Pleite in Bonner Baufirma

RZ-Team über Nacht arbeitslos

22.08.1975

BONN - Am 8. August kam das durchaus unprogrammierte Ende für das Bauunternehmen Gemüngt & Schneider. Das Bonner Amtsgericht eröffnete den Konkurs. Rund 800 Beschäftigte wurden arbeitslos, darunter das siebenköpfige Team des firmeneigenen Rechenzentrums. "Die Marktsituation konnte nicht mehr gemeistert werden", kommentiert Geschäftsführer Heinz Bode die Pleite. Für RZ-Leiter Karl Schulte (34) ist ein Nebenprodukt des Konkurses viel schmerzlicher: "Das kann heute wohl jedem passieren. Jetzt fällt ein Team auseinander, das einmalig war."

Den Sonderfall dokumentierte Honeywell Bull bereits 1973. In einer Software-Broschüre über das bei Gemüngt & Schneider gefahrene "Abrechnungssystem Baulohn" heißt es: "Zweifellos wird hier ein Programmkomplex vorgestellt, der sich durch die umfassende Konsequenz der Automation der Einmaligkeit rühmen kann." In der Tat: Das Schulte-Team realisierte auf einer Honeywell-Bull G 118/ 32 K in Zusammenarbeit mit dem Hersteller mit dem Ausgangspunkt Lohnabrechnung ein komplettes Konstenstellen-/Baustellen- und Betriebsabrechnungssystem.

Rund 800 Arbeitslose auf einen Schlag brachten das Arbeitsamt Bonn zur Schnellrotation, um bei Gemüngt & Schneider die Arbeitslosenanträge entgegenzunehmen. Das Hilfsangebot von Karl Schulte, die nötigen Daten aus den Dateien des Rechenzentrums abzuzapfen stieß nicht auf die Gegenliebe des stellvertretenden Arbeitsamtschefs Rainer Bücherhold. So wurde von Hand gepinnt.

Vor dem Konkurs, der sich seit Wochen abzeichnete, ging niemand aus dem Schulte-Team zum Arbeitsamt, um einen neuen Job zu suchen. Man verließ sich lieber auf die Privatinitiative, wärmte alte Kontakte auf, rief Kollegen an.

Eine Hoffnung, nämlich als Team und mit gleichen Aufgaben samt dem Softwarepaket von einer anderen Baufirma oder gar von Honeywell Bull übernommen zu werden, zerschlug sich rasch. Dr. Rainer Rappenhöner, Geschäftsstellenleiter bei Honeywell Bull in Köln: "Das hätten wir gerne gemacht, interessierte Baufirmen gibt's genug. Aber bei der Marktlage in der Baubranche?"

Entgegenkommend zeigte sich Dr. Rappenhöner allerdings zur Freude Karl Schultes in der Frage, was trotz Konkurs mit der gemieteten G 118 geschehen soll, zumal die Miete für die beiden letzten Monate noch nicht gezahlt wurde (Monatsmiete mit Peripherie knapp 20000 Mark). Das Rechenzentrum kann vorerst weiterarbeiten.

Zunächst hatte RZ-Leiter Karl Schulte am Konkurstag alle Schränke und Türen im Rechenzentrum verriegelt und hütete den Schlüsselbund wie seinen Augapfel. "Ich trage das Nervenzentrum sozusagen in der Hosentasche", sagt er mit gespielter Heiterkeit. In Wirklichkeit ist seine Stimmung auf dem Nullpunkt.

Seine Mitarbeiterin, die Datentypistin Heide Unkelbach (26) spricht es aus: "Wir waren ein so herrliches Team, und wir hatten einen prima Arbeitsplatz. Jetzt ist alles aus. Es ist deprimierend."

Deprimierend nicht zuletzt, weil Heide Unkelbach noch keinen neuen Arbeitsplatz hat. Ihre Kollegin Lieselotte Winkler (31) hatte mehr Glück. Aber sie mußte Federn lassen. Beim neuen Arbeitgeber Ideal Standard in Bonn verdient sie statt bisher 1750,- Mark nur noch 1550,- Mark.

RZ-Leiter Karl Schulte (Jahreseinkommen 45 000 Mark) hat's auch geschafft. Er tritt zu vergleichbaren Konditionen ab 1. 9. 75 eine andere Stelle an, allerdings nicht als RZ-Chef, sondern als kaufmännischer Leiter. Seine Stellvertreterin Christel Birkheuser (34), Systemanalytikerin und Org-Programmiererin, hat noch keinen neuen Arbeitsplatz. "42 000 p. A., das muß man erst mal wieder kriegen", meint Christel Birkheuser. Programmierer Harry Matte (30), 30 000-Mark-Mann, hat noch keine neue Stelle. Er findet ein paar Wochen Arbeitslosigkeit auch nicht so schlimm. "Für acht Wochen habe ich noch reichlich Arbeit an meinem neugebauten Haus", stellt er fest.

Reinhard Böhm (26,) Operator und Programmierer, hofft ebenfalls, in einem neuen Job, den er allerdings noch nicht hat, wieder auf das Jahreseinkommen von 30 000 Mark zu kommen. Aber es eilt nicht, Frau Böhm verdient mit.

Für die Datentypistin Anna Simigla (26) aus Budapest ist der Konkurs des Arbeitgebers eine neue Lebenserfahrung. Auf der Handelsschule in ihrer Heimatstadt gab's Pleiten nur in der Theorie. Der Arbeitsplatz ist futsch, ein neuer könnte für die gelernte Kauffrau auch irgendwo im Rechnungswesen liegen, wenn die Kasse stimmt (zirka 20 000 Mark im Jahr). Sagt die temperamentvolle Anna: "Aber sauer bin ich über die Pleite hier nicht. Ich lebe in einem freien Lande, das ist mir mehr wert!"

Der Konkurs ist da, die Arbeitsplätze sind gekündigt das RZ-Team bei Gemüngt & Schneider wird sich bald in alle Winde zerstreuen. "Wir haben bis zuletzt gehofft, daß das herrliche Team zusammenbleibt", sagt RZ-Leiter Schulte, "und wir sind natürlich auch entschlossen, bei der Konkursabwicklung noch unsere Arbeit weiterzumachen wenn man uns braucht." os