Sapphire '98: Anwendungen für neue Branchen und Märkte

SAPs Scope-Baustelle nimmt langsam Gestalt an

03.07.1998

Mit dramatischen Neuankündigungen hatte auf der diesjährigen Leistungsschau keiner gerechnet. Analysten und Anwender waren da durch die Bank einer Meinung. Die Softwerker hatten sich auf der Sapphire '97 in Orlando und auf der CeBIT '98 viel auf die Fahnen geschrieben, als sie mit der Scope-Initiative die neue Marschrichtung der Company ankündigten. Produkte einer "neuen Dimension" sollen entstehen und die dafür nötigen Hausaufgaben waren bis Sapphire heuer noch nicht vollständig gemacht.

Ziel von Scope ist es, Anwendungen zur Verbesserung der Wertschöpfungsketten, Vertriebs- und Marketing-Software und Analysekomponenten zu entwickeln, die sich unabhängig von dem bisherigen Enterprise-Resource-Planning-(ERP-) System R/3 einsetzen und vermarkten lassen. Das soll der SAP neue Märkte eröffnen und die Chance auftun, künftig branchen- und funktionsübergreifende Lösungen anbieten zu können.

Wie sehr der Softwaremulti damit beschäftigt ist, die Scope-Baustelle fertigzustellen, unterstrich SAP-Vorstandssprecher Henning Kagermann in seiner Keynote-Rede: "SAP ist mittlerweile eine Familie von Produkten", sagte er den mehr als 8000 Teilnehmern. "Wir haben dafür Sorge zu tragen, daß wir technisch und funktional gerüstet sind, separat nutzbare Anwendungen anbieten zu können." Zudem treibe man große Anstrengungen, um die Entwicklung von Branchenlösungen voranzubringen.

Die Federführung hierbei übernehmen die im letzten Jahr gegründeten Industry Business Units (IBUs), die in erster Linie das Standard-R/3-System an die spezifischen Anforderungen der Branchen anpassen und wenn nötig auch Zusatzfunktionen erstellen. Dazu zeigte die IBU Retail in Madrid die Handelslösung "SAP Retail Online Store", die mit der Branchenlösung "SAP Retail" im Verbund arbeitet. Die Komponente ist sowohl für Geschäftstransaktionen zwischen Unternehmen (Business-to-business) als auch für Endverbraucher gedacht, die bei Unternehmen einkaufen wollen (Consumer-to-business).

Anwender haben mit dem Online Store die Möglichkeit, Produktkataloge zu durchsuchen, Einkaufskörbe zu verwalten, Preise und Verfügbarkeit von Waren zu prüfen, den Auftragsstatus zu verwalten und die Zahlung abzuwickeln. Wobei die Bestellung auf Rechnung, per Nachnahme und online via Kreditkarte beglichen werden kann.

Als neue Scope-Komponente wurde "SAP Business-to-Business Procurement" (BBP) gezeigt, das sich für die Beschaffung in Unternehmen eignen soll. Mittels Web-Zugriff aus einem Browser heraus können Anwender Waren und Dienstleistungen bei ihren Lieferanten bestellen, während der Zentraleinkauf die Warenbewegungen überwachen und analysieren sowie Beschaffungsstrategien ausarbeiten kann. Die Systeme der Geschäftspartner werden echtzeitnah mit eingebunden, was den Bestellprozeß erheblich verkürzen soll. Die ersten Systeme sollen Kunden im vierten Quartal 1998 zur Verfügung stehen.

Schön bunt präsentierte sich der Prototyp des "Supply Chain Cockpits". Dabei handelt es sich um die Überwachungseinheit des Advanced Planner and Optimizer (APO), einer Scope-Komponente, die für die strategische, taktische und operative Planung und Steuerung von Unternehmen gedacht ist. Mit dem Cockpit lassen sich Informationen, die zum Management von Lieferketten benötigt werden, grafisch zentral an einem Ort darstellen. Warenbewegungen, Verfügbarkeiten, Liefertermine, Kundenwünsche und Produktionspläne sind am Cockpit abrufbar. Der APO wird mittels der SAP-Schnittstellentechniken BAPI und ALE mit dem R/3-Kernsystem oder den Lösungen anderer Hersteller verbunden. Ende des Jahres, so hofft die SAP, kann das Produkt kommerziell angeboten werden.

Im August soll das "Business Information Warehouse" (BW) für Windows-NT- und Unix-Rechner zur Verfügung stehen. Rund 35 europäische Unternehmen sind an der Entwicklung von SAPs Data-Warehouse-Lösung beteiligt, erklärt Claus Heinrich, Mitglied des SAP-Vorstands. Ziel dieser Allianz ist es, die Anforderungen unterschiedlicher Branchen und Unternehmensgrößen aufzunehmen und im BW zur Verfügung stellen zu können.

