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Roma und Sinti legen Berufung im Holocaust-Verfahren gegen IBM ein

12.06.2003

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Ein seit Februar 2002 anhängiges Verfahren von Roma und Sinti gegen die IBM in der Schweiz wegen finanzieller Forderungen im Zuge von Holocaust-Vergehen des Computerkonzerns ist in der ersten Instanz von einem Genfer Gericht abgewiesen worden. Genf sei nicht der zuständige Gerichtsort. Die Roma und Sinti haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Wie das Gypsy International Recognition Compensation Action (Girca) mitteilte, hatte das erstinstanzliche Gericht argumentiert, der Klageführer Girca habe nicht substantiiert belegen können, dass Genf der zuständige Gerichtsort für die Schadensersatzklagen der Vertreter der Roma und Sinti sei. Girca wird nun Ende des Monats Berufung bei der nächsthöheren Instanz einlegen.

Die Interessenvertretung der Roma und Sinti argumentiert demgegenüber, Big Blue habe in den 30er und 40er Jahren in Genf eine, allerdings nicht offiziell eingetragene, Niederlassung betrieben. Diese firmierte, so Girca, unter der Bezeichnung International Business Machines Corp. New York, European Headquarters. In der Klage geht es um Ausgleichszahlungen für Verbrechen, die die Nationalsozialisten an den Roma und Sinti begangen haben und in deren Ausführung IBM mit an die Nazis gelieferte Technik indirekt beteiligt war. Girca hat die Forderungen auf rund zwölf Milliarden Dollar festgesetzt.

Diese Argumentation nicht nur der Sinti und Roma, sondern auch jüdischer Interessenvertretungen, folgt der Diskussion, die der US-Schriftsteller und Journalist Edwin Black in seinem Buch "IBM and the Holocaust: The Strategic Alliance between Nazi Germany and America's Most Powerful Corporation" (auf Deutsch: "IBM und der Holocaust. Die Verstrickung des Weltkonzerns in die Verbrechen der Nazis", Propyläen-Verlag, Berlin) aufbrachte. Danach hat IBM das nationalsozialistische Deutsche Reich über ihre Tochtergesellschaft Dehomag in erheblichem Umfang mit Hollerith-Rechenmaschinen und Lochkarten beliefert. Aufgrund der großen Nachfrage war Deutschland in den 30er Jahren trotz des internationalen Boykotts der zweitgrößte Absatzmarkt IBMs.

Laut Autor Edwin Black, der bei seiner Arbeit von rund 100 Rechercheuren unterstützt wurde, haben es Hollerith-Rechenmaschinen und -Lochkarten der IBM-Tochter Dehomag den Bürokraten des Dritten Reichs ermöglicht, Krieg und Konzentrationslager in perfider Genauigkeit zu verwalten. Dadurch, so die Argumentation, waren Nazi-Statisiker in der Lage, Querverweise zwischen Namen, Adressen, Stammbäumen und Bankkonten zu erstellen. Diese Daten wurden Black zufolge für die systematische Verschleppung und Ermordung von Juden und anderen Minderheiten wie den Roma und Sinti eingesetzt. Der Autor macht deutlich, dass der Völkermord zwar auch ohne IBMs Rechenmaschinen stattgefunden hätte, Nazi-Bürokraten diese jedoch systematisch zum Aufbau "effizienter" Strukturen verwendet hätten.

Edwin Black, geboren in Chicago, wohnt heute meist in Washington, D.C. Black war zwei Jahre lang Korrespondent in Israel. Mit seinem Buch "The Transfer Agreement" über das umstrittene Abkommen, das die zionistische Führung in Palästina zur Rettung deutscher Juden 1933 mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich schloss, hatte Black bereits früher für Aufsehen gesorgt. Black ist zudem Fachmann für Computertechnik und Filmmusik. Außerdem betätigt er sich als Literat. (jm)