Konstruktion & Fertigung / Ein akademisches Projekt auf dem Weg in die Fertigungsindustrie

Roboter nutzen CAD-Daten auch fuer flexible Bestueckung

12.02.1993

Die am Elbhochufer gelegene schleswig-holsteinische Kleinstadt Wedel duerfte eher dafuer bekannt sein, ueber einen der groessten Yachthaefen in Europa zu verfuegen. Daneben aber beherbergt sie auch eine staatlich anerkannte private Fachhochschule mit technischer Ausrichtung, die vor mehr als 40 Jahren aus einer physikalisch- technischen Lehranstalt hervorgegangen ist.

Die Fachhochschule bietet Studiengaenge zum Diplom-Informatiker beziehungsweise Diplom-Ingenieur in den Fachrichtungen Wirtschaftsinformatik, technische Informatik, physikalische Technik und seit 1991 in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurswesen an. Am Fachbereich Technische Informatik, der 1968 eingefuehrt wurde, bilden vier fest zugeordnete Professoren, weitere Professoren in Teilbereichen sowie acht Assistenten mittlerweile rund 400 Studenten aus.

Ein Kennzeichen der Fachhochschule ist anwendungsorientierte Forschung. Praxisnaehe des Studiums gilt ebenso viel wie die Vermittlung grundlegender Gesetzmaessigkeiten und Loesungsmethoden. So fuehrt man beispielsweise Untersuchungen fuer Industrieunternehmen durch, um Entwicklungen auf ihre technische und wirtschaftliche Machbarkeit hin zu pruefen. "Zu 90 Prozent entstehen die Diplomarbeiten unserer Studenten in enger Kooperation mit Industrieunternehmen", schaetzt Professor Dirk Harms.

Der Fachbereich Technische Informatik beschaeftigt sich beispielsweise unter anderem mit den Moeglichkeiten der Computertechnik in der Fertigung. Das umfasst den integrierten Rechnereinsatz vom Konstruktionsentwurf (CAD) ueber die Montage (CAM) bis hin zur Qualitaetssicherung der Produkte (CAQ). Wichtige Teