Web

SAP-Entwickler sollen die Kunden neu entdecken

06.06.2000
Weist eine Restrukturierung den Weg aus der Krise?

Von CW-Redakteur Gerhard Holzwart

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Ist es nur ein Marketing-Trick, oder steckt mehr dahinter? Das Bekanntwerden von Plänen zur Reorganisation der SAP-Entwicklungsmannschaft löste ein zwiespältiges Echo aus. Obwohl das Unternehmen selbst sowie viele Branchenkenner sich eher zurückhaltend äußerten, konnte die Aktie des Walldorfer Softwareriesen um fast neun Prozent zulegen.

Ein "internes Strategiepapier" des SAP-Vorstandes zur Neugliederung des Entwicklungsbereiches, dessen Kernaussagen die "Financial Times Deutschland" Ende vergangener Woche ihren Lesern präsentierte, sollte vielleicht doch nicht als ganz so weitreichend bewertet werden. Das jedenfalls ist die offizielle Lesart, die Ralf Nitsch, einer der SAP-Sprecher, gegenüber der CW zu Protokoll gab. Demnach sind nicht, wie das Wirtschaftsblatt berichtete, alle rund 6000 SAP-Entwickler von der Maßnahme betroffen, sondern allenfalls 1600. Auch mittelfristig sei "nicht an eine Ausweitung dieser Aktion gedacht"; von einem "radikalen Umbau des Konzerns" könne deshalb keine Rede sein. Falsch sei auch die Behauptung, dass die Zustimmung des Vorstandes erst noch eingeholt werden müsse. "Die Umorganisation ist bereits beschlossene Sache und wird zügig umgesetzt", so Nitsch. Zudem könne man sich in diesem Zusammenhang nicht auf ein internes Strategiepapier berufen. Es handele sich lediglich "um ein paar Folien aus einer Powerpoint-Präsentation".

Wie der SAP-Sprecher allerdings bestätigte, sollen diverse Bereiche der Anwendungsentwicklung in Form so genannter Generic Business Units (GBUs) stärker als bisher mit Marketing und Vertrieb vernetzt werden und - zumindest partiell - auch wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Konkretere Angaben wollte Nitsch jedoch nicht machen. Die Maßnahmen beträfen Mitarbeiter in der Basisentwicklung (Neuentwicklung) , im Produkt-Management (Wartung) und im Support, hieß es lediglich. Auch die Auswirkungen "auf einzelne Ländergesellschaften" seien noch nicht absehbar.

Mit dieser Aussage reagierte Nitsch auf Spekulationen, dass die geplante Restrukturierung vor allem auf die zuletzt wenig erfolgreiche US-Tochter SAP America Inc. abzielen könnte. Deren neuer, erst seit gut vier Wochen im Amt befindendlicher Chief Executive Officer (CEO) Wolfgang Kemna hatte sich ebenfalls Ende vergangener Woche kritisch mit der mangelnden Marktorientierung seiner Angestellten auseinander gesetzt. Zahlreiche Mitarbeiter säßen auf Positionen im mittleren und gehobenen Management, die eigentlich "vor Ort, bei den Kunden, bessere und effizientere Arbeit leisten könnten", zitierte ihn die Presse. Der zuletzt kräftige Aderlass bei qualifizierten Mitarbeitern sei demnach weniger mit der Abwanderung vieler Experten zu Internet-Startups, sondern mit der unzureichenden Perspektive in Sachen Entwicklung "markt- und konkurrenzfähiger Produkte" sowie dem Wunsch nach "weniger Hierarchiestufen" zu begründen. Ähnliche Aussagen spielen offenbar auch in dem vermeintlichen Vorstandspapier zur Verkrustung im Entwicklungsbereich eine Rolle, wo unter anderem von "fehlender Praxisnähe vor allem auch erfahrener Mitarbeiter" die Rede sein soll - Äußerungen, die Firmensprecher Nitsch unkommentiert ließ.

Unabhängig von solchen Interpretationen dürfte die wie auch immer geartete Restrukturierung des SAP-Entwicklungsbereichs hauptsächlich mit den aktuellen Schwierigkeiten der Walldorfer zu tun haben. Die verspätete "Entdeckung des Internet", das wenig berauschende Ergebnis im ersten Quartal, der Vorsprung neuer Konkurrenten wie Commerce One (wo es seit Wochen Gerüchte um eine umfassende Kooperation gibt) sowie die bis dato offensichtlich nur mäßige Resonanz, die die neue E-Business-Plattform "Mysap.com" im Markt gefunden hat, signalisieren dringenden Handlungsbedarf.

Zudem kämpft die SAP mit einer altbekannten Schwierigkeit - der heillosen Überfrachtung ihres Produktklassikers R/3 mit Features und ergänzenden Releases, was sich nun einmal mehr als originäres Entwicklungsproblem herausstellt. Viel zu viele der in der Projektarbeit gewonnenen Informationen über Marktumfeld und Kundenwünsche würden in den SAP-eigenen Geschäftsprozessen versickern, heißt es angeblich unternehmensintern - oder aber dieses Wissen fließe in die bekannten großen Pakete für die R/3-Aktualisierung ein, was letztlich zu einem Sammelsurium unterschiedlicher Anforderungen für verschiedene Branchen geführt hat.

Die meisten Branchenkenner zeigten sich deshalb auch zurückhaltend, was den vermeintlich großen Wurf bei der Restrukturierung des SAP-Entwicklungsbereiches angeht. Die Ankündigung komme etwas spät, zudem müsse abgewartet werden, wie tiefgreifend die Maßnahmen letztlich ausfallen beziehungsweise umgesetzt werden, hieß es. Grundsätzlich bestehe aber die Chance, die bisherige gegenseitige Lähmung der drei Bereiche Neuentwicklung, Weiterentwicklung und Wartung/Support durch die Einrichtung kleinerer schlagkräftiger Einheiten zu überwinden. Zudem setzte man sich bei SAP erstmals mit der Vorstellung auseinander, sich bei Neuentwicklungen nicht mehr an bestehenden Produkten, sondern am Markt zu orientieren. Eine Sichtweise, die - wenn auch ungewollt - Firmensprecher Nitsch ebenfalls unterstrich: "SAP hat sich nicht zu diesen Maßnahmen entschlossen, weil sich das Unternehmen in einer Krise befindet, sondern um die Kundenwünsche widerzuspiegeln."

<p<

Und womöglich etwas Kurspflege für die eigene Aktie zu betreiben? Insider schließen auch das nicht völlig aus. Die SAP-Vorzüge zogen jedenfalls nach dem Bekanntwerden der Restrukturierungspläne um fast neun Prozent auf über 631 Euro an - Balsam für die zuletzt arg gebeutelten Anleger. Finanzanalysten wie Achim Fehrenbacher von M.M. Warburg machten allerdings in verbreiteten Statements deutlich, dass es sich bei dem angefachten "Kursfeuerwerk" nur um eine Art Vorschusslorbeeren handelt. Die Umstrukturierung sei so aufwendig, dass sie sich frühestens im dritten Quartal positiv bemerkbar mache.