Bringt Mysap.com den Durchbruch für das Mittelstandsgeschäft?

SAP-Systemhäuser zwischen den Fronten

16.03.2001
MÜNCHEN (rs) - Mit Mysap.com will die SAP offenbar nicht nur den ERP-Markt, sondern auch ihr eigenes Mittelstandsgeschäft revolutionieren. Dafür spricht die Modularisierung der Suite sowie ein neues Lizenzierungsmodell. Doch viele "Channel"-Probleme der Vergangenheit sind damit noch nicht gelöst.

Die Mittelstandsinitiative der SAP hat schon eine lange Geschichte: Im Februar 1995 startete man mit der Ernennung von Software- und Systemhäusern zu Vertriebs- und Support-Partnern. Damit verzichteten die Walldorfer auf den direkten Kontakt zu mittelgroßen und kleinen Kunden. Per Definition fallen darunter Unternehmen, die weniger als 250 beziehungsweise 500 Millionen Mark (im Handel) umsetzen. Mit rund 3,5 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen birgt jedoch auch dieser Markt in Deutschland ein beachtliches Kundenpotenzial.

Allerdings ist es kein leichtes Feld, das die SAP ihren Partnern da zu beackern gab, gelten doch in diesem Markt andere Spielregeln als im Großkundensektor. Bei den kleinen Kunden müssen die Anbieter mehr Überzeugungsarbeit leisten und kämpfen noch dazu gegen deutlich mehr Wettbewerber an. Während sich die SAP im Großkundensegment gegen eine Handvoll Konkurrenten behaupten muss, stehen den Systemhäusern im mittelständischen Markt zwanzig oder mehr Mitstreiter gegenüber. Mittelgroße Kunden legen zudem Wert auf die Betreuung vor Ort und erwarten von ihrem Softwarelieferanten neben individuell zugeschnittenen Lösungen auch ein hohes Maß an Branchenwissen. Diese zusätzlichen Aufwände erhöhen die Vertriebsausgaben pro Kunde erheblich. Kein Wunder also, dass auf Seiten der Anbieter oft ums bloße Überleben gekämpft wird.

Hinzu kam, dass der Software von SAP seit jeher nachgesagt wird, nicht für den Mittelstand zu taugen. Das als Komplettpaket angebotene R/3 galt als zu mächtig und zu komplex, die Implementierung als zu teuer und langwierig. Außerdem zeigte sich der Mittelstand relativ beratungsresistent und setzt bis heute bevorzugt auf Individuallösungen.

Dennoch ist die Stimmung unter den SAP-Partnern derzeit auffallend optimistisch. So-wohl die Systemhäuser selbst als auch Marktbeobachter bestätigen einen spürbaren Zuspruch des Mittelstandes. Die All for One Systemhaus AG, Oberessendorf, beispielsweise konnte eigenen Angaben zufolge im vergangenen Jahr 25 R/3- und Mysap-Lizenzen verkaufen und erzielte damit ein Drittel seines Umsatzes in Höhe von 64 Millionen Euro. Zurückzuführen sei dies zum einen auf die neue Strategie des Walldorfer Softwareriesen, Mysap.com als die längst überfällige Internet-fähige Lösung anzupreisen. Doch als noch entscheidender gilt die neue Lizenzierungsstrategie, die die Software vor allem für den Mittelstand attraktiver macht. Die Möglichkeit, einzelne Module jetzt unter funktionalen Aspekten zu erwerben und beliebig zu erweitern, kommt gerade den kostensensiblen kleineren Firmen entgegen, heißt es. Nicht zu vergessen ist auch das Angebot von Paketlösungen wie "Ready-to-work" oder "Ready-to-run", die mit einem geringeren Beratungs- und Implementierungsaufwand der Zielgruppe entgegenkommt.

Tendenz zu StandardlösungenAber nicht nur Veränderungen von der SAP-Seite, sondern auch andere Marktentwicklungen erwecken den Eindruck, dass der Softwareriese und seine Partner dieses Mal den langersehnten Durchbruch im Mittelstand schaffen könnte.

