UMTS: Netzbetreiber zwischen Hoffen und Bangen

Sagt uns, wo die Dienste sind!

30.11.2001
Die Geschäftsmodelle der sechs UMTSLizenznehmer stehen auf tönernen Füßen. Das Kundeninteresse sowie die tragenden Dienste für die dritte Mobilfunkgeneration sind kaum zu prognostizieren. Außerdem liegt die Macht bei der Wertschöpfung in Händen der Content-Provider.

Die bayerische Staatsregierung ist ratlos. Sie wartet nicht nur vergeblich auf die göttlichen Eingebungen des Engels Aloisius - nein, sie harrt auch ungeduldig der Anwendung, die der kommenden Mobilfunkgeneration Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) zum Durchbruch verhilft. "Eine Antwort auf die Frage nach der so genannten Killerapplikation wurde uns bisher nicht gegeben", klagte kürzlich der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei Erwin Huber beim Munich Network Forum und fügte erwartungsvoll hinzu: "Wir hoffen, bald klüger zu sein."

Die Hoffnung des Ministers wird sich so schnell nicht erfüllen. Sie ist jedoch symptomatisch für eine ganze Branche, die sich im Sommer letzten Jahres bei der Auktion der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) zu euphorisch in das Abenteuer UMTS gestürzt hat. Seit die sechs deutschen UMTS-Lizenzen für insgesamt knapp 100 Milliarden Mark an die Netzbetreiber E-Plus, Quam, Mobilcom, T-Mobil, Viag Interkom und Vodafone gingen, fahnden alle fieberhaft nach der rettenden Anwendung, die die Ausgaben rechtfertigt. Bislang vergeblich.

Die Panik der Unternehmen ist verständlich. Tägliche Zinszahlungen von bis zu fünf Millionen Mark künden von erdrückenden Schuldenbergen im zweistelligen Milliardenbereich. Den Providern steht das Wasser bis zum Hals. Kein Wunder also, dass sich Staatsminister Huber Sorgen macht. Schließlich haben mit Viag Interkom und Quam zwei der sechs Netzbetreiber ihre Heimat in München.

Ähnliche Ängste dürften auch andere Ministerpräsidenten sowie die Bundesregierung umtreiben. Besonders Bundesfinanzminister Hans Eichel und die Reg TP müssen dieser Tage als Sündenböcke für die Misere herhalten, in der die TK-Branche hierzulande steckt. Eichel, weil er mit den hohen Lizenzeinnahmen das Investitionspotenzial eines ganzen Industriezweigs lahm legte - vom Kursverfall der Telekom-Aktie ganz zu schweigen. Der Regulierer, weil er sich mit der Auktion zum Handlanger der Regierung machte. So jedenfalls lautet die Kritik, nicht nur aus den Reihen der Opposition.

"Die Politik ist aufgefordert, über ein Exit-Szenario nachzudenken", fordert zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der Debitel AG, Peter Wagner, und das, obwohl sein Unternehmen rechtzeitig aus der UMTS-Auktion ausgestiegen war. Der Debitel-Chef ist sich sicher, dass der deutsche Markt keinen Platz für sechs unabhängige Netzbetreiber bietet.

Wagner steht mit seiner Meinung nicht allein. Unter Analysten besteht beinahe Einhelligkeit, dass nicht alle sechs UMTS-Protagonisten überleben werden. Der Druck auf Politik und Regulierer ist deshalb hoch. Doch die Reg TP will davon nichts wissen. "Es ist nicht unsere Aufgabe oder die der Bundesregierung, über Ausstiegsszenarien nachzudenken. Das müssen die Unternehmen schon selbst tun, sofern sie mit diesem Gedanken spielen", bestreitet der Vizepräsident der Reg TP, Jörg Sander, jeden Handlungsbedarf seiner Behörde.

Die Lizenznehmer werden sich jedoch hüten, laut über einen Rückzug nachzudenken. Jedes Zeichen von Schwäche wäre zur Stunde fatal, und deshalb machen alle in Optimismus. Woraus sie ihn schöpfen, ist allerdings fraglich, denn insgesamt stehen die Vorzeichen nicht rosig. In der Gleichung UMTS gibt es nämlich viele Unbekannte, die einen Return on Investment weit entfernt erscheinen lassen. Dazu zählen vor allem unausgereifte Geschäftsmodelle, dicke Fragezeichen hinter Applikationen und Inhalten sowie dem Interesse privater und professioneller Konsumenten, sie zu nutzen, aber auch fehlende Endgeräte.

