Kagermann baut Entwicklungsbereich um

SAP besinnt sich auf Branchenlösungen

01.08.2003
MÜNCHEN (fn) - War es bisher SAPs Ziel, auch in Produktsegmenten jenseits von ERP mehr zu punkten, will der Konzern nun wieder stärker auf die Bedürfnisse seiner Stammkunden eingehen. Insbesondere die vernachlässigten Branchenlösungen möchte der Konzern durch drei neu gegründete Business Solution Groups wieder mehr in den Vordergrund rücken.

Nach Darstellung von Vorstandssprecher Henning Kagermann setzt die SAP wieder stärker auf Branchenlösungen. Man habe diesen Bereich etwas vernachlässigt. Als Anbieter wie i2 und Siebel mit SCM- und CRM-Produkten in den Markt drängten, habe der ERP-Hersteller konkurrierende Software entwickeln müssen. Kagermann formuliert die neue Orientierung so: "Kunden wollen keine CRM- oder SCM-Applikation, sondern eine branchenorientierte Komplettlösung."

Branchenprodukte ("Industry Solutions") hatten nicht den nötigen Rückhalt innerhalb der Organisation. So war Kagermann unzufrieden damit, dass von Kunden geäußerte Änderungswünsche auf die lange Bank geschoben wurden. Die Lösungen wurden bislang von Industry Business Units (IBUs) entwickelt. Diese relativ kleinen Einheiten taten sich jedoch schwer, auf gleicher Augenhöhe mit den Global Business Units (GBUs), den Entwicklungsabteilungen für CRM und ERP, über branchenspezifische Anpassungen zu verhandeln.

Damit soll nun Schluss sein, denn die drei neu geschaffenen Business Solution Groups (BSGs) zeichnen sowohl für eine Reihe von Branchenlösungen als auch für bestimmte Kernprodukte verantwortlich. So leitet Claus Heinrich die BSG "Manufacturing and Distribution", die neben fertigungsnahen Branchenpaketen auch die Kernprodukte Product- Lifecycle-Management (PLM) und Supply-Chain-Management (SCM) betreut. Die von Peter Kirschbauer, Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung, geführte BSG "Services Industries" entwickelt Branchensoftware für Dienstleister sowie das generische Produkt Customer-Relationship-Management (CRM). In diese Einheit wird darüber hinaus die Global Customer Services Organisation eingegliedert. Kagermann selbst steht an der Spitze der BSG "Financial and Public Services", die Branchenprodukte für die öffentliche Hand, Versicherer und Finanzinstitute baut. Zudem verantwortet er das ERP-System.

Die Entwicklung der Infrastrukturlösung "Netweaver" untersteht der von Shai Agassi geleiteten Geschäftseinheit "Technology Platform". Eine weitere Organisationseinheit namens "Application Platform & Architecture", deren Chef Vorstandsmitglied Peter Zencke ist, soll den anderen BSGs zuarbeiten, indem sie Geschäftsobjekte sowie Benutzeroberflächen für das Portal erstellt. Sie entwickelt ferner Komponenten, die in verschiedenen SAP-Produkten zum Einsatz kommen. Alle BSGs sollen wie Zulieferer agieren: Beispielsweise steuert die Geschäftseinheit Financial Know-how bei, falls in einem Kundenprojekt bei einem Fertigungsunternehmen - künftig betreut durch die Manufacturing and Distribution - ERP-Anpassungen erforderlich sind.

Ansprechpartner für Großkunden

Mit der Neuausrichtung der Entwicklung will die SAP vor allem Großkunden verschiedener Branchen gezielter als bisher betreuen. Sie finden künftig einen Ansprechpartner in einer zu ihrer Branche passenden BSG. Diese Einheiten arbeiten Hand in Hand mit SAPs Global Field Organization, zu der beispielsweise auch der Vertrieb gehört. Die meisten Kunden dürften jedoch nie einen Vertreter einer BSG zu Gesicht bekommen. Wer nämlich nicht gerade eine individuelle Entwicklung bei der SAP in Auftrag gibt, wird von einem Mitarbeiter der Feldorganisation betreut.

Der Vorsitzende der Deutschen SAP Anwendergruppe (DSAG), Alfons Wahlers, beurteilt die Umstrukturierung positiv. In den letzten Jahren hat sich SAP auf die Entwicklung von Infrastruktur konzentriert. Nun würden sich die Walldorfer wieder mehr um die Branchen kümmern. Nachholbedarf habe der Hersteller beispielsweise bei Produkten für die öffentliche Hand.

Große Bedeutung misst der DSAG-Vorsitzende auch der Geschäftseinheit "Application Platforms & Architecture" bei. "Sie soll wiederverwendbare Kerngeschäftsprozesse entwickeln, die den verschiedenen Branchen zugeordnet werden." Dies bedeute eine weitere Modularisierung des monolithischen Kerns der SAP-Systeme.

Eine ganz andere Meinung zu SAPs neuer Entwicklungssparte vertritt Rüdiger Spies, Vice President Enterprise Applications bei der Meta Group in Ismaning. Ihm zufolge handelt es sich bei der Ankündigung in erster Linie um eine SAP-interne Restrukturierung, die zumindest kurzfristig keine Änderungen für Kunden mit sich bringt. "Einerseits fehlten Industry Business Units die kritische Masse, andererseits sind sie unter die Räder von Shai Agassi und seiner Infrastrukturtechnik gekommen." Nunmehr leite Agassi mit der Sparte Technology Platform einen von fünf zentralen Entwicklungsbereichen, womit sich ein ausgewogeneres Management-Verhältnis ergebe.