Alcatel-Chef Combes fordert Umbau des TK-Marktes

Ruiniert die EU Europas Carrier und die TK-Industrie?

21.11.2013
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Während des Bell Labs Open day in Stuttgart ging Alcatel-Lucent CEO Michel Combes hart mit den europäischen Regulierern zu Gericht. Diese ruinieren in den Augen Combes den europäischen TK-Markt und seien mit daran Schuld, dass Europa in Sachen Breitband hinterherhinke.

Kein Blatt vor den Mund nahm Michel Combes, CEO von Alcatel-Lucent, am Tag der Offenen Tür der Bell Labs. So kritisierte Combes beim Besuch in Stuttgart, dass etwa nur sechs Prozent der weltweiten LTE-Kunden aus Europa stammten. Und dies, obwohl die Mobilfunktechnik der vierten Generation eigentlich in Europa erfunden worden sei. Letztlich, so der CEO provokant, seien die Regulierer gerade dabei, alles falsch zu machen und damit die Zukunftschancen einer digitalen Wirtschaft zu verspielen.

Geradezu ketzerisch klang für europäische Ohren dabei Combes Forderung nach weniger Netzbetreibern, "Europa braucht keine hunderte von Netzbetreibern und MVNOs, einige wenige wie in den USA reichen - dann kann auch ein digitales Eco-System wie in den USA entstehen". Combes zufolge kommt es nicht von ungefähr, dass neue, innovative Services wie Google oder Apples iPhone dort entstehen und nicht in Europa, "denn der dortige Markt bietet Netzbetreibern und Service-Anbietern eine Chance, mit ihrem Investment eine vernünftige Rendite zu erwirtschaften". Genau dies verhindern in den Augen von Combes EU und Regulierer in der alten Welt, in dem sie bei ihren Regulierungsvorschriften zu sehr den Verbraucher im Blickfeld hätten und damit einen ruinösen Preiswettbewerb förderten: "Natürlich orientieren sich die Verbraucher in Europa bei der Carrier-Wahl nur am Preis, denn andere Unterscheidungsmerkmale gibt es nicht." Eine Differenzierung nach Services würde wiederum bedeuten, dass die Carrier investieren und die Kunden wieder mehr müssten. Für Combes ist dies der Preis, den jeder Anwender bezahlen muss, wenn er neue Services wünscht. "Die EU-Kommission sollte nicht nur die Verbraucherinteressen schützen", so der CEO weiter, "sondern auch darauf achten, dass sich für die Carrier längerfristige Infrastrukturinvestitionen rechnen." Wenn die EU ihren Regulierungskurs nicht ändere, werde sie auch noch für den verbliebenen Rest der TK-Industrie sowie für die Netzbetreiber die Sterbeglöckchen läuten. "Die Regulierer begehen dieselben Fehler wie die USA vor zehn Jahren", kritisiert der Manager, "als die Preise sanken und die Netze immer schlechter wurden und die TK-Industrie vor dem Ruin stand."

In Deutschland sollen 420 Stellen wegfallen

Allerdings ist Combes Argumentation nicht ganz uneigennützig, denn im Zuge des "Shift-Plans" will er den Konzern in den nächsten drei Jahren umbauen und zu einer verbesserten Ertragskraft führen. Dabei will sich das Unternehmen vom TK-Generalisten zum fokussierten Spezialisten mit den Geschäftssegmenten IP-Technik (Core Networking), Ultra-Breitband (Mobilfunk- und Festnetzzugang) spowie Cloud-technologien wandeln. Im Zuge dieser Umstrukturierung wird sich der Konzern wohl auch von 10.000 Mitarbeitern trennen. Der CEO hält diesen Schritt für erforderlich, da der Konzern in den letzten Jahren zwar immer wieder regional umstrukturiert habe, aber nie global unter der Berücksichtigung der zahlreichen Übernahmen. "Alcatel-Lucent war nicht wettbewerbsfähig", lautet das harte Urteil des CEO mit Blick auf die Kosten. Ähnlich wie Ericsson oder NSN habe man zu teuer produziert. Hierzulande, das Unternehmen beschäftigt in Deutschland rund 3000 Mitarbeiter, sollen wohl 420 Stellen wegfallen.

1 Gbit/s per Telefonkabel

DSL mit 1 Gbit/s? Erschien das Vectoring mit 100 Mbit/s bereits als Quantensprung für das Kupferkabel, so übertragen Alcatel-Lucent-Forscher mit G.fast 1 Gbit/s per Telefonkabel.
DSL mit 1 Gbit/s? Erschien das Vectoring mit 100 Mbit/s bereits als Quantensprung für das Kupferkabel, so übertragen Alcatel-Lucent-Forscher mit G.fast 1 Gbit/s per Telefonkabel.
Foto: Alcatel-Lucent

Auf einen guten Weg sieht Combes den Konzern dagegen in Sachen Innovationskraft. So hat das Unternehmen etwa mit G.fast eine Technik entwickelt, um auf Telefonkabel über die letzten Meter Daten mit bis zu einem Gbit/s über Entfernungen von bis zu 100 Metern übertragen zu können. Damit konnten die Forscher im Vergleich zum DSL-Vectoring (100 Mbit/s) die Geschwindigkeit nochmals deutlich steigern. Glaubt man Alcatel-Lucent-Technikern, so kostet der Breitbandausbau mit G.fast lediglich ein Drittel im Vergleich zum Glasfaserausbau bis zum Gebäude. Nach eigenen Angaben konnte das Unternehmen bereits 2,5 Millionen Geräte mit dieser Technik absetzen. In Sachen Glasfasern arbeitet der Konzern an neuen Techniken, die im Transportnetz Geschwindigkeiten von bis zu 400 Gbit/s erlauben. Ferner sollen die eher statischen Glasfasernetze in Zeiten von SDN flexibler werden. Auf diese Weise könnten etwa Anwendungen optischen Bandbreiten schnell dynamisch zugewiesen werden. Oder für Großkunden wird auf einer Glasfaser ein eigenes virtuelles Netz eingerichtet. Anwendungsszenarien sind hier viele vorstellbar. Möglich wird dies durch neue adaptive Transponder, die den Bau von Wavelength-selctive Switches (WSS) erlauben.