Gesucht: Der beste Zeitpunkt für die Migration zu Mysap.com

SAP setzt Anwender unter Druck

15.02.2002
MÜNCHEN (rg) - Der SAP-Vertrieb lässt derzeit wenig unversucht, um R/3-Kunden zum Wechsel auf Mysap.com-Produkte zu bewegen. Diesem Drängen wollen jedoch viele Anwender aus finanziellen und technischen Gründen nicht so schnell nachgeben.

Wer zu spät kommt, den straft die SAP. Unter diesem Motto lässt sich die derzeitige Strategie zusammenfassen, mit der die Walldorfer Anwender zu einer möglichst raschen Migration auf Mysap.com-Produkte bewegen wollen. Bis Ende 2001 wurden wechselwilligen Kunden ihre bestehenden Lizenzen zu 100 Prozent auf die neuen Verträge gutgeschrieben. Damit ist nun Schluss: "Bis zum 31. Dezember 2002 rechnen wir bis zu 75 Prozent an. Die Anrechnungsregeln für das Folgejahr werden im Laufe des jeweiligen Jahres festgelegt", so die SAP auf Nachfrage.

Die genannten 75 Prozent stellen jedoch einen Maximalwert dar, den nur erreicht, wer einen Vertrag mit deutlich höherem Volumen abschließt. Welche konkrete Anrechnungsregel zum Tragen kommt, lässt sich offenbar nur im Einzelfall klären. Ferner schlägt der erweiterte Funktionsumfang von Mysap.com mit deutlich höheren Listenpreisen zu Buche. Dies ist besonders für Anwender problematisch, denen die R/3-Module ausreichen oder die einen Best-of-Breed-Ansatz fahren. Außerdem wurde die Wartungsgebühr von 15 auf 17 Prozent der Lizenzkosten erhöht. Darunter leiden besonders kleinere Kunden: Unter 1,5 Millionen Euro Vertragsvolumen werden die Wartungsgebühren auf den Listenpreis fällig, also ohne dass Rabatte einfließen.

Kostspieliger InvestitionsschutzViele Anwender betrachten es daher als glatten Hohn, wenn sie in Informationsschreiben des Softwareherstellers zur neuen Preisliste Sätze wie diesen lesen: "SAP gewährt Ihnen für den leichten und günstigen Umstieg auf Mysap.com oder Mysap.com-Lösungen einen Investitionsschutz gemäß der beigefügten Abrechnungsregel."

Am Beispiel der Readymix AG und ihrem englischen Mutterhaus RCM Group Plc. lässt sich zeigen, dass eine ohnehin kostspielige Migration auf Mysap.com mit der Zeit immer teurer wird. Der international tätige Baustoffproduzent mit einem Jahresumsatz von 8,7 Milliarden Euro verfügt über einen Wertkontrakt zur R/3-Nutzung mit einem Volumen von sechs Millionen Euro. Laut Werner Köckeritz, Director of International Informationsystems bei RCM, deckt die damit lizenzierte Funktionalität im Wesentlichen den Bedarf seines Unternehmens ab, an den in Mysap.com enthaltenen zusätzlichen Funktionen hat er momentan kein Interesse. Hinzu kommt, dass in einigen Landesgesellschaften derzeit gerade die R/3-Implementierung läuft. "Ein kurzfristiger Umstieg würde aus unserer Sicht lediglich zu höheren Kosten führen, ohne dass damit ein größerer Nutzen für unser Unternehmen verbunden wäre", so Köckeritz. Für einen Wechsel im vergangenen Jahr hat er Mehrkosten von 4,7 Millionen Euro errechnet, die sich nach der von SAP kommunizierten Anrechnungsregel bei einer Migration im laufenden Jahr auf 6,2 Millionen Euro erhöhen.

Für Anwender, welche die zahlreichen in der Mysap.com-Lizenz enthaltenen Zusatzfunktionen der weiterentwickelten New-Dimensions-Produkte nicht nutzen wollen, schlägt vor allem die Erhöhung des Listenpreises von 2550 auf 3500 Euro pro Professional-Nutzer deutlich zu Buche. Preistreibend wirkt sich auch die neue Endanwenderklassifizierung aus: Neben dem bereits erwähnten Professional User gibt es künftig Lizenzen für Gelegenheitsanwender, die "Employee-Nutzer", sowie die "External-Nutzer". Letztere ist insbesondere für Mitarbeiter von Drittunternehmen, also Berater oder Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen, aber auch Anwender in Partner- und Zulieferfirmen zu erwerben.

Vergleichsweise unkritisch gestaltet sich die Situation für Großkunden und ihre Tochterunternehmen. So profitiert beispielsweise die T-Systems Nova von den üppigen Rabatten, welche die SAP der Deutschen Telekom gewährt: Für seine 60000 Anwender erreichte der Carrier nach einem einjährigen Verhandlungsmarathon einen Preisnachlass von 60 Prozent. Die auf die Integration von TK- und IT-Systemen spezialisierte Dienstleistungstochter machte sich nach dem Erwerb der Mysap.com-Lizenzen schnell daran, einen Teil der verfügbaren Zusatzfunktionen zu nutzen. Dazu zählen neben dem Business Warehouse (BW) auch die darauf aufsetzende Mysap.com-Lösung Strategic Enterprise Management (SEM), das E-Procurement-Produkt Enterprise Buyer Portal (EBP) sowie das Mobile-Sales-Modul aus dem Customer-Relationship-Management-(CRM-)Paket. Ingo Hucke, Leiter der Entwicklung bei T-Systems Nova, lobte auf einem von Euroforum in Bonn veranstalteten SAP-Anwenderkongress die ausgeprägtere Modularisierung von Mysap.com, wodurch sich neue Funktionen schneller einführen ließen und insgesamt die Flexibilität zunehme. Doch auch er fügte einschränkend hinzu: "Wenn wir nicht von den Telekom-Rabatten profitiert hätten, wären wir bei der Prüfung der einzelnen Projekte kritischer vorgegangen." Gleiches gelte, wenn man im Vorfeld die Folgekosten der Projekte realistischer hätte einschätzen können. Dazu zählen beispielsweise Ausgaben für zusätzliche Hardware und Schulungsmaßnahmen.

In der Branche kursiert die Faustregel, der Umstieg auf Mysap.com rechne sich für Unternehmen, die mindestens drei nicht in R/3 enthaltene Module nutzen wollen. Bei der Its.on GmbH & Co. KG, einem Zusammenschluss von acht IT-Bereichen der Degussa Gruppe, hält man dagegen wenig von dererlei Ratschlägen, obwohl dort ehrgeizige Projekte mit mehreren New-Dimensions-Lösungen angepackt werden. So arbeitet beispielsweise die zur Degussa zählende Röhm GmbH, ein Hersteller von hochwertigen Spezialkunststoffen mit 2500 SAP-Anwendern, an 50 weltweit verteilten Standorten mit einem SAP-R/3-Cluster.

Preismodell überholt technische EntwicklungNeben der Einführung eines Web-Shops mittels SAP-CRM sowie der Nutzung des Enterprise Buyer Portals für die Anbindung an Marktplätze der Chemieindustrie wie CC-Chemplorer und Elemica arbeitet die Its.on dort an der Verbesserung aller Planungsprozesse im Unternehmen. Dafür, so das ambitionierte Ziel, strebt Röhm eine integrierte Lösung, bestehend aus den Modulen APO, BW und SEM, an. Im Dezember des vergangenen Jahres erfolgte die Kopplung des R/3-Systems mit dem Business Warehouse und APO. Laut Peter Kühn, Vice President Applications Group der Its.on, seien die Prozesse gut zu modellieren gewesen. Die Schwierigkeiten hätten eher im Detail gelegen, worunter letztendlich die Performance noch etwas leide.

Um auch die strategische Planungsebene in das System einbeziehen zu können, soll in einem weiteren Schritt das BW mit dem Strategic-Enterprise-Management-(SEM-)Modul zusammenarbeiten. Die Aussage der SAP, die Integration von Einzelkomponenten sei unter Mysap.com stark verbessert worden, bewertet Kühn eher kritisch. Er sieht hier vielmehr einen deutlichen Optimierungsbedarf: "Ich habe den Verdacht, die SAP betrachtet die Integration von Komponenten als Kundenprojekt. Wir sehen diese Pflicht jedoch auf Herstellerseite." Er plant den Umstieg von R/3, Release 4.6, auf Mysap.com erst dann, wenn er deutliche Verbesserungen im Zusammenspiel der einzelnen Lösungen erkennen kann: "Für uns gibt es derzeit keinen Grund, an der Basistechnologie etwas zu ändern." Obwohl Kühn Best-of-Breed-Ansätze für eine schlechte Alternative hält, hat er doch den Eindruck, SAPs Lizenzmodell sei der technischen Entwicklung ein gutes Stück vorausgeeilt.

Was die Frage der abnehmenden Anrechnung auf Mysap.com-Lizenzen angeht, können die IT-Verantwortlichen der Degussa-Gruppe weitgehend entspannt abwarten: Als Teil des Eon-Konzerns werden sie auch künftig an dessen Rabattierung teilhaben können.

Für Günther Deike vom Zentralbereich Informationsverarbeitung des Hamburger Sozialdienstleisters Pflegen und Wohnen stellt sich die Situation ähnlich dar. Das öffentlich-rechtliche Unternehmen bezieht die R/3-Lizenzen für seine 330 Anwender über einen Wertkontrakt der Hansestadt Hamburg. Einen Wechsel auf Mysap.com schließt Deike zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus, da das R/3-System erst vor drei Jahren eingeführt wurde und für eine Migration erhebliche Mehrkosten entstehen würden. Dennoch fühlt er sich durch die abnehmende Anrechnung der bestehenden Lizenzen von SAP unter Druck gesetzt. Funktionell ergänzen will der Dienstleister sein R/3-System lediglich mit dem Enterprise Buyer Portal. "Das sollen wir jetzt außerhalb des Wertkontrakts zu den normalen Listenpreisen kaufen", so Deike. Die Verhandlungen dauern an.

Dabei trifft ihn auch ein anderer Aspekt: Den Verkauf von einzelnen Komponenten wie BW oder APO hat die SAP mittlerweile ganz eingestellt. Hier müssen die Kunden auf die entsprechenden Mysap.com-Lösungen ausweichen. Im Beispiel BW bedeutet dies den Erwerb von "Mysap Business Intelligence" mit einem Listenpreis von 5000 Euro für einen Professional-User.

R/3 Enterprise wird bis 2007 gepflegtEin anderer Grund, warum sich viele Anwender über einen Wechsel auf Mysap.com Gedanken machen müssen, ist die Befristung der Wartung für ihre R/3-Systeme. Für die Releases 3.1I, 4.0B, 4.5B und 4.6B endet diese zum dritten Quartal 2003, die Pflege für Version 4.6C läuft zum ersten Quartal 2005 aus. Mit der für die zweite Hälfte dieses Jahres angekündigten Version R/3 Enterprise, die bis mindestens 2007 gewartet werden soll, haben die Kunden jedoch eine Möglichkeit, den Wechsel noch hinauszuzögern.

Anwender sollten daher sehr genau prüfen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Migration gekommen ist, und sich nicht vor zähen Verhandlungen mit ihren Vertriebsbeauftragten auf SAP-Seite scheuen. Die RCM Group hat mittlerweile beschlossen, ihre künftige Strategie ohne Zeitdruck zu überdenken. Der Baustoffkonzern wird daher in den kommenden Jahren auf R/3-Enterprise wechseln. IT-Director Köckeritz gibt sich kämpferisch: "Im schlechtesten Fall müssen wir alle Lizenzen neu kaufen, obwohl wir immer Wartung gezahlt haben. Das Risiko nehmen wir in Kauf."

Mysap.com-PreismodellGrundlegend setzt sich der Gesamtvertragswert für eine Mysap.com-Nutzung aus den Lizenzgebühren für die Anzahl der Nutzer unterschiedlicher Kategorien zusammen. Hinzu kommen die Preise für Ergänzungsprodukte wie Software-Engines zur Prozessautomatisierung oder für zusätzliche branchenspezifische Funktionalitäten. Das Payroll-Processing in Mysap-HR kostet beispielsweise 7500 Euro pro 500 Mitarbeiterstammsätze.

Zum so errechneten Applikationswert kommt ein Länderaufschlag für Nutzer in Staaten außerhalb der Europäischen Union sowie der Preis für die Datenbank. Dieser liegt je nach Hersteller zwischen sechs und elf Prozent des Applikationswertes. Kostenlos bieten die Walldorfer die Nutzung der SAP-DB an, vorausgesetzt, der Anwender zahlt 17 Prozent Wartungsgebühr auf den fiktiven Preis von sechs Prozent.

Zusammengenommen ergibt sich daraus der Gesamtlistenpreis, auf den die SAP je nach Auftragsvolumen Standardrabatte gewährt. Sie liegen zwischen zehn Prozent bei einem Volumen von 400000 bis 700000 Euro und 50 Prozent bei einem Gesamtlistenpreis von über 17 Millionen Euro.

Das Preismodell geht davon aus, dass für mindestens 25 Prozent aller Mitarbeiter im Anwenderunternehmen eine Lizenz erworben wird. Mit Großunternehmen und Firmen, auf die dies nicht zutrifft, schließt die SAP in der Regel Wertkontrakte ab.

Optionen für R/3-AnwenderBestehende R/3-Kunden werden nicht gezwungen, auf Mysap.com zu wechseln, sondern haben, außerdem folgende Möglichkeiten:

-Ergänzung der bestehenden Funktionen durch den Erwerb von Mysap.com-Lösungen wie Mysap-CRM oder Mysap-BI;

-Upgrade auf das für die zweite Jahreshälfte als definitiv letzte R/3-Version angekündigte Release "R/3 Enterprise". Dies ist in den Pflegekosten für R/3 enthalten, muss jedoch spätestens bis zum geplanten Wartungsende von Version 4.6C zum Ende des ersten Quartals 2005 erfolgen.

VertragspokerPreislisten sind nicht alles. Vor allem bei Großunternehmen hängt viel vom Verhandlungsgeschick ab. "Mit einer klugen Taktik gelingt es Firmen immer wieder, in die nächstgünstige Standardrabattklasse zu gelangen", so Robert Brun, Manager im Competence Center IT-Consulting von Plaut.

Trümpfe beim Lizenzpoker haben auch Neukunden aus Branchen, in denen SAP bislang schwach vertreten ist, und solche, die für die Walldorfer aus technischer Sicht interessant sind, beispielsweise Mysap.com auf Linux-Basis einführen wollen.

Für Kunden mit Standardrabatten unter 20 Prozent kann es günstiger sein, mit Systemhäusern zu verhandeln. Hier besteht aufgrund der Konkurrenz der Systemintegratoren untereinander oftmals Spielraum.

Bei der Schnürung von Lizenzpaketen kann festgeschrieben werden, dass Wartungsgebühren erst ab dem Zeitpunkt der realen Nutzung anfallen.

Ferner lassen sich wichtige Erfahrungen oftmals in kleineren Pilotprojekten gewinnen, für die SAP im Einzelfall verbilligte Lizenzen vergibt.

Für den Zukauf von weiteren Lizenzen sollte im Vertrag festgeschrieben sein, dass dieser zu gleichen Konditionen und Rabatten erfolgen kann, also nicht nach den höheren Listenpreisen abgegolten werden muss.

Für international ausgerichtete Kunden lohnt sich die Nachfrage bei mehreren SAP-Auslandsvertretungen.

Im Standardvertrag der SAP ist nicht vorgesehen, dass Lizenzen beim Verkauf von Beteiligungsgesellschaften übertragbar sind.

Einsatz von Komponenten in Mysap-Lösungen

Mysap.com solutions / SAP R/3 / SAP APO / SAP BW / SAP CRM / SAP BBP / SAP KW / SAP SEM / SAP WP

Mysap Workplace / / / / / / + / / +

Mysap CRM / + / + / + / + / / + / + / +

Mysap SCM / + / + / + / / + / + / / +

Mysap E-Procurement / / / + / / + / + / / +

Mysap BI / / / + / / / + / + / +

Mysap PLM / + / / + / / / + / / +

Mysap HR / + / / + / / / + / + / +

Mysap Financials / + / / + / / / + / + / +

Mysap Marktplaces by SAP-Markets / + / + / + / + / + /

Abb: Preisberechnung für Mysap.com-Lizenzen

Die Grafik zeigt die grundsätzliche Ermittlung des Vertragspreises. In der Praxis gestaltet sich der Weg durch den SAP-Preisdschungel meist viel schwieriger. Quelle: Plaut