Die neuen Techniken machen's möglich:

Sachbearbeiter fordern mehr Kompetenz

24.05.1985

Immer wieder kann man von Mitarbeitern hören, daß sie "computergeschädigt" seien. Sie wollen damit vielfach ausdrücken, daß sie Aufgaben und Kompetenzen verloren haben, die sie bisher jahrelang uneingeschränkt besaßen. Eine Gruppe von Mitarbeitern sagt dies bestimmt nicht: die Sachbearbeiter. Im Gegenteil - sie können sich als ausgesprochene Nutznießer im Rahmen des Computergeschehens bezeichnen.

EDV-Spezialisten fordern immer wieder, Sachbearbeitern erweiterte Entscheidungsbefugnisse zu erteilen. Dies sei im Interesse der angestrebten Beschleunigung der betrieblichen Abläufe dringend erforderlich. Die Sachbearbeiter hören diese Signale mit Freude, werden sie doch mit dieser EDV-Philosophie aufgewertet. Nun fordern sie ihrerseits, daß sie selbst entscheiden können, statt wie bisher weitgehend Entscheidungen ihrer Vorgesetzten durchzuführen oder diese Entscheidungen vorzubereiten.

Zweifellos muß auch der Unternehmensführung daran gelegen sein, daß die mit den neuen Techniken gegebenen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Dies besagt jedoch nicht, daß damit alle Stellen aufgrund der ihnen zugehenden Informationen auch die entsprechenden Entscheidungsbefugnisse besitzen müssen.

Denn: Die erweiterten Zugriffsmöglichkeiten zu den Informationen bringen keinesfalls automatisch eine Erweiterung der Befugnisse mit sich.

Dies trifft auch auf die Sachbearbeiterebene zu. Warum aber wurden bisher einem großen Teil der Sachbearbeiter Entscheidungsbefugnisse versagt? Warum bedurfte es erst des (...)stoßes durch die neuen Techniken, um eine Änderung dieser bisherigen Regelung zu fordern?

Delegation beinhaltet Risiko

Diese Fragen sind relativ leicht zu beantworten: Jede Delegation von Aufgaben und Kompetenzen beinhaltet immer zugleich eine bestimmte Verteilung des Risikos. Die Unternehmensführung muß sich also darüber schlüssig werden, auf welche Ebene und in welcher Höhe sich das Risiko, das mit der Delegation von Entscheidungsbefugnissen verbunden ist, übertragen will.

Eine Unternehmensführung, die davon absieht, Entscheidungsbefugnisse auf die Sachbearbeiterebene zu verlagern, legt damit zugleich fest, daß sie das mit einer Entscheidung verbundene Risiko nicht auf dieser Ebene verankert wissen will. Dies deshalb, weil sie nach Prüfung der Sachlage zu dem Ergebnis gekommen ist, daß auf dieser Ebene die Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidungsfindung nicht erfüllt sind. Daher beschränkt die Unternehmensführung die Tätigkeit der Sachbearbeiter entweder auf rein ausführende Arbeiten (Dienstleistungen) oder auf die Vorbereitung von Entscheidungen der nächsten Ebene oder deren Durchführung. Damit ist keine Abwertung der Sachbearbeiterebene verbunden. Die Unternehmen könnten ohne diese Tätigkeit ihrer Sachbearbeiter gar nicht existieren.

Der so nachdrücklich erhobenen Forderung nach Ausstattung der Sachbearbeiterpositionen mit Entscheidungsbefugnis liegen folgende Denkfehler zugrunde:

- Es ist ein grundlegender Irrtum, anzunehmen, daß sich daß den von der EDV gelieferten Informationen zwangsläufig die Entscheidung ergibt und es deshalb eine unnötige Verzögerung bedeuten würde, wenn der Empfänger der Information nicht selbst entscheiden darf, sondern die nächsthöhere Stufe einschalten muß.

- Der Mitarbeiter, dem Entscheidungsbefugnis delegiert wird, muß also die Voraussetzungen besitzen, um den Prozeß der Entscheidungsfindung zu vollziehen. Dazu gehört das erforderliche Fachwissen, der Überblick über den Gesamtzusammenhang sowie das Urteilsvermögen, um zwischen Alternativen im Rahmen seines Ermessensspielraums wählen zu können. Diese Fähigkeiten werden jedoch nicht mit den Informationen mitgeliefert.

Unternehmensführungen, die sich von den EDV-Spezialisten überzeugen ließen, daß die Sachbearbeiter die ihnen bisher vorenthaltenen Entscheidungsbefugnisse ohne weiteres erhalten müßten, wurden rasch eines besseren belehrt, als die ersten kostenträchtigen Fehlentscheidungen bekanntwurden.

Vorgesetzte der Sachbearbeiter, die von vornherein der Überzeugung waren, daß ihre Mitarbeiter den ihnen neu übertragenen Entscheidungskompetenzen nicht gewachsen sein konnten, waren vielfach klüger. Sie unterliefen diese Entscheidung der Unternehmensführung, indem sie verlangten, daß sich ihre Sachbearbeiter vor einer Entscheidung mit ihnen "abstimmten". Damit lag zwar die Entscheidungskompetenz formal bei den Sachbearbeitern, tatsächlich aber blieb alles beim alten. Es ist die berüchtigte Rücknahme von Verantwortung gegenüber einer Entscheidung der Unternehmensführung, die man keineswegs billigen kann, auch wenn sie als Notstandsmaßnahme bezeichnet wird.

Nun soll mit all dem nicht gesagt werden, daß Sachbearbeiter generell nicht qualifiziert seien, in ihrer Funktion Entscheidungen zu treffen. Und daß es nicht erwünscht wäre, die Sachbearbeiterebene im Interesse der Beschleunigung betrieblicher Abläufe mit Entscheidungsbefugnissen auszustatten.

Es liegt an der Unternehmensführung, sorgfältig zu prüfen, inwieweit es angesichts der neuen technischen Möglichkeiten sinnvoll ist, auf der Sachbearbeiterebene erweiterte oder neue Entscheidungsbefugnisse zu erteilen. Wird eine Kompetenzerweiterung als zweckmäßig empfunden, müssen die Verantwortlichen dafür die notwendigen Voraussetzungen hinsichtlich der Qualifikation des Sachbearbeiters schaffen. Dies kann durch innerbetriebliche Weiterbildung geschehen oder auch durch Umbesetzung der Stelle.

Bleibt die Unternehmensführung auf ihrem Standpunkt bestehen, daß auf der Sachbearbeiterebene keine Entscheidungen getroffen werden sollen, so muß sie in Kauf nehmen, daß die Entscheidungsbefugnisse weiterhin auf einer höheren Ebene liegen und die neuen technischen Möglichkeiten auf der Sachbearbeiterebene nicht voll genutzt werden können.

*Professor Dr. Reinhard Höhn, Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, Bad Harzburg.