins Boot geholt wird", behauptet CSC-Ploenzke-Firmensprecher Frank Schabel, der früher selbst in SAP-Diensten stand.

Nach Meinung des SAP-Experten Gümbel ist SAP sogar gezwungen, das Verhältnis zwischen Beratungs- und Lizenzgeschäft nicht zu stark zu verändern: "Mit dem Einstieg ins Beratungsgeschäft verwässert SAP seinen derzeit hohen Pro-Kopf-Umsatz." Traditionell erziele das Unternehmen eine Marge von über 20 Prozent, "das ist im Beratungsgeschäft nicht zu erreichen". Wollten die Walldorfer ihren Pro-Kopf-Umsatz halten, müssten sie sich die Beratung teuer bezahlen lassen - und wären dann nicht mehr wettbewerbsfähig gegenüber den Partnern. Gehe SAP aber mit den Preisen nach unten, werde der ohnehin in Mitleidenschaft gezogene Aktienkurs weiter sinken, da der Finanzmarkt den Anbieter für die geringeren Renditen rigoros abstrafen werde.

Riem Sarsam

rsarsam@computerwoche.de

Abb: Noch keine Auffälligkeiten

In den letzten Quartalen gelang es der SAP, das Verhältnis zwischen Lizenz- und Beratungsumsatz weitgehend konstant zu halten. Quelle: CW