SAP bringt den ESA-Zug nicht ins Rollen

30.11.2005
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die meisten Anwender scheuen vor einem Mysap-Umstieg zurück und wählen R/3 Enterprise.

Abwarten und Tee trinken, scheint derzeit das Motto der meisten deutschen SAP-Anwender zu sein, bringt Nils Niehörster, Geschäftsführer von Raad Consult, die Ergebnisse seiner jüngsten Umfrage auf den Punkt. An einen Umstieg auf die aktuelle Mysap-Produktlinie oder den Einsatz der Integrationsplattform Netweaver beziehungsweise der Enterprise Services Architecture, der SAP-eigenen Interpretation einer Service-orientierten Architektur (SOA), denken derzeit die wenigsten Anwender. "Die große Mehrheit des SAP-Klientels gilt nicht als besonders schnell", resümiert der Marktbeobachter. "Zwar gibt es einige, die frühzeitig neue Techniken einführen, die große Masse jedoch wartet die Erfahrungen der frühen Einsteiger erst einmal ab."

Hier lesen Sie …

  • warum die SAP-Anwender Migrationen eher zögerlich angehen;

  • was SAP seinen Kunden in Sachen ESA noch erklären muss;

  • wie sich SAPs Release-Stände innerhalb der deutschen Anwenderschaft entwickeln.

SAP baut noch an ESA

Erst sechs Prozent der SAP-Kunden nutzen Netweaver produktiv.
Erst sechs Prozent der SAP-Kunden nutzen Netweaver produktiv.

Seit nunmehr zweieinhalb Jahren propagieren die SAP-Verantwortlichen mit ESA ihre Version einer Service-orientierten Architektur. Im Zentrum steht dabei die Business Process Platform (BPP), die sich im Wesentlichen aus der Integrationsplattform Netweaver und einem Repository für Enterprise Services zusammensetzt. Anwender sollen künftig einzelne Geschäftsprozesse, deren Definition als Enterprise Service im Repository hinterlegt ist, mit verschiedenen Softwaremodulen abbilden können. Angesichts der stetigen Veränderungen der Geschäftsprozesse benötigten Unternehmen künftig eine flexible IT-Infrastruktur, lautet die Begründung für den Umbau ihrer Softwarearchitektur.

Die SAP-Verantwortlichen geben sich zuversichtlich, ihre Klientel von den Vorzügen einer Service-orientierten Architektur überzeugen zu können. Immer mehr Kunden würden auf das ESA-Konzept und die dazugehörige Integrationsplattform Netweaver zurückgreifen, behauptete jüngst Shai Agassi, Vorstand und President der Product and Technology Group von SAP. 2800 Kunden setzten bereits ESA-Komponenten ein. Zudem könne SAP 1500 Referenzanwender für Netweaver vorweisen, und jeden Tag kämen fünf weitere hinzu.

Stellt man den Grad des Netweaver-Einsatzes jedoch in Relation zum gesamten SAP-Lösungskosmos, lesen sich die Zahlen weit weniger eindrucksvoll. Den Ergebnissen der Raad-Consult-Umfrage zufolge haben 19 Prozent der knapp 3200 befragten Bestandskunden zwar Netweaver-Technik in Lizenz genommen. Doch erst sechs Prozent nutzen die Integrationsplattform produktiv. 13 Prozent der Anwender besitzen entsprechende Lizenzen, setzen das Produkt jedoch nicht ein.

Systeme werden komplexer

Dabei dürfte der Integrationsdruck nach Einschätzung des Raad-Consult-Analysten Cristian Wieland künftig noch zunehmen. Derzeit betrieben zwölf Prozent der SAP-Anwender hochkomplexe Umgebungen mit zwei oder mehr Anwendungen von Drittanbietern. Dieser Anteil wird Wielands Prognose zufolge im kommenden Jahr auf fast 25 Prozent zulegen. Trotz dieser Entwicklung wollen die SAP-Kunden bislang wenig von Integrationssoftware wissen. Zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben an, nichts dergleichen einzusetzen. Daran dürfte sich in den nächsten Monaten auch nicht viel ändern. Zwar äußerte mit sechs Prozent nur ein geringer Teil der SAP-Klientel, grundsätzlich keinen Bedarf an Integration zu haben. 69 Prozent der SAP-Anwender gaben jedoch an, innerhalb des nächsten Jahres keine Änderungen in Sachen Integration zu planen. Sie warten erst einmal ab.

Gleiches gilt für das Thema SOA. Erste Auswertungen von Raad Consult haben gezeigt, dass das Thema ESA den SAP-Kunden noch relativ neu ist. So haben lediglich 13 Prozent der 950 befragten Unternehmen aus der Sparte Finanzdienstleistungen und Versicherungen angegeben, ein Projekt in dieser Richtung zu verfolgen. 37 Prozent der Firmen erklärten, sie würden sich mehr oder weniger vereinzelt und sporadisch um das Thema kümmern. 42 Prozent befassen sich noch gar nicht mit Service-orientierten Architekturen. Vergleichbare Trends ließen sich auch in anderen Branchen erkennen, berichtet Wieland.

Wieviel Flexibilität ist nötig?

Währenddessen lässt die SAP-Führungsmannschaft nichts unversucht, um ihren zögernden Kunden die neue Softwarewelt schmackhaft zu machen. Immer wieder predigen sie Flexibilität als größten Vorteil von ESA. Unternehmen müssten künftig in der Lage sein, ihre Prozesse schnell an sich ändernde Marktbedingungen anzupassen. Dies gelinge aber nur mit einer entsprechend flexiblen Softwarearchitektur. Eine Community aus Herstellern, Partnern und Kunden soll diese Idee weiter vorantreiben. "Wir haben den Anwendern den Weg gezeigt", resümierte vor wenigen Wochen SAP-Vorstand Agassi. "Die Geschwindigkeit bestimmen allerdings die Kunden selbst."

IT-Budgets der SAP-Kunden schrumpfen weiter

Laut einer Umfrage des SAP-Beratungshauses Raad Consult unter rund 2000 deutschen SAP-Anwenderunternehmen werden deren IT-Budgets im kommenden Jahr im Durchschnitt im Vergleich zu 2005 um 0,2 Prozent schrumpfen. Damit scheint der Druck, zu sparen und Kosten zu senken, weiter abzuflauen. Für das laufende Jahr hatten die befragten Firmen noch Kürzungen in Höhe von 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angekündigt und auch umgesetzt. Ein Jahr zuvor waren es sogar 2,9 Prozent. "Offensichtlich ist die Schmerzgrenze in den Unternehmen erreicht, und weitere Einsparungen in größerem Stil sind nicht mehr durchsetzbar", interpretiert Raad-Consult-Geschäftsführer Nils Niehörster die Ergebnisse. Ein größerer Anstieg sei in der Regel allerdings auch nicht in Sicht.

Generell sei in den vergangenen Jahren zu beobachten gewesen, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen ihre IT-Budgets aufstockten, berichtet Niehörster. Dagegen agierten Großunternehmen eher konservativ und drosselten ihre IT-Ausgaben. Dieser Trend werde sich auch im kommenden Jahr fortsetzen, mutmaßt der SAP-Experte.