Alternative Carrier

Runde eins im TK-Fight geht an die Telekom

26.06.1998

Auch ein halbes Jahr nach der Freigabe des deutschen TK-Markts ist es den großen Wettbewerbern der Telekom nicht gelungen, dem früheren Monopolisten signifikant Marktanteile abzujagen. Kaum nennenswerte zwei Prozent haben sie in den ersten drei Monaten im Telefongeschäft geschafft. Dabei ließen die vollmundigen Ankündigungen der Telekom-Rivalen im letzten Jahr an gravierende Verschiebungen denken.

Während die großen Anbieter wie Otelo und Viag Interkom noch überlegen, wie sie in diesem lukrativen Markt Fuß fassen können, beweisen kleine Gesellschaften wie Mobilcom, daß man auch ohne gewaltige Investitionen ein Stück vom Telekom-Kuchen abschneiden kann. Außerdem, das war klar, würde die Telekom das Feld nicht kampflos räumen. Überraschend demonstrieren die Bonner täglich, wie gut sie sich auf den Wettbewerb vorbereitet haben - auch wenn sich über manches ihrer Mittel streiten läßt.

Ihre großen Herausforderer kämpfen derzeit hingegen immer noch mit den Tücken der Technik und mangelnden Ressourcen im Personalbereich. Technische Probleme treten häufig noch durch die zu geringe Kapazität der alternativen Netze auf. So wird der Anrufer oft mit einem Besetztton beglückt und über eine Carrier-eigene TK-Anlage mit einer veränderten Teilnehmernummer weiterverbunden. Problematisch ist dieses Verfahren, wenn dann ein Rückruf initiiert wird. Der gute Rat an dieser Stelle lautet: Bei Verbindungen über alternative Carrier Finger weg von den vertrauten ISDN-Leistungsmerkmalen wie automatischer Rückruf, Konferenzschaltung und Anruferidentifizierung.

Eine Gebührenanzeige für laufende Verbindungen ist auch sechs Monate nach Wettbewerbsstart noch nicht möglich: weder während eines Gesprächs noch nach dessen Beendigung. Ein Kompromiß, der im Mai erfreulicherweise einmal ohne Anrufung des Regulierers zwischen der Telekom und den neuen Telefongesellschaften erzielt wurde, soll noch in diesem Jahr Abhilfe schaffen.

Der Mangel an Personal führt in der Praxis dazu, daß Interessenten insbesondere bei Arcor und Otelo entweder gar keine Informationen erhalten - oder erst nach wochenlangem Warten. Da vergeht so manchem Wechselwilligen einfach die Lust. Kein Wunder, daß er entweder die wenigen Angebote für ein vertragsloses Call-by-call nutzt oder sich bei einem der zahlreichen Anbieter meldet, die ihren Kunden eine separate Rechnung ausstellen.

Kein Kundeninteresse an einer Voranmeldung

Der einzigartige Wettbewerb im deutschen TK-Markt ist weltweit der härteste und so gesehen natürlich auch der interessanteste. Es lohnt sich daher, einmal einen Blick auf die Geschehnisse der letzten Monate zu werfen. Die bei den Netzbetreibern und Diensteanbietern entstandene Goldgräberstimmung führte zu einer Vielzahl von Neugründungen in den Städten und Regionen. Über 60 City-Carrier von Accom in Aachen bis Wücom in Würzburg sind bereits im lokalen Bereich aktiv, ergänzt durch ein Dutzend regionaler Carrier wie Bayernwerk Netkom und Tesion, die ein geografisch begrenztes Gebiet mit TK-Diensten versorgen.

Die Regulierungsbehörde hat bis Ende Mai sämtliche verfügbaren Rufnummern der Struktur 010xy an Verbindungsnetzbetreiber vergeben, so daß seit Juni nur mehr Rufnummern auf der Basis 0100xy zugeteilt werden können.

Bis zum 26. Mai 1998 wurden von der Regulierungsbehörde (RTP) 79 Lizenzen der Klasse 3 (Übertragungswege) und 65 Lizenzen der Klasse 4 (Sprachtelefondienste) zugeteilt. Schließlich wurden bei der RTP bis zum selben Datum 35 Zusammenschaltungsverträge (Interconnection) gemäß der Netzzugangsverordnung registriert. In diesem Zusammenhang wird mit einiger Verspätung erst jetzt die Frage diskutiert, wieviel Netzknoten ein Betreiber installieren muß, um als Verbindungsnetzbetreiber anerkannt zu werden.

Nach den Vorstellungen der Telekom muß er mindestens 23 Knoten miteinander vernetzen, um die günstigen Interconnect-Tarife in Anspruch nehmen zu können. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, drohen wesentlich höhere Tarife.

Rund 40 Netzbetreiber bieten derzeit Telefondienste an. Dafür gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten für die Anschaltung:

- den indirekten Zugang durch das Call-by-call-Verfahren,

- eine feste Voreinstellung als Verbindungsnetzbetreiber durch das Preselection-Verfahren und

- den Direktanschluß als Teilnehmernetzbetreiber (Direct Access).

Obwohl die TK-Kundenschutzverordnung (TKV) klar definiert, daß ein Kunde Anspruch auf eine einzige Fernmelderechnung hat, auch wenn er verschiedene Call-by-call-Angebote von Wettbewerbern nutzt, fordert die Mehrzahl der Telefongesellschaften zunächst eine Registrierung, um danach selbst eine Rechnung zu erstellen. Otelo mußte bereits sehr schnell nach dem Start in das Geschäft mit Telefondiensten feststellen, daß die Mehrzahl der Anwender die TKV-Regelung bevorzugt, und bietet deshalb wie Arcor und Mobilcom seit Ende Mai Call-by-call ohne Anmeldung an.

Wie erwartet findet der Wettbewerb für Telefondienste ausschließlich über den Preis statt. Nimmt man die Entwicklung in den USA vor rund zehn Jahren als Grundlage, ist innerhalb des nächsten Jahres eine Tarifreduktion um bis zu 50 Prozent und mehr zu erwarten.

In Deutschland sorgen Hunderte von Tarifmodellen bei den Kunden für Verwirrung und für erfreuliche Geschäfte bei den Herstellern von Least Cost Routern (LCR). Diese errechnen als selbständige Zusatzgeräte oder als Option in der TK-Anlage für jede Verbindung den aktuell günstigsten Tarif und stellen anschließend die Verbindung für den Benutzer vollkommen transparent her. Die Komplexität der Tarife wird allein an den wenigen nachfolgenden Tarifbeispielen der Telekom, Mannesmann Arcor, Otelo, Viag Interkom und Thyssen Telecom ersichtlich (Preise in Mark pro Minute inklusive Mehrwertsteuer):

Deutsche Telekom: Im Gegensatz zu den Wettbewerbern gibt die Deutsche Telekom die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. April 1998 von 15 auf 16 Prozent in voller Höhe an ihre Kunden weiter. Dadurch erhöht sich der Preis für eine Tarifeinheit von bisher 12 auf 12,1 Pfennig.

Mannesmann Arcor: Nach der Preissenkung der Deutschen Telekom hat Arcor zum 1. März 1998 nachgezogen und die erst Anfang 1998 veröffentlichten Tarife Anfang April ebenfalls gesenkt. Angeboten werden "Arcor Call by Call" ohne Anmeldung und Preselect "Arcor Town to Town". Arcor überläßt es bei beiden Varianten dem Kunden, zwischen sekundengenauer und taktbezogener Abrechnung zu wählen. Die Tabelle gilt für Call-by-Call und sekundengenaue Abrechnung.

Otelo: Seit dem 11. März 1998 schaltet Otelo auch Privatkunden aufs Netz. Zunächst mit Voranmeldung, seit Ende Mai aber auch ohne Registrierung. Transparenz wurde mit nur drei Entfernungszonen, zwei Zeitzonen und sekundengenauer Abrechnung für alle Gespräche geschaffen.

Viag Interkom: Mit dem zur CeBIT '98 vorgestellten "FON Service" startete Viag Interkom als letzter der drei großen Wettbewerber mit einem Angebot von Sprachprodukten für Geschäfts- und Privatkunden. Für Call-by-call (Anmeldung erforderlich) gelten folgende Tarife:

Preselect-Kunden profitieren zusätzlich von dem Angebot "Freunde & Co", das jeweils 15 Prozent Rabatt auf die obengenannten Preise für 15 ausgewählte Rufnummern sowie ab der 16. Gesprächsminute vorsieht.

Thyssen Telecom: Noch auf der diesjährigen CeBIT stolz auf die Zusammenlegung mit dem Schwesterunternehmen Thyssen Informatik (Originalton Hans-Peter Kohlhammer: "Wir machen mit dem Schlagwort des Komplettanbieters ernst") hat sich die Thyssen Telecom Mitte Mai mit dem Verkauf von Plusnet an Esprit aus dem TK-Geschäft zurückgezogen. Diese Entwicklung war aber schon durch den früheren Verkauf des e-plus-Anteils an Otelo abzusehen.

Tele2: Zum Vergleich und als Anregung für die schier unzähligen Erfinder von verwirrenden Tarifmodellen soll hier das derzeit einfachste Angebot von Tele2 nicht unerwähnt bleiben.

Was bieten die großen Telefongesellschaften? Mit enormen Werbeetats - Schätzungen taxieren das Gesamtaufkommen für 1998 auf rund 800 Millionen Mark - versuchen die Neuen ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Trotzdem haben laut einer repräsentativen Umfrage der PbS AG, München, erst vier die 50-Prozent-Marke überschritten: Arcor mit 66 Prozent, Debitel und Mobilcom mit jeweils 58 Prozent sowie Otelo mit 56 Prozent. Viag Interkom hat mit 15 Prozent noch starken Nachholbedarf.

Gerhard Kafka ist freier Journalist und Telekommunikationsberater in Egling bei München.