Diese Unsicherheitsfaktoren sind nicht wegzudiskutieren, auch nicht mit dem gerne strapazierten Verweis auf den Erfolg des japanischen UMTS-Vorläufers "I-Mode" und dem vor wenigen Wochen ebenfalls im Land der aufgehenden Sonne glänzend gestarteten UMTS-Dienst "Foma". Vor falschen Rückschlüssen vom japanischen auf das deutsche Mobilfunkgeschäft sei dringend gewarnt. Allein schon deshalb, weil mit NTT Docomo ein Carrier mit Quasi-Monopolstellung die Dienste I-Mode und Foma betreibt und die Bedürfnisse fernöstlicher und deutscher Teilnehmer nicht automatisch gleichzusetzen sind.

"Ein Erfolg wie der von I-Mode dürfte außerhalb von Japan am schwersten in Deutschland zu erkämpfen sein", warnt Rüdiger Spies vor der Eigenwilligkeit des Verbrauchers hierzulande. Spies, bis vor kurzem Analyst bei der Meta Group und jetzt bei EDS Director Telecom Industries e.solutions, hält Deutschland für extrem preissensibel und ein schwieriges Terrain für den Verkauf von Inhalten. Beispiel ist der Misserfolg des Bezahlfernsehens Premiere.

Umso wichtiger ist es, einen Blick darauf zu werfen, welche Rolle der Kunde in den Geschäftsmodellen der Netzbetreiber spielt - und das verheißt wenig Gutes. Zumindest dann nicht, wenn man das Rechenmodell von Joachim Dreyer, Präsident des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), zugrunde legt. Der Kalkulation des ausgewiesen Experten zufolge muss ein Netzbetreiber einen Marktanteil von 30 Prozent erzielen, will er seine Investitionen binnen sieben Jahren wieder einspielen. Soll die Rechnung aufgehen, müsste sich außerdem das im Mobilfunk generierte Umsatzvolumen für Sprach- und Datendienste in Deutschland von heute 32 Milliarden Euro auf jährlich 64 Milliarden Euro verdoppeln. Bei derzeit sinkendem Teilnehmerumsatz fällt der Glaube daran schwer: Vertragskunden geben gegenwärtig im Schnitt nur 40 Euro monatlich aus, Kunden mit Kartenguthaben sogar nur zehn Euro.

Es stellt sich daher die Gretchenfrage, ob es gelingt, Anwendungen und Inhalte für UMTS zu erzeugen, die nicht nur das Interesse von Privat- und Geschäftskunden wecken, sondern auch deren Konsumverhalten kräftig stimulieren. Eine Killerapplikation allein, das scheint die Branche unterdessen zu kapieren, kann das nicht leisten. Nach dem Erfolg von SMS wird der angekündigte Nachfolger Multimedia Message Service dieser Bürde vermutlich noch am ehesten gerecht, zumal der multimediale Nachrichtentransfer sowohl private als auch berufliche Anwender finden dürfte.

Im Geschäftssektor könnte der mobile Zugriff auf das Corporate Intranet, zum Beispiel um Kundendaten abzurufen, eine Vorreiterrolle spielen. Denkbar ist auch die remote Projektüberwachung oder dass Außendienstmitarbeiter über mobile Endgeräte logistische und servicetechnische Informationen beziehen.

Im Privatkundensegment dürften neben Messaging vor allem Spiele, flächendeckende sowie ortsbezogene Infodienste, M-Commerce und Sexangebote die größte Nachfrage erzeugen. Nach Ansicht von Marcus Englert, Sprecher der Geschäftsführung bei Kirch Intermedia, sei es besonders wichtig, die Konsumenten durch "Sticky Applications" immer wieder anzulocken und "ein Stück weit süchtig zu machen". Der Kunde, so Englert, müsse das Gefühl haben, während einer Wartezeit immer ein Spiel oder eine Information abrufen zu müssen.

Dass Verbraucher den Angeboten der Content-Provider auf den Leim gehen werden, steht außer Zweifel, es fragt sich nur, wie schnell und in welchem Umfang. Das wird natürlich stark von den Tarifen der Dienste, aber auch der Technik abhängen. Volumenorientierte Entgelte, wie sie heute die Anbieter von GPRS-Diensten (GPRS = General Packet Radio Service) erheben, sind nicht der Weisheit letzter Schluss. "Diese Tarifierung ist grausam, denn wer weiß schon, wie viele Kilobyte er bei einer Finanztransaktion verbraucht", rät Michael Salmony, IT-Verantwortlicher der DZ Bank AG, zu einer transparenten Preispolitik. In diesem Fall könnten alle Beteiligten tatsächlich von I-Mode lernen. Dort sind die Kosten nachvollziehbar und gilt der Grundsatz: Ein Service darf nicht mehr als eine Zigarette kosten.

Entscheidend für den Erfolg von UMTS wird ferner sein, ob es die Netzbetreiber schaffen, ihren Kunden ähnliche Inhalte und Anwendungen bereits über die auf GSM aufsetzende Datentransfertechnik GPRS schmackhaft zu machen. Dazu muss sichergestellt sein, dass GPRS nicht zu einer Pleite à la WAP wird. Voraussetzung dafür sind viel Phantasie bei Services, Anwendungen und Tarifen sowie funktionierende Endgeräte.

Was UMTS-Handys betrifft, geben sich die Marktbeobachter keinen Illusionen hin. Auch bei der Einführung dieser Technik wird es zur obligatorischen Verspätung durch die Endgerätehersteller kommen. "Es dauert deutlich länger als vorhergesagt, bis sich UMTS durchsetzt. Das wird eine Politik der kleinen Schritte", bringt EDS-Manager Spies die unterdessen revidierten Zeitvorstellungen auf den Punkt und nennt einen weiteren Faktor, der seine Zeit braucht: "Die Menschen müssen, wenn sie diese neuen Medien nutzen, ihre Denk- und Arbeitsweise ändern." Damit wird UMTS auch zu einer Generationenfrage.

Umdenken heißt es zunächst jedoch für die Netzbetreiber. Ihr traditioneller Ansatz, nämlich das Geschehen allein zu diktieren, ist überholt. "Die Machtstellung in der UMTS-Wertschöpfungskette liegt bei den Anbietern der Inhalte und Marken", weist Falk Müller-Veerse, CEO der auf Mobilfunk spezialisierten Beratungs- und Investmentfirma Cartagena Capital, auf den feinen Unterschied hin.

Dieser Rolle sind sich vor allem die Content-Schwergewichte Kirch und Bertelsmann bewusst. Sie stellen klare Forderungen und lehnen das Revenue-Sharing-Modell von I-Mode als Vorbild ab. Dort kassiert der Netzbetreiber neun Prozent der anfallenden Gebühren für Inhalte, 91 Prozent verbleiben dem Inhalteanbieter. Diese Marge reicht Kirch und Bertelsmann nicht. Sie wollen außerdem an den Einnahmen der Netzbetreiber, beteiligt werden. Kirch-Sprecher Englert begründet den Standpunkt damit, dass höchstens zehn Prozent der Content-Provider für I-Mode profitabel seien.

Noch sind die Fronten verhärtet. "Keiner der Beteiligten will dem anderen etwas von seiner angestammten Wertschöpfung abgeben", beschreibt Edgar Berger, COO bei Bertelsmann Content Network, den Status quo. Doch die Zeit drängt, vernünftige UMTS-Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für die Netzbetreiber. Es scheint, als säßen die Content-Anbieter am längeren Hebel. "Ohne attraktive mobile Inhalte wird jeder noch so ambitionierte Business-Plan der Netzbetreiber zur Makulatur", droht Berger Richtung Telekom & Co.

Müller-Veerse rät den Carriern zur Einsicht. "Der Kunde ist an Harry Potter, Schneewittchen oder Big Brother interessiert, nicht an der Technik", sagt er und mahnt bei den Netzbetreibern die rasche Installation von Applikationsplattformen an, auf die Anbieter ihre Anwendungen diskriminierungsfrei aufsetzen können.

Alles spricht also dafür, dass UMTS, wenn überhaupt, dann nur über ein breites Spektrum an Anwendungen und Inhalten zum Erfolg getrieben werden kann. Dazu müssen rasch die nötigen Entwicklungsszenarien und -anreize geschaffen werden. Denn nur über die Masse können sich sowohl im Privat- als auch Geschäftskundensegment umsatzträchtige Anwendungen herauskristallisieren. Wer weiß, vielleicht taucht ja doch noch die von allen ersehnte, ungeahnte Killerapplikation auf. Dann wäre die bayerische Staatsregierung etwas klüger.

Peter Gruber, pgruber@computerwoche.de