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SAP und Daimler: CEO und CIO im Gespräch

19.12.2012
Von 
Christoph Witte arbeitet als Publizist, Sprecher und Berater. 2009 gründete er mit Wittcomm eine Agentur für IT /Publishing/Kommunikation. Dort bündelt er seine Aktivitäten als Autor, Blogger, Sprecher, PR- und Kommunikationsberater. Witte hat zwei Bücher zu strategischen IT-Themen veröffentlicht und schreibt regelmäßig Beiträge für die IT- und Wirtschaftspresse. Davor arbeitete er als Chefredakteur und Herausgeber für die Computerwoche. Außerdem ist Witte Mitbegründer des CIO Magazins, als dessen Herausgeber er bis 2006 ebenfalls fungierte.

Kein Volumenmodell für Mobile Apps

CW: Welche Neuerungen hat die Partnerschaft zwischen Daimler und SAP im Bereich Mobile bisher zustande gebracht und wie zufrieden sind Sie damit Herr Gorriz?

Gorriz: Die SAP kam im Jahr 2011 mit einem Software-Stack zur Entwicklung mobiler Lösungen auf uns zu. Den haben wir genau geprüft und haben Nachbesserungen vorgeschlagen. Die SAP hat genau zugehört und weiterentwickelt. Heute ist der Stack unserer Meinung nach Enterprise-tauglich und für uns gut einsetzbar. Die Preishürde war nicht so leicht zu überwinden. Aber dazu kann Herr Snabe vielleicht mehr sagen.

Snabe: In Volumenentscheidungen diskutieren wir häufig, wie wir einen Mehrwert für den Kunden schaffen und für SAP einen Liquiditätsvorteil generieren können. Im Zusammenhang mit Mobile haben wir gelernt, dass es umgekehrt besser funktioniert, will sagen: wenn man kleinpreisiger pro App einsteigt. Nehmen Sie das Beispiel Apple AppStore. Damit hat Apple eine Innovationsplattform geschaffen mit heute insgesamt mehr als 700 000 Apps, davon mehr als 275 000 Apps allein für das iPad. Das wäre wahrscheinlich mit einem Volumenvertrag, der erst bei einer hohen Zahl von Apps einen niedrigen Preis erlaubt, nicht zustande gekommen. Deshalb haben wir uns mit Daimler auf ein Modell geeinigt, das im jeweiligen Projekt am Anfang niedrige Preise erlaubt unter Berücksichtigung des Business Case. Damit teilen wir uns auch einen Teil des Risikos.

Gorriz: Ich gehe das Risiko ein, dass sich Daimler bei der Entwicklung mobiler Applikationen auf den Software-Stack von SAP festlegt. SAP ist dafür bereit, länger auf den großen Kuchen zu warten. Wir haben beide von Apple gelernt, dass auch eine App für 99 Cent viel Geld bringt, wenn man sie zehn Million Mal verkauft.

CW: Vom Apple AppStore lässt sich auch lernen, dass man eine Umgebung kontrollieren und sie trotzdem für andere Entwickler öffnen kann. Wird SAP auch so vorgehen?

Snabe: Diesen Ansatz haben wir von Anfang an verfolgt. Wir glauben nicht, dass alle Innovationen im mobilen Bereich von SAP kommen können. Deshalb haben wir das als Plattformgeschäft realisiert. Mit dieser Plattform können Dritte schnell Apps entwickeln, in die standardmäßig die Anbindung an die SAP-Backend-Systeme und -Daten integriert sind, und sich so problemlos im SAP-Ökosystem einsetzen lassen.

Gorriz: Die Verbindung zum ERP-System ist deshalb im professionellen Umfeld so wichtig, weil die meisten Enterprise Apps ja Daten aufbereiten, die irgendwo in diesen Backend-Systemen residieren oder durch sie abrufbar sind.

CW: Können Sie Beispiele für Apps nennen, die Daimler auf der SAP-Plattform entwickelt hat?

Gorriz: Bisher sind noch keine Kunden-Apps entstanden. Wir konzentrieren uns noch auf Apps für den Daimler-internen Gebrauch. Das reicht von einfachen Workflows, bis hin zur Lagerverwaltung.

Sicherheit gerät noch stärker in den Fokus

CW: Durch die Ausdehnung der IT auf den Endkunden sowie die vielfältigen digitalen Interaktionsmöglichkeiten zwischen Kunden und Unternehmen gerät das Thema Sicherheit noch stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit als ohnehin schon. Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von Ihren Lieferanten, Herr Gorriz?

„Die Kunden erwarten, dass wir ihnen – wie Amazon – auf Basis ihres jüngsten Einkaufs Angebote machen können.“ Michael Gorriz, Daimler
„Die Kunden erwarten, dass wir ihnen – wie Amazon – auf Basis ihres jüngsten Einkaufs Angebote machen können.“ Michael Gorriz, Daimler
Foto: Daimler

Gorriz: Auf der einen Seite betrachten wir Kundendaten als hochsensibles und schützenswertes Gut. Auf der anderen Seite erwarten die Kunden aber auch von uns, dass wir - wie Amazon zum Beispiel auch - ihnen auf Basis ihres jüngsten Einkaufs Service-Angebote machen. Vom Leasingvertrag bis hin zum passenden Dachträger oder einem Software-Update für ihr Navigationssystem. Um diesen Erwartungen zu entsprechen, werden wir in Zukunft viel mehr Daten sammeln als in der Vergangenheit. Schon recht bald verbinden wir die Fahrzeuge mit dem Internet. Auf diese Weise wissen wir, was der Kunde mit seinem Auto macht, wie und wohin er fährt zum Beispiel.

CW: Und sie bieten dann die Ergebnisse dieser Analysen Autobahnraststätten an, damit die ihr Angebot besser auf Daimler-Kunden abstimmen können?

Gorriz: Wir denken da in andere Richtungen: Wenn wir den Fahrstil eines Kunden kennen, bieten wir vorsichtigen Fahrern Versicherungen zu einem niedrigeren Preis an. Wenn wir so etwas tun, hat Datensicherheit natürlich eine extrem hohe Priorität. Und das ist nicht nur eine Frage der betrieblichen Aufmerksamkeit, sondern auch eine Architekturfrage. Wie werden kundensensible Daten abgelegt, gespeichert, verschlüsselt und so aufbereitet, dass sie in anonymisierter Form allgemein, aber in individueller Form nur für dieses Individuum verwendet werden? Das ist eine Herkulesaufgabe. Wir erwarten deshalb von unseren Vendoren, dass die Komplexität ihrer Lösungen den gestiegenen Sicherheitsansprüchen nicht zuwider läuft. Wir erwarten, dass Security integraler Bestandteil ihrer Pakete ist.

Snabe: SAP hat zwei Vorteile in diesem Bereich: Wir machen Geschäftssoftware und keine Konsumentenprogramme. Unsere Software geht seit 40 Jahren sowohl mit Konstruktionsdaten von Flugzeugen als auch mit Milliarden Transaktionen von Banken um. Deshalb haben wir in Sachen Sicherheit große Erfahrung.

CW: Aber die Enterprise- und die Konsumenten-Welten wachsen doch zusammen - gerade im mobilen Bereich!

„Ich habe gelernt, dass man das Kundenvertrauen nicht überstrapazieren darf.“ Jim Hagemann Snabe, SAP
„Ich habe gelernt, dass man das Kundenvertrauen nicht überstrapazieren darf.“ Jim Hagemann Snabe, SAP
Foto: Wolfram Scheible / SAP AG

Snabe: Die Sicherheitsprobleme entstehen meistens zwischen den Systemen, weniger häufig innerhalb eines Systems. Im Enterprise-Bereich war das früher nicht so schwierig. Heute, mit Internet-Verbindungen, mit Mashups aus Komponenten verschiedener Anbieter, mit der Mischung aus Cloud- und On-premise-Lösungen ist das viel komplizierter geworden. Wir können da auf der einen Seite unsere Erfahrung mit kritischen Systemen in die Waagschale werfen. Andererseits fallen viele Systemübergänge weg, wenn sich ein Kunde für SAP entscheidet. Aber durch Mobile und Cloud bleiben wir in Sachen Sicherheit dauernd gefordert. Wir können es uns keinesfalls leisten, da nachzulassen. Wir haben bei SAP dreizehn sehr hohe interne Qualitätsstandards. Davon zielt einer dediziert auf das Thema Security. Wenn ein Produkt unser Haus verlässt, muss es diesen internen Standards entsprechen. Ansonsten erfolgt keine Auslieferung.

Gorriz: Einer alten Schiffbauerweisheit zufolge dringt das Wasser nicht durch die Planken, sondern durch die Ritzen dazwischen. Auf unsere Zeit übertragen heißt das, wenn wir, wie in den USA, unsere Autos über das iPhone öffnen lassen, dann sind unsere Diebstahlsicherungen nur noch so sicher wie das iPhone. Deshalb müssen wir schon aus Eigeninteresse großen Wert auf die Sicherheit der mobilen Geräte legen.

InMemory hilft, den Datenschatz zu heben

CW: Lassen Sie uns zum letzten Thema dieses Gesprächs kommen - Big Data und In-Memory-Computing.

Snabe: Die Datenmenge ist in den letzten Jahren so stark angestiegen, dass wir vor der Frage stehen, ob wir Daten als Asset benutzen wollen oder ob sie weiter zur Komplexität beitragen und keinen Mehrwert liefern. In-Memory-Computing macht die stark steigende Datenflut zum Asset, weil wir sie in Echtzeit analysieren und sie für zukunftsgerichtete Entscheidungen nutzen können. Dazu mussten wir allerdings die Festplatte umgehen und alle zu analysierenden Daten in den Hauptspeicher bekommen. Das galt aber aufgrund des hohen Preises als zu teuer.

CW: Gilt es wohl immer noch, gerade mit HANA.

Snabe: Nein. Wir haben inzwischen auf Basis von SAP HANA bezahlbare Appliances gebaut. Zum Beispiel haben wir bei einem Kunden, der 320 Millionen Transaktionen pro Tag bewältigt, ein System installiert, das sämtliche Transaktionen von zehn Jahren im Hauptspeicher unterbringt. Das gelingt natürlich nur mit intelligenten Kompressionsverfahren.

IT-Systeme sind nicht zuletzt deshalb so komplex geworden, weil sie mit der Langsamkeit der Festplatten umgehen müssen. Im BI-Bereich zum Beispiel arbeiten wir mit redundaten Daten, die wir in Data Warehouses speichern und sie aufbereiten, um schneller Antworten zu bekommen. Mit dem Einsatz von In-Memory-Computing spare ich mir diesen Zwischenschritt der Datenaufbereitung. Ich halte deshalb diese neue Technologie für eine der wenigen, die Infrastruktur vereinfachen können und sie nicht noch komplexer werden lassen. Mit SAP HANA komprimieren wir Daten um den Faktor 100, so dass Sie etwa ein Petabyte Plattenspeicher mit 100 Terabytes In-Memory-Kapazität vergleichen müssen.

Hinzu kommt das Parallel Processing. Diese beiden Technologien verstärken sich gegenseitig und treiben den Preis von HANA nach unten und die Performance nach oben. Selbst wenn wir HANA nicht weiter entwickeln würden, halbieren sich die Preise für Hauptspeicher (Memory) rund alle 18 Monate und die Rechenleistung verdoppelt sich mit jeder neuen Chipgeneration. Deshalb werden wir Festplatten bald nur noch zur Langzeitspeicherung einsetzen, nicht mehr für Hot Data. Das heißt nicht, dass Festplatten nicht mehr benutzt werden, schließlich ging die Steinzeit auch nicht wegen fehlender Steine zu Ende, sondern weil neue Technologien genutzt wurden.

Gorriz: Wir sollten In-Memory und Big Data nicht in einen Topf werfen. Wir können heute ganze transaktionale Systeme im Hauptspeicher unterbringen. Dank Technologien wie SAP HANA können wir auch unsere analytischen Aufgaben dort erledigen. Die Ressourcen, die ich vorher für diese Aufgaben brauchte, kann ich dann nutzen, um die wirklich großen Datenmengen zu speichern. Wenn wir von Petabyte sprechen, wird uns auch In-Memory-Computing nicht wirklich weiterhelfen. Physische Speicher werden weiterhin notwendig sein. Aber mit In-Memory habe ich einfachere Architekturen, und ich bekomme Ressourcen frei, die ich für die neuen Aufgaben verwenden kann, die auf die IT zukommen.

CW: Zunächst müssen Kunden aber in HANA Geld investieren. Wie rechnen Sie heute einen Business Case für HANA?

Gorriz: Heute betreibe ich auf einer Maschine ein ERP-System mit einer klassischen Datenbank darunter. Daneben betreibe ich auf einer zweiten Maschine ein Business Warehouse, das mir die entsprechenden Reports liefern kann. Eine HANA Appliance, so die Annahme, auf der ich beide Tasks erledigen kann, kostet ungefähr so viel wie eine der heute betriebenen Maschinen. Das frei werdende Geld kann ich dann für neue Ausgaben nutzen - zumindest teilweise.

CW: Und was bringt die eingesparte Zeit dem Geschäft?

Gorriz: Das kann man pauschal nicht sagen. Die Geschäftsprozesse verändern sich aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten und was diese Veränderungen bringen, lässt sich noch nicht voraussagen:

Snabe: Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels verdeutlichen: Nongfu Spring ist in China der größte Produzenten von Mineralwasser. Das Unternehmen benutzt SAP HANA für seine Transportplanung. Das dauerte früher fünf Stunden und wurde über Nacht erledigt. Morgens machten sich die hoch beladenen Lastwagen auf den Weg. Die Transportkosten belaufen sich auf rund 15 Prozent des Umsatzes. Mit SAP HANA bewältigt das Unternehmen die Transportoptimierung in drei Minuten. Das heißt, sie optimieren jetzt kontinuierlich. Der LKW wird also gegebenenfalls während der Fahrt noch anders geroutet. Damit sparen sie 30 Prozent ihrer Transportkosten ein, steigern also ihren Ertrag um insgesamt vier Prozent. Aber das ist kein generischer Vorteil. Das ist unternehmensabhängig.

Das Gespräch führte Christoph Witte, ehemals Chefredakteur und Herausgeber der COMPUTERWOCHE und heute Geschäftsführer der Agentur Wittcomm.

Teaserbild: Mopic, Fotolia.com (mhr)