Roland-Berger-Studie zieht positive Bilanz Telearbeit: Hohe Akzeptanz und grosses Interesse in Unternehmen

22.12.1995

Von Michael Lerner*

Die grosse Mehrheit der deutschen Unternehmer will Telearbeit einfuehren, wie eine aktuelle Studie von Roland Berger zeigt. Allerdings mangelt es an Kenntnissen ueber die konkreten Anforderungen. Auch fuerchten die Chefs, das Problem der Fuehrung und Kontrolle nicht in den Griff zu bekommen.

In einer unlaengst durchgefuehrten Studie hat die Unternehmensberatung Roland Berger & Partner die Bedeutung, den Kenntnisstand und die Planungen deutscher Unternehmen untersucht. Die Ergebnisse der Studie sind angesichts mancher oft geaeusserter Vorbehalte verblueffend: Telearbeit hat bei deutschen Unternehmen und oeffentlichen Institutionen durchaus eine hohe Aktualitaet und Relevanz.

Ueber zwei Drittel der befragten Organisationen halten diese Arbeitsform fuer einen wichtigen Wettbewerbsfaktor der Zukunft. Der Kenntnisstand ist ebenfalls sehr hoch. So gut wie alle (96 Prozent) befragten Teilnehmer haben eine Definition von Telearbeit zur Hand oder eine konkrete Vorstellung davon, was sie bedeutet.

Vor dem Hintergrund sinkender Telekommunikations- und Technikkosten wird das wirtschaftliche Potential in den meisten Faellen erkannt. Da die staerksten Einfuehrungsimpulse sowohl vom Topmanagement als auch von den Mitarbeitern selbst ausgehen, besteht ein hohes Konsens- und Realisierungspotential.

Kenntnisse ueber konkrete Einfuehrungsschritte besitzen jedoch nur die wenigsten Unternehmen. Organisatorische, rechtliche und technische Huerden werden oft noch zum Anlass genommen, eine naehere Beschaeftigung mit dem Thema auf die lange Bank zu schieben.

Bei der weit ueberwiegenden Mehrzahl der Firmen (81 Prozent) steht Telearbeit zur Diskussion. Rund 60 Prozent davon messen ihr eine grosse Bedeutung bei, sei es, dass ihr Stellenwert als "hoch" beziehungsweise "zunehmend" bezeichnet wird, sei es, dass zur Zeit Untersuchungen oder ein Pilotprojekt durchgefuehrt werden oder dass eine Einfuehrung fest geplant ist.

Telearbeit erfolgt bisher hauptsaechlich in den zwei "klassischen" Formen Telekooperation (zwischen verschiedenen Niederlassungen) und Aussendienstanbindung. Gaengiges Einsatzfeld sind also bestehende Organisationsstrukturen, in denen die Interaktion und Kommunikation raeumlich verteilter Mitarbeiter eine wichtige Rolle spielt.

Fuer die Zukunft liegt im Bereich der Teleheimarbeit das groesste Potential: So sind bei ueber 30 Prozent der Unternehmen Massnahmen fuer eine Einfuehrung geplant. Dies wird mit Aenderungen von betrieblichen Ablaeufen und Strukturen einhergehen. Telecenter- Konzepte spielen dagegen - weit abgeschlagen - nur eine untergeordnete Rolle. Das von Unternehmensseite fehlende Interesse an dieser Telearbeitsform laesst die Erfolgsaussichten dieser in letzter Zeit von oeffentlicher Seite stark gefoerderten Einrichtungen bescheiden erscheinen.

Die haeufig vorgetragene Argumentation, dass solche Konzepte an den eigenen Mitarbeitern scheitern, laesst sich aufgrund der vorliegenden Studie nicht bestaetigen. Es zeigt sich aber auch, dass das mittlere Management, das bei der Telearbeit-Einfuehrung einen Image- und Machtverlust fuerchten koennte, mit besonderer Sorgfalt eingebunden werden muss. Das gleiche gilt fuer Gewerkschaftsvertreter, die moeglicherweise eine Aushoehlung von existierenden Sozialstrukturen fuerchten und daher den organisatorischen Wandel zu blockieren versuchen koennten.

Die guenstigsten Einsatzmoeglichkeiten und Erfolgspotentiale von Telearbeit werden darin gesehen, raeumlich getrennte Arbeitnehmer in betriebliche Prozesse verschiedener Bereiche einzubinden; es ist also vor allem das Flexibilisierungs-Argument, das fuer die Unternehmen zaehlt.

Erfolgspotentiale werden in erster Linie bei Vorgaengen erkannt, die in sich abgeschlossen sind und somit selbstaendig bearbeitet werden koennen sowie eine Fuehrung durch Zielvereinbarung ermoeglichen (oder durch organisatorische Massnahmen entsprechend gestaltet werden). Den Unternehmen sind offensichtlich die Chancen fuer eine Einfuehrung von Telearbeit bewusst, sie wissen aber gleichzeitig auch um die Grenzen der Anwendbarkeit des Konzepts.

Die mit Abstand groessten Hemmschwellen liegen im organisatorischen Bereich. Hierauf ist bei der Einfuehrung in Form ganzheitlicher Organisations-, Flexibilisierungs- und Strategiekonzepte ein besonderes Augenmerk zu richten. Das groesste Hindernis stellen, nicht ganz unerwartet, Fuehrungs- und Kontrollprobleme dar, die von ueber der Haelfte der Unternehmen genannt werden.

Erst an dritter Stelle stehen zusammen mit Kommunikationsproblemen technische Schwierigkeiten wie fehlende technologische Reife, Mangel an Standards und Kompatibilitaet, Engpaesse beim Netzzugang oder Maintenance-Probleme. Diese verlieren jedoch mehr und mehr an Bedeutung.

Technisch-organisatorische Einflussfaktoren werden mit Abstand als bedeutsamste fuer die Zukunft der Telearbeit angesehen. Leistungsfaehige und billigere Hardware, Software und Telekommunikations-Einrichtungen gelten als unerlaessliche Voraussetzungen fuer eine breite Einfuehrung von Telearbeit.

Hinsichtlich organisatorischer Gesichtspunkte wird vor allem stark zunehmende Prozessorientierung und das von Unternehmen wie von Mitarbeitern gleichermassen verfolgte Ziel der Flexibilisierung von Arbeitszeiten betont.

Der Trend geht zuralternierenden Telearbeit

Die im ersten Teil dieses Beitrags angesprochenen externen Einflussfaktoren wie oekologische Zwaenge scheinen dagegen noch nicht allzuweit ins Bewusstsein der unternehmerischen Entscheider vorgedrungen zu sein.

Die befragten Unternehmen rechnen in den naechsten fuenf Jahren mit einer stark zunehmenden Verbreitung von Telearbeit. Ueber 70 Prozent der Befragten vermuten, dass Teleworking derzeit nur in einigen beziehungsweise fast keinem Unternehmen der eigenen Branche vorkommt. Dagegen geht eine Mehrheit von einem breiten Einsatz in der jeweils eigenen Branche im Verlauf der naechsten fuenf Jahre aus.

Aus der Befragung wird eine Tendenz zu alternierender Telearbeit erkennbar, das heisst zu einer nur zeitweiligen Taetigkeitsausuebung ausserhalb des Bueros (Beispiel: zwei Buerotage und drei Tage Heimarbeit). Wo die Einfuehrung bereits erfolgt ist, beruhte das oft auf beiderseitigem Interesse von Mitarbeitern und Unternehmensleitung. Zwei Aspekte standen bei Unternehmen, die bereits Telearbeit praktizieren, besonders im Vordergrund:

- Bindung von Mitarbeitern samt deren Know-how an das Unternehmen. Dies spielte meist im Zusammenhang mit familiaeren Aspekten wie Erziehungsurlaub und Beaufsichtigung von Kleinkindern eine grosse Rolle.

- Zeitgruende. In diesem Zusammenhang wurden vor allem die Beschleunigung beziehungsweise Optimierung von Prozessen, verbunden mit kuerzeren Entwicklungs- und Markteinfuehrungszeitraeumen, schnellere und bessere Kommunikation und Informationsfluesse sowie Flexibilitaets-Gesichtspunkte genannt.

Die bisherigen Erfahrungen mit Telearbeit sind sehr gut: Kein Unternehmen zieht explizit eine negative Bilanz. Bei der ueberwiegenden Mehrzahl der Organisationen mit Telearbeits- Erfahrungen sind Akzeptanz und Interesse gross.

Telearbeit

Im ersten Teil dieses Beitrags (vgl. CW Nr.49 vom 15. Dezember 1995) nannte Michael Lerner die Voraussetzungen zur Einfuehrung von Telearbeit und ging auf den Nutzen ein, den diese Arbeitsform fuer Arbeitnehmer, Unternehmen und die Gesellschaft haben kann. Wie es um die Verbreitung von Teleworking steht, stellt der Autor in dieser Ausgabe anhand einer Roland-Berger-Studie vor.

*Michael Lerner ist Projekt-Manager bei Roland Berger & Partner in der Frankfurter Niederlassung.