Noch in den Kinderschuhen steckt die Lösung zur Steuerung von Vertrieb und Marketing. Der SAP-Entwicklungspartner Kiefer & Veittinger, an dem die Walldorfer seit März zu 80 Prozent beteiligt sind, zeigte einen Prototyp von "SAP SFA" (SFA = Sales Force Automation). Basisfunktionen wie Stammdatenpflege (Kunden, Produkte, Termine, Kontakte etc.) sowie Client- und Server-Funktionen und die Anbindung des Außendienstes an das Back-Office sind möglich. Auch Auswertungen nach Auftragswahrscheinlichkeit, Vertriebsgebieten, Kunden und Mitarbeitern werden bereits unterstützt. SAP SFA soll Ende des Jahres an ausgesuchte Kunden ausgeliefert werden, mit der allgemeinen Vermarktung ist nicht vor Sommer 1999 zu rechnen. Weitere Details zu SAP SFA hat sich das Management für die US-Sapphire im September aufgespart.

Zu den spektakulärsten Ereignissen in Madrid gehörten die Präsentationen des "Management Cockpits". Dabei handelt es sich um Gemeinschaftsentwicklung von SAP und der belgischen N.E.T. Research. Entscheidungsträger sollen damit rasch über den Zustand des eigenen Unternehmens, der Märkte, Mitbewerber und Lieferanten informiert werden. Dazu werden auf Bildschirmwänden Daten wie Kundenzufriedenheit, Liefertermintreue oder auch die Börsenbewertung, Meinung von Analysten etc. dargestellt. Gleich einem Piloten kann der Benutzer im Cockpit mit Stellschrauben die einzelnen unternehmenskritischen Werte modifizieren. Die Veränderungen werden simuliert und sofort angezeigt. Hochrangige Meetings sollen dadurch effizienter und kürzer werden. Erste Anwender sind unter anderem DHL, Unilever, Credit Suisse und SAP selbst.

Gespeist wird das Cockpit mit Daten aus der Anwendungsfamilie "Strategic Enterprise Management" (SEM). Das SEM basiert auf dem SAP BW und umfaßt bislang Komponenten zur Planung und Simulation von Unternehmen, zur Konsolidierung, Engpaß-, Finanz- und Leistungsanalyse. Darüber hinaus soll die Kommunikation mit und die Verwaltung von Personen, die Interesse und Anteil am Unternehmen haben (englisch: Stakeholder), verbessert werden. Dazu können Daten aus unternehmensinternen sowie übergreifenden Quellen berücksichtigt und ausgewertet werden. Die ersten Komponenten sind bereits verfügbar.

Über die Preise für alle Produkte schweigt sich die SAP bisher aus. Doch drohen die Walldorfer gerade in den Bereichen Vertrieb und Marketing sowie Lieferketten-Management mit sonst von ihnen eher ungewohnten Dumping-Preisen. Konkret: Ein SFA- oder APO-Arbeitsplatz soll nicht mehr kosten als ein ERP-Arbeitsplatz, verspricht SAP-Vorstandsmitglied Peter Zencke.

Schlaglichter

Mittelstand: Bemüht sich die SAP bei nationalen Veranstaltungen auch um Mittelständler, scheinen die Themen auf den Sapphire-Veranstaltungen zunächst für die Großunternehmen dieser Welt konzipiert. Für die Kleinen steht jedoch seit der Konferenz ein erweitertes Angebot zur Verfügung. Die unter dem Label "Ready-to-Run" auf Compaq-Rechnern für kleinere und mittlere Unternehmen konzipierten Pakete sind nun auch für weitere Plattformen erhältlich: Kunden können die vorinstallierten Systeme aus SAP R/3 3.1, Hardware und Datenbank nun von Bull, IBM, Hewlett-Packard, NCR, Siemens und Sun beziehen. Zusätzlich zum "SQL Server" von Microsoft stehen Datenbanken von Informix, Oracle und IBM zur Verfügung.

R/3 4.5: Das Release SAP R/3 4.5 der ERP-Software soll im Sommer 1999 zur Verfügung stehen, wobei die jetzige Ausführung 4.0 insbesondere um industrie- und branchenspezifische Funktionen erweitert werden soll. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Ausbau der Produktions- und Logistikanwendungen für "SAP Aerospace and Defense", "SAP Automotive", "SAP Engineering and Construction", "SAP High Tech", "SAP Chemicals", "SAP Pharmaceuticals" und "SAP Consumer Products".