Anbindung an die Maschinenebene in 18 Monaten

SAP entdeckt die Fabrikhalle

08.11.2002
WALLDORF (mo) - SAP will sich in den kommenden 18 Monaten der vertikalen Integration annehmen und seine Unternehmenssoftware besser mit den Produktionssystemen verbinden. Damit dringt der ERP-Anbieter in ein Segment vor, das bislang von Partnern bedient wurde.

Von der Integration werden im Bereich der Unternehmenssoftware in erster Linie die Supply-Chain-Management- und Produktionsplanungssysteme betroffen sein. SAP hat angekündigt, eine Initiative in Gang setzen und mit Entwicklungsressourcen ausstatten zu wollen, die die Fabrikhalle an die ERP-Software anbinden soll. So können heute übliche Medienbrüche zwischen der Produktion und den Planungssystemen künftig vermieden werden.

SAP geht damit ein schon lange bestehendes Problem an. Leitstände für die Maschinenebene sind in der Regel nicht mit den PPS-Systemen einer ERP-Anwendung verbunden. Bislang ist Invensys über seine Tochter Baan das einzige ERP-Unternehmen, das den Ansatz der vertikalen Integration verfolgt. Im COMPUTERWOCHE-Interview bekräftigte der Deutschland-Chef von Baan, Ralf Othmer, dass dieser Ansatz von den Kunden nachgefragt werde: "Die durchgängige Integration steht derzeit noch nicht im Fokus, aber die Idee der kompletten vertikalen Integration ist für unsere Kunden wichtig."

Damit betritt SAP einen Bereich, der heute von Partnern abgedeckt wird. Zum Beispiel hat Siemens Industrial Solutions and Services (I&S) IT Plant Solutions (IT PS) einige Referenzprojekte vorzuweisen. Hierbei wurden unter anderem Rezeptursysteme mit den Produktionsplanungssystemen aus SAPs R/3 verbunden.

"SAP plant da nichts Außergewöhnliches", zeigt sich daher auch SAP-Experte Helmuth Gümbel vom Beratungsunternehmen Strategy Partners, München, von der Ankündigung wenig beeindruckt: "Spezialanbieter bieten das schon heute an." Die Kunden, die eine derartige Integration anstreben, würden diese in der Regel bei Anbietern von Automatisierungs- und Steuerungssystemen in der Fertigung suchen. Trotzdem wäre der Nutzen einer besseren Integration hoch.

Das sieht auch Nils Niehörster, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Raad Consult, so. Allerdings gebe es erhebliche Hürden zu überwinden. "In diesem Umfeld existieren bislang kaum etablierte DV-Standards." Obwohl es bereits zahlreiche andere Anbieter gibt, sieht er einen großen zusätzlichen Absatzbereich für SAP in diesem Segment.

Ob SAP den erschließen kann, ist für Bruce Richardson, Senior Vice President Research beim Beratungsunternehmen AMR Research, allerdings fraglich. Es gebe zu wenig Vertriebsmitarbeiter und Systemintegratoren, die an der Echtzeitintegration in speziellen Branchen interessiert seien. "Außerdem sind die Fertigungsleute sehr preisbewusst." Daher hätten frühere Versuche der SAP, eine solche Integration zu schaffen, kaum Erfolg gehabt.

Trotzdem hat die Verbindung der beiden Welten vor allem im Bereich Fertigungsfeinplanung große Vorteile. Ein Unternehmen kann damit schnell auf Änderungen reagieren, zum Beispiel auf Materialengpässe oder Maschinenstillstände. Doch auch darüber hinaus bietet die Integration enormes Rationalisierungspotenzial. Zum Beispiel entfällt lästige Doppelarbeit durch die Übertragung von Informationen von einem PPS-System auf einen Leitstand und umgekehrt.

Die Schnittstellen-Problematik steht daher auch im Mittelpunkt der SAP-Initiative. Der Hersteller will hier Standards schaffen und zu diesem Zweck auch mit Firmen zusammenarbeiten, die Maschinenebene und ERP-Systeme bereits verknüpfen. Auch eine Allianz ist nicht ausgeschlossen.

Wie die vertikale Integration bei SAP genau aussehen soll, wird erst noch erarbeitet. Ergebnisse der neuen Entwicklungstätigkeit erwartet das Unternehmen in rund 18 Monaten. Verantwortlich im Vorstand ist Claus Heinrich, der bei SAP für Logistikthemen zuständig ist.