Ein Preisverfall innerhalb der gesamten Branche verstärkt noch den Trend, den Rüdiger Spies, Senior Consultant bei Meta Group, bereits seit einigen Jahren beobachtet: Auch im Mittelstand geht die Tendenz zu mehr Standardlösungen. Sei es, weil die Firmen durch den Internet-Trend zum Aufsetzen neuer Geschäftsprozesse angehalten werden, um mit den Entwicklungen am Markt mitzuhalten. Oder - dieses Problem ist aber nicht neu - weil die geschäftliche Abhängigkeit von großen Geschäftspartnern sie zwingt, auf die Walldorfer Karte zu setzen. "Ähnlich wie Microsoft Office ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch die Mysap.com-Module künftig beinahe flächendeckend bei SAP-Kunden angewendet werden", gibt Spies zu Protokoll.

Undurchsichtige PreispolitikAuch Nils Niehörster, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Raad Consult aus Münster, geht davon aus, dass sich die geballte Marktmacht von SAP über kurz oder lang auch im Mittelstand ihren Weg bahnen könnte. Mit Umfragen unter rund 3000 SAP-Kunden konnte er in den vergangenen Jahren eine deutliche Veränderung der Kundenstruktur feststellen: Setzte sich Anfang 1998 noch rund ein Drittel der SAP-Klientel aus kleinen Unternehmen zusammen, so war der Anteil zu Beginn des Jahres 2000 bereits auf die Hälfte angestiegen (siehe Grafik "SAP-Kunden nach Mitarbeiterzahlen"). Gleichzeitig kritisiert Niehörster aber, dass es den Walldorfern trotz der neuen Lizenzierungsmodelle nicht gelinge, eine durchschaubare Preispolitik zu betreiben. Damit legte sich das Unternehmen zum Großteil selber Steine in den Weg. Unklar sei beispielsweise welchen Preis ein Kunde, der gleichzeitig R/3 und Mysap-Lizenzen erwerben wolle, zu zahlen habe. "Fragen Sie fünf Leute bei SAP, und Sie erhalten fünf verschiedene Antworten", so der Branchenkenner.

Rosige Zeiten also für die SAP und ihre Mit-telstandspartner? Auf den ersten Blick ja. Doch sind auch einige handfeste Probleme erkennbar. Schließlich ist ein börsennotiertes Unternehmen wie SAP zum Wachstum verdammt, und da das Geschäft mit den Großkunden sowohl in Deutschland als auch weltweit als weitgehend gesättigt gilt, bleibt nurmehr der Weg in Richtung Mittelstand. Obwohl sich SAP seit gut fünf Jahren mit seiner Mittelstandsstrategie brüstet, hält man sich mit konkreten Angaben zu dem Geschäft mit den kleinen und mittleren Unternehmen zurück. Festzuhalten bleibt daher, dass nur eine wachsende Zahl von Kunden im Mittelstand noch wenig über den wirtschaftlichen Erfolg aussagt. Schließlich gilt: je kleiner der Kunde, desto geringer das Projektvolumen. Mit diesem Problem werden vor allem die Partner von SAP konfrontiert. Für Berater Niehörster ist hier noch keine Lösung in Sicht: "Wie sollen die Systemhäuser das Kleinkundengeschäft vertriebstechnisch angehen?", fragt er, "bei den geringen Volumina ist der Beratungsaufwand im Vorfeld zu groß. Da explodiert der Vertriebskostenanteil im Verhältnis zum Aufwand."

Systemhäuser werden SystemintegratorenEine gehörige Portion Skepsis über das künftige Geschäft mit dem Mittelstand ist also angesagt. Denn die tatsächliche Durchdringung des Marktes ist noch reine Zukunftsmusik. Noch scheint der harte Wettbewerb um das ERP-Massengeschäft mit den kleineren Unternehmen in vollem Gang zu sein. Die Situation hat bereits im vergangenen Jahr zu einer starken Konsolidierung auf Seiten der Anbieter geführt. Die meisten Übernahmen erfolgten eher im Verborgenen, kleine Softwarehäuser mit fünf- bis zehnköpfigen Mannschaften wurden und werden reihenweise von größeren Unternehmen geschluckt. Doch es fanden auch Fusionen im großen Stil statt. Die seit September am Neuen Markt notierte Itelligence AG beispielsweise ist aus dem Zusammengehen des Mittelstandsspezialisten Schmidt, Vogel und Partner sowie der Adcon AG entstanden. Erschwerend ist zudem die Tatsache, dass noch immer der Großteil der Kleinunternehmen - Branchenbeobachter schätzen den Anteil auf rund 50 Prozent - mit Individuallösungen arbeitet. Hier brauchen die SAP-Partner noch ein gutes Stück Kraft, wenn sie den Markt erobern wollen. Meta-Group-Analyst Spies empfiehlt den Unternehmen, vor allem Nischen zu besetzen und die Kunden von ihrer Branchenkompetenz zu überzeugen.

