SAP-Kunden tappen im Dunkeln

08.03.2005
Mit der Ankündigung ihrer "Business Process Platform" hat SAP unter Anwendern Verwirrung gestiftet.

Das ist ein dramatischer Umbau im Rahmen der ESA-Strategie der SAP", kommentiert Stefan Klose, Leiter des Arbeitskreises Basis und Technologie bei der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG), die jüngsten Ankündigungen der SAP. Während heute die Anwendungen in einem mehr oder weniger eingefrorenen R/3-Kern liefen, sollen die Applikationen Kloses Interpretation zufolge auf die Business Process Platform migriert werden. Diese werde die neue Ablaufplattform für die betriebswirtschaftlichen Komponenten der SAP-Software sein. Derzeit sei es jedoch noch zu früh, um Genaueres über den Wechsel sagen zu können, ergänzt DSAG-Geschäftsführer Mario Günter. Die SAP erfinde ihre Art und Weise der Softwareentwicklung neu. Es sei noch nicht abzusehen, was auf die Anwender zukomme. Allerdings dürfte eine Migration mit wachsendem Abstand immer komplexer werden.

Klose rechnet damit, dass für die Business Process Platform ein Teil der vorhandenen SAP-Software angepasst beziehungsweise neu erstellt werden muss. Auf Knopfdruck werde die Umstellung sicher nicht funktionieren. Damit dürften die Softwerker aus dem Badischen in den kommenden Jahren gut beschäftigt sein.

Das scheinen auch die SAP-Verantwortlichen erkannt zu haben. Vorstandssprecher Henning Kagermann hatte zuletzt 2005 zum Jahr der Investitionen erklärt. Rund 1000 Entwickler will der studierte Physiker allein für die Entwicklung der Business Process Platform abstellen. Die neue Basis werde die Softwareprogrammierung industrialisieren. Ähnlich wie bei den Plattformstrategien der Automobilhersteller ließen sich künftig einzelne Komponenten wiederverwenden, so Kagermanns Vision.

Milliarden Codezeilen müssen neu geschrieben werden

Der Zeitplan der SAP-Verantwortlichen auf dem Weg in die neue Service-orientierte Softwarewelt ist ehrgeizig. Bereits im laufenden Jahr sollen ausgewählte Partner die Business Process Platform benutzen können. Ab 2006 könnten SAP zufolge alle Partner auf der neuen Basis entwickeln. 2007 soll die Umstellung abgeschlossen sein.

Veränderungen dauerten meist länger, als Hersteller und Analysten glaubten, warnt indes Bruce Richardson, Analyst von AMR Research. Der Wechsel zu Service-orientierten Architekturen (SOAs) könnte aus dem einfachen Grund mehr Zeit beanspruchen, weil Hersteller Milliarden von Codezeilen neu schreiben beziehungsweise an Web-Services-Umgebungen anpassen müssten. Außerdem gebe es noch längst keine Garantie dafür, dass die an vorgefertigte Applikationssuiten gewöhnten Kunden künftig einzelne Softwarebausteine beziehungsweise Web-Services kaufen werden, ergänzt sein Kollege Jim Shephard. "SAP-Kunden brauchen Zeit, um wirklich zu verstehen, was das für sie bedeutet."

Die Kunden würden den Umstieg nur mitmachen, wenn die Vorteile der neuen Architektur klar auf der Hand lägen, prognostiziert Herbert Vogel, Vorstandsvorsitzender des SAP-Partners Itelligence AG - vor allem auch deshalb, weil der Umstieg mit Investitionen verbunden sein werde. Die Kunden forderten transparente Kostenstrukturen und eine klare Roadmap. Im Grundgedanken bedeute der Umstieg auf eine Service-orientierte Architektur allerdings einen größeren Wechsel als den von R/2 auf R/3.

Ganz so dramatisch will es sich Christoph Petznik, Leiter des Geschäftsbereichs SAP Consulting und Development des Münchner Software- und Beratungsunternehmens MSG Systems, nicht vorstellen. Es werde jedoch einen Wechsel von einer rein transaktions- zu einer prozessorientierten Darstellung geben. "Das bedeutet Änderungen in der Softwarelogik." MSG müsse seine Lösungen im Versicherungsumfeld daher auf die neue SAP-Plattform portieren. Bislang gebe es keine Schätzungen, wie groß der Aufwand dafür ausfallen werde. "Aber er wird erheblich sein."

Bedarf für neue SAP-Welt ist schwer einzuschätzen

Trotz aller Unwägbarkeiten sehen Petznik und Vogel die SAP auf dem richtigen Weg. Heute sei es wichtig, Prozesse schnell ändern zu können, erläutert Itelligence-Chef Vogel. In der Vergangenheit sei oft die zugrunde liegende Software der Hemmschuh dafür gewesen. Auf Basis der neuen SAP-Architektur werde dies nun einfacher, meint auch MSG-Manager Petznik.

"Die neue Servicearchitektur ist vielleicht für 300 bis 400 SAP-Kunden weltweit interessant", meint dagegen ein anderer SAP-Partner, der namentlich nicht genannt werden möchte. Alle anderen kämen mit den bestehenden R/3-Systemen zurecht. Viele Kunden hätten keinen Bedarf an der schönen neuen Softwarewelt. Prozesse zu modellieren sei für die meisten zu aufwändig. Das könnten sich nur die Großen leisten. "Doch auch Großkonzerne haben sich da bereits die Zähne ausgebissen", berichtet der SAP-Partner. Das Gros der SAP-Anwender hat ein Produktiv- und ein Testsystem für 300 bis 400 Nutzer in Betrieb, das an die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens angepasst ist. Dabei würden es viele Anwender gerne belassen.

Strategie nicht zu Ende gedacht

"Der Alltag der Nutzer ist ganz woanders als das Denken der SAP", sagt Helmuth Gümbel, Analyst von Strategy Partners. Das Gerede von der Business Process Platform verunsichere die Anwender. Angesichts der SAP-Pläne müssten sich diese jedoch schnell eine Strategie überlegen. Gümbels Einschätzung zufolge habe die SAP ihre Servicearchitektur noch nicht bis zum Ende durchdacht. Es genüge nicht, einzelne Module aus R/3 herauszubrechen und neu zu verpacken. Gümbel geht davon aus, dass höchstens 15 Prozent der bestehenden SAP-Software bereits ESA-geeignet seien. Der Rest müsse mehr oder weniger große Überarbeitungen über sich ergehen lassen.

Die SAP-Kunden müssten sich jetzt überlegen, ob sie jeden Schritt der SAP auf dem Weg zu ESA mitmachen wollen oder ob es nicht sinnvoller sei, die SAP-Systeme einzufrieren und erst einmal abzuwarten. "Die sukzessiven Migrationen können die Kunden teuer zu stehen kommen", mutmaßt Gümbel. Allerdings, so räumt der Analyst ein, beruhe diese Annahme auf Erfahrungen mit Migrationen der Vergangenheit.

Die SAP bemüht sich allem Anschein nach, auf die Sorgen ihrer Kunden einzugehen. So betonte SAP-Vorstand Gerhard Oswald zuletzt, die Investitionen der Anwender müssten so weit wie möglich geschützt werden. Auch der Migrationsaufwand müsse so klein wie möglich gehalten werden. Trotz dieser Beteuerungen lässt auch Oswald keinen Zweifel zu, dass ein Generationswechsel bei der SAP ansteht: "Es ist ein großer Umbau im Gange."