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SAPPHIRE: "Unsere Feinde müssen keine Angst haben"

15.06.2001
SAP-Chef Hasso Plattner predigte auf der Sapphire in Orlando das neue Mantra der Offenheit: Mit der von Toptier übernommenen Portaltechnik sollen auch die Anwendungen der Konkurrenten integriert werden.

Von CW-Redakteurin Karen Funk

ORLANDO (COMPUTERWOCHE) ­ Was die deutsche Vorzeige-Softwareschmiede SAP bereits auf der europäischen Sapphire in Lissabon angekündigt hatte, wurde auf der Hausmesse in Orlando, Florida, in dieser Woche nun auch vor US-Publikum propagiert: Die Walldorfer haben sich einer neuen Offenheit verschrieben. Die vor zwei Monaten mit der Toptier-Übernahme eingekauften Portaltechnologie soll Anwendern helfen, alle Unternehmensanwendungen ­ auch die der Konkurrenz ­ auf der Benutzerseite zu integrieren. Neben einigen Produktneuheiten und Success-Stories standen zudem Partnerschaften mit IBM und Palm im Mittelpunkt der Veranstaltung.

Vorstandssprecher und SAP-Mitbegründer Hasso Plattner, dessen Keynote unter dem Motto "Visionen für die neue New Economy" stand, blickte zunächst einmal kritisch auf die Hysterie rund um Dotcoms und Internet-Wirtschaft zurück. "In Zeiten, wo aus Dotcoms Notcoms werden, fühle ich mich bei SAP richtig wohl", sagte er vor zirka 10.000 Kunden, Partnern, Analysten und Journalisten, die sich im Orange County Convention Center zusammengefunden hatten. Der SAP-Topmann, der in der Vergangenheit heftig für seine Skepsis bezüglich der New Economy kritisiert wurde, fühlte sich jetzt auf der Seite der Sieger: "Wissen Sie, was B2B heutzutage heißt? Das heißt Back to Banking. Und wie ist es mit B2C? Das bedeutet heute Back to Consulting."

Portale sollen Komplexität mildern

Plattner gestand jedoch ein, dass man auch auf SAP-Seite Fehler gemacht habe. So habe man sich zu sehr um Verbesserungen des R/3-Systems gekümmert und dabei die Außenwelt und die Möglichkeiten des Internet vergessen. Inzwischen habe SAP diese Lektion jedoch gelernt und mit der Internet-Strategie Mysap.com nachgezogen. Auch in einem anderen Bereich ist Plattner zufolge Einsicht eingekehrt: "Wir haben erkannt, dass wir niemals unseren Traum erreichen können, alle Unternehmensapplikationen aus einer Hand zu produzieren." Schließlich seien Firmen heterogene Gebilde, ebenso wie die verwendeten Technologien. Angesichts der komplexen und vielfältigen Anforderungen sei Integration der Schlüssel.

Die Verknüpfung der unterschiedlichen Technologien will SAP nun mit der aufgekauften Toptier-Portaltechnik stemmen. Der Anwender erhält ein benutzerfreundliches Portal, über das er auf die verschiedenen Applikationen zugreifen und diese nach Wunsch verknüpfen kann. Möglich werde dies durch die "Drag and Relate"-Technologie von Toptier. Wie diese Szenarios künftig aussehen können demonstrierte Plattner in Orlando anhand der vor kurzem verkündeten Portalkooperation mit Yahoo. Über ein Portal für einen Sales Manager beispielsweise können Yahoo-Informationen mit Anwendungen wie etwa Microsofts "Exchange"-Messaging-Lösung oder Peoplesofts CRM-Lösung verknüpft werden. Will der Vertriebsmann wissen, was über den Kunden, den er in Kürze besuchen will, in den Medien berichtet wurde, so klickt er in seinem CRM-Programm auf den entsprechenden Klienteneintrag und zieht ihn mit der Maus hinüber zum gewünschten Yahoo-Bereich "News" des Portals. Daraufhin liefert das Portal die Informationen im erwünschten Kontext. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise auch Anfahrtsbeschreibungen zum Kunden abfragen oder die letzte E-Mail-Korrespondenz mit dem Klienten schnell und effizient abrufen.

Der Vorteil der Toptier-Technologie liegt laut Plattner vor allem in der schnellen Integration und der Möglichkeit, Lösungen aus der Sicht der Anwender zu kombinieren, ohne dass diese die dahinter liegende Softwarekomplexität sehen. Ferner können bereits beim Anwender installierte Applikationen ­ "auch die unserer größten Feinde" - mit der Portalsoftware integriert werden, erklärte der Vorstandssprecher weiter: "Unsere Feinde müssen keine Angst vor uns haben." Natürlich werde man versuchen, weiterhin die SAP-Lösungen zu verkaufen. Aber wenn ein Kunde bereits konkurrierende Software einsetzt, dann sei dies auch kein Problem.

Fünf-Säulen-Strategie

In der neuen New Economy werden laut Plattner Portale und elektronische Marktplätze, vor allem aber private Handelsplattformen, eine vorrangige Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund legte SAP seine Strategie für die Zukunft dar, die auf fünf Säulen basiert: offene Portalsoftware, individuelle B2B-Marktplätze sowie Applikationen in den Bereichen Supply-Chain Management (SCM), Product Lifecycle Management (PLM) und Customer Relationship Management (CRM).

Trotz der propagierten Offenheit gegenüber den Konkurrenten trat die Rivalität der Walldorfer mit dem US-Unternehmen Oracle deutlich zutage. In einem Videoclip nahm SAP die Company von CEO Lawrence "Larry" Ellison ordentlich auf die Schippe: Ein Vater besucht mit seinem Sohn ein Museum über die vergangene Ära der New Economy ­ in dem Clip als "Novus Economus" bezeichnet. Der Vater zeigt dem Sohn die gescheiterten Dotcoms und beantwortet seine erstaunten Fragen bezüglich ihrer aberwitzigen Geschäftsmodelle. Schließlich fragt der Sohn: "Können wir noch anschauen, wie Oracle es geschafft hat, eine Milliarde Dollar an Kosten durch ihre Software einzusparen?" Antwortet der Vater: “Das heben wir uns für morgen auf, wenn wir Fantasy-Land besuchen."

Prominente Gäste

Ein peinlicher Versprecher unterlief Plattner dann bei der Begrüßung seines Gastredners Michael Capellas, den er als Chef von Oracle ankündigte. Der Compaq-CEO nahm es scheinbar humorvoll als interessante Beförderung. Ray Lane ein, der später per Web-basierter Videoübertragung zugeschaltet wurde, nahm den Lapsus auf. Der ehemalige President und Chief Operating Officer von Oracle, der in Unfrieden ausschied und inzwischen bei der Investment-Gesellschaft Kleiner, Perkins, Caulfied & Byers tätig ist, begrüßte Plattner mit den Worten: "Ich bin gerade in Walldorf, Hasso, und wurde soeben zum neuen CEO und Chairman der SAP berufen."

Lane leistete SAP aber Schützenhilfe und lobte die neue offene Strategie der Walldorfer. Gerade die einseitige Sicht von Oracle, alles aus einer Hand liefern zu wollen, habe damals seinen Bruch mit Ellison bewirkt. Hingegen sei die SAP mit ihren Produkten, Mitarbeitern und ihrer großen Kundenbasis sehr gut aufgestellt. Viele abtrünnige Mitarbeiter seien inzwischen zu SAP zurückgekehrt, darunter ein wichtiger Sales-Manager. Kritisch sieht er dennoch die durch die zwei Hauptsitze in Walldorf und den USA unklare Management-Struktur bei SAP.

Partnerschaften mit IBM und Palm

In der anschließenden Pressekonferenz stellten die SAP-Verantwortlichen Plattner, Co-Chef Henning Kagermann und SAP-America-Boss Wolfgang Kemna weitere Meilensteine wie die globale Kooperation zwischen den Walldorfern und IBM vor. Demnach wird Big Blue künftig die Portaltechnologie der Deutschen für seinen "Websphere Portal Server" lizenzieren. Zudem soll ein großer Teil der rund 5000 IBM-Berater auf Mysap.com geschult werden. Ferner ist IBM seit neuestem Global Hosting Partner für die deutsche Softwareschmiede. Auf der anderen Seite wird die SAP-Tochter SAP Markets die Websphere-Technologie von IBM in Lizenz nehmen. Auf die Frage, welche Strategie die Walldorfer künftig mit der SAP-eigenen Applications-Server-Lösung "In-Q-My" verfolgen, antwortete Plattner: "Websphere werden wir vor allem in der Entwicklung und bei speziellen Projekten verwenden. Auf jeden Fall werden wir In-Q-My weiterentwickeln." Nähere Angaben wollte der Topmanager nicht machen. Helmuth Gümbel, Analyst bei Strategy Partners, erklärte im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, SAP habe sich niemals nur auf einem Kriegsschauplatz getummelt. Die zweigleisige Strategie sei daher nicht erstaunlich.

Ein weiteres Abkommen schloss SAP mit Palm. Beide Firmen wollen künftig die Mobility-Lösungen der Walldorfer speziell auf die Palm-Handheld-Devices ausrichten und gemeinsam vertreiben. Zudem stellte SAP neue Komponenten seiner CRM-, SCM- und PLM-Lösungen vor. Bemerkenswert sind zudem Neukunden wie Shell, Kellogg, Siemens Business Services (SBS) und vor allem das US-Verteidigungsministerium (Department of Defense), das sich für Mysap.com entschieden und einen Vertrag für rund 33.000 Endanwender unterzeichnet hat.

Plattner und Kagermann treten nicht ab

Auf die Frage, wie lange Plattner und Kagermann noch am Ruder bleiben werden, erklärte der SAP-Vorstandsvorsitzende: "Die schlechte Nachricht ist: Sie müssen mit mir noch eine Weile vorlieb nehmen. Die gute Nachricht ist: Kagermann wird noch bis mindestens 2005 CEO des Unternehmens bleiben."

Die meisten Analysten bewerteten die neue Vision und Strategie von SAP positiv. Das Unternehmen habe wie alle ehemals reinen ERP-Anbieter einige Klippen zu umschiffen gehabt, sei jedoch inzwischen wieder gut aufgestellt. Zudem seien die Zahlen solide, die Mitarbeiter gut. Positiv vermerkt wurde, dass abtrünnige Mitarbeiter wieder zurückgekehrt seien. Allerdings müssten die Walldorfer sich im Bereich CRM noch anstrengen. "Sie sind ein großer Player im CRM-Umfeld, werden aber aufgrund ihrer Vormachtstellung im klassischen ERP-Bereich (Enterprise Resource Planning) nicht als solcher gesehen", begründete Brian Bingham, Analyst bei IDC, die Skepsis.