Doch auch dies dürfte für die SAP-Systemhäuser kein Allheilmittel sein. Der mittelständische ERP-Markt in Deutschland hat schon bessere Zeiten gesehen. Gerade stark auf Branchen ausgerichtete Anbieter wie Softmatic oder die Player aus der traditionellen AS/400-Ecke wie SoftM und Brain International kämpfen derzeit mit gravierenden Umsatz- und Ertragseinbrüchen. Folge: Man tritt sich im Wettbewerb immer heftiger auf die Füße. So soll es nach Auskunft einer Soft-M-Vertriebsmitarbeiterin schon einmal vorkommen, dass der "SAP-Konkurrent den Kunden das Angebot macht, eine Mysap.com-Lizenz zu verschenken".

Auch das Neukundengeschäft, sprich: der Verkauf von R/3- oder Mysap-Lizenzen, wird den Häusern nicht zum Überleben reichen. Spies sieht die Zukunft der Systemhäuser in erster Linie in dem Geschäft, das sich um den Softwareverkauf herum abspielt. "Die Systemhäuser werden zunehmend zu Systemintegratoren", so der Analyst, "das klassische Lizenzgeschäft bricht ihnen zunehmend weg." Itelligence beispielsweise erzielte in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres rund 100 Millionen Euro Umsatz und teilte mit, dass sich allein der Erlös aus dem Verkauf von SAP-Lizenzen für das Geschäftsjahr 2000 auf über 25 Millionen Euro belief. Gleichzeitig räumt die Firma auch ein, dass dies nicht das Hauptgeschäft ist. Umsatzträger sind vor allem Aktivitäten, die sich im Umfeld des Lizenzverkaufs ergeben, also Beratung, Integration und weiterführende Serviceaufträge bis hin zum Web-Design.

Diese Entwicklung scheint symptomatisch für die Systemhäuser und bereitet einem Großteil derzeit noch erhebliche Kopfschmerzen. "Das ist auch kein Wunder" meint Spies, "mit dem Schritt vom Produktanbieter zum Systemintegrator stimmen die Business-Modelle vieler Anbieter nicht mehr." Immerhin verkaufe sich Software in der Regel wesentlich profitabler als Integrationsleistungen. Die Systemhäuser müssen also den Gürtel enger schnallen und sich auf wenige Spezialgebiete konzentrieren. Das führt unter anderem dazu, dass eigenentwickelte Produkte zugunsten von Lösungen die auf SAP-Produkte zugeschnitten sind, aus dem Angebot gestrichen werden. Da viele Systemhäuser keine Spezialanwendungen auf Basis eigener Software, sondern als Ergänzung zu SAP-Produkten entwickeln, wächst die Konkurrenz der Systemhäuser untereinander sowie die Abhängigkeit vom Walldorfer Softwareriesen gleichermaßen.

Eigene Produkte eingestelltAuch die SAP-Tochter Steeb wird die Wartung ihrer eigenen ERP-Suite "AC400" bis zum Jahr 2004 einstellen und hat bereits im vergangenen Jahr sämtliche Marketing-Aktivitäten für das Produkt beendet. Und All-for-one-Vorstand Lars Landwehrkamp räumt ein, dass eine eigene Lösung nur noch in kleinen Nischen Sinn hat, in denen es keinen Marktführer gibt. Sein Unternehmen bietet neben SAP-Ready-to-work-Lösungen auch selbstentwickelte Spezialsoftware für Sozialeinrichtungen und Kommunen an. Und Landwehrkamp sieht noch eine weitere Hürde auf die Systemhäuser zukommen: die von SAP eingeschlagene und ebenfalls in Richtung Mittelstand zielende Application-Service-Providing-Strategie. Hier öffne sich zwar einerseits eine Chance für die Mittelstandspartner, um kleinere Kunden zu gewinnen. Doch Landwehrkamp meint auch, dass er und seine Kollegen in diesem Bereich zunächst lernen müssen, "quer zu denken". Mit ASP fließt der Umsatz nur, wenn die Anbieter sich auf einen breiten Markt konzentrieren, "dann müssen sich die Kunden allerdings auch mit standardisierten Lösungen zufriedengeben."

ASP: Gratwanderung für SAPNach außen hin geben sich die Systemhäuser gelassen, was die ASP-Initiative der Walldorfer betrifft. "Ich kann diese Strategie nur begrüßen", so Volker Paeschke, Vertriebsleiter des Dortmunder Systemhauses Quantum. Er sieht für sich und seine Mitstreiter eher einen Vorteil in der Gründung der ASP-Tochter SAP Hosting, vor allem weil SAP seinen Partnern wohl die Beteiligung an diesem Geschäft unter unkomplizierten Konditionen zur Verfügung stellen will. Doch der Vorstoß kann sich auch gegen die Mittelstandspartner richten. Der Aufbau eines eigenen Unternehmen bloß zum Zweck, Erfahrungen zu sammeln - so die offizielle Begründung aus Walldorf - scheint betriebswirtschaftlich unlogisch. "Der Markt ist auch in Deutschland nicht unendlich groß", warnt Spies. Es sei deutlich, dass SAP seine Partner jetzt nicht verprellen wolle, doch mit der eigenen Präsenz am Markt hat das Unternehmen jederzeit die Möglichkeit, umzuschwenken und selber in den Markt einzusteigen, auch wenn diese Option derzeit nicht mit Nachdruck verfolgt wird. Andererseits kann SAP den ASP-Markt für das eigene Produkt auch nicht vollständig übernehmen. Insofern bleibt es bei einer Gratwanderung zwischen Marktpräsenz und Rücksichtnahme auf Partner.

Mittelstands-Partnernetz"Dass SAP so erfolgreich im Mittelstand ist, liegt nicht nur an der Funktionalität der SAP-Software, sondern an der mittelstandsgerechten Vorgehensweise der Systemhäuser": Nach Ansicht von Lars Landwehrkamp, Vorstand des Systemhauses All for One, ermöglichen gerade die Partner der Walldorfer die Ausweitung des Funktionsspektrums der SAP-Produkte. In Bezug auf den Mitttelstand unterscheidet SAP zwei Kategorien von Partnern: Die SAP-Systemhäuser - ihre Zahl liegt aktuell bei 25 - sowie 68 SAP-Partner Mittelstand (SPM). Systemhäuser dürfen Lizenzen von SAP-Produkten verkaufen. Außerdem besitzen sie teilweise eigene SAP-Ready-to-work-Lösungen mit speziellem Branchenfokus, beispielsweise gilt das für Itelligence mit dem Produkt "IT-Service". Die SPM hingegen vermitteln Lizenzen, die sie von einem Systemhaus beziehen. Auch sie haben zum Teil eigene Lösungen entwickelt, machen jedoch ihr Hauptgeschäft mit branchenspezifischer Beratung im SAP-Umfeld. Last, but not least haben die Walldorfer mit einer Reihe von Unternehmen, darunter auch einige Systemhäuser, Outsourcing-Verträge geschlossen. Diese Unternehmen, zu denen Größen wie HP, IBM, Siemens Business Services oder SAP SI zählen, treten nach Angaben von SAP als Provider mit eigenen Rechenzentren auf, in denen sie die Software den Kunden zur Verfügung stellen.

Abb: SAP-Kunden nach Mitarbeiterzahlen

Der Anteil kleiner bis mittelgroßer Unternehmen ist in den vergangenen zwei Jahren deutlich gewachsen. Quelle: Raad Consult