Digitalisierung

RTL und das Fernsehproblem von morgen

06.03.2015
Noch funktioniert das RTL-Geschäftsmodell: Vor allem mit Fernsehwerbung verdient das Unternehmen nach wie vor Geld. Die Frage ist, wie lange noch? Kritiker fordern mehr Mut beim Sprung in die digitale Zukunft.

RTL-Chefin Anke Schäferkordt wischt mit dem Finger über ihren Tablet-PC. Die Quoten vom Vortag unterwegs abrufen, ein paar Klicks weiter mal eben in eine wichtige Sendung vom Vorabend reinschauen. Das iPad sei für sie ein ständiger Begleiter, sagt Schäferkordt. Auch um das RTL-Programm zu schauen, bräuchte sie kein TV-Gerät mehr.

Die Zuschauer machen es längst wie die Chefin von Deutschlands meistgesehenem Privatsender und nutzen neben dem Fernsehangebot der Sender, dem sogenannten linearen TV nach Uhrzeit und Tag gestaffelt, immer mehr Mediatheken, YouTube-Kanäle, Filme und Serien auf Abruf. Die Mediennutzung ist ausgefranst. Ist der Fernsehkonzern RTL darauf vorbereitet?

Mike Friedrichsen bezweifelt das. Er ist Medienökonom an der Hochschule der Medien in Stuttgart und baut gerade eine weitere Hochschule für Digitalmanagement in Luxemburg auf, wo auch RTL sitzt. Mit deutschen Medienkonzernen ist er - auch deshalb - in engem Kontakt.

"RTL ist noch in einer komfortablen Position: Die Werbeeinnahmen im Fernsehen sind noch sehr stabil, der enge gesetzliche Rahmen im TV-Markt hielt den Großen Wettbewerber vom Hals", sagt Friedrichsen. Heute kämen die Konkurrenten um Aufmerksamkeit der Nutzer und um Werbeeinnahmen aber nicht mehr unbedingt aus der klassischen TV-Branche. "Die neuen Wettbewerber heißen auch Google oder YouTube - und die haben deutlich mehr im Angebot als bewegte Bilder zu einer festen Sendezeit", sagt Friedrichsen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Christian Glowa von der Privatbank Hauck & Aufhäuser in Hamburg geht noch härter mit RTL ins Gericht. "RTL hat im Digitalbereich viele Trends verpennt. Sie hätten bei vielen Punkten viel früher auf den Zug aufspringen müssen", sagt der Börsenanalyst und Medienexperte.

Anke Schäferkordt kennt die Kritik. Auch RTL wolle im Internet Geld verdienen, aber sie schätzt die Verdienstmöglichkeiten der Fernsehwerbung. RTL fuhr lange gut damit. "Werbung wird noch für sehr, sehr lange Zeit die Haupteinkommensquelle sein - und wir sehen da sogar noch Wachstumspotenzial", sagt Schäferkordt.

In diesem Jahr ging das aber nach hinten los. Vor allem schrumpfende Reklameeinnahmen in Frankreich drückten 2014 den Umsatz unter das Vorjahresniveau. Das Problem an der TV-Werbung: Sie hängt stark von der Konjunktur ab. In schweren Zeiten streichen Firmen als erstes ihre Werbebudgets zusammen.

Analyst Glowa fragt sich deshalb, warum RTL nicht noch stärker in Geschäfte investiert, die unabhängiger von Werbung sind. ProSiebenSat.1 bezeichnet sich mit Maxdome als Marktführer bei Internet-Abo-Angeboten für Filme und Serien in Deutschland. "Bei dieser Medienmacht, die RTL mit seinen Sendern hat, verstehe ich die Zurückhaltung nicht", sagt Glowa.

Auch Schäferkordt hat sich darüber natürlich Gedanken gemacht. Sie fragt sich aber, ob ein deutsches Angebot den Kampf gegen Global Player wie Netflix, Amazon und Co. gewinnen kann. "Ich bin skeptisch, allein in das Geschäft von Netflix und anderen einzusteigen", sagt sie der dpa und der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX.

"Ich glaube bei Abo-Angeboten eher an Plattformen, auf denen möglichste viele Anbieter und Sender ihre Inhalte anbieten können - und die Kunden damit auf einer Plattform möglichst große Auswahl haben", erklärt Schäferkordt. "Und daran gäbe es durchaus Interesse."

Medienökonom Friedrichsen hält das alles für zu zögerlich. Seine Vermutung: RTL geht es noch zu gut. "Bevor ProSiebenSat.1 groß ins Digitalgeschäft einstieg, standen sie wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Axel Springer war angesichts der aufziehenden Print-Krise zum Umsteuern gezwungen", betont Friedrichsen. "Bei RTL ist der Leidensdruck, der Druck auf eine neue unternehmerische Idee, noch nicht groß genug." Die Gelegenheit könnte aber günstiger werden. Für 2015 rechnet RTL damit, dass Umsatz und Gewinn stagnieren. (dpa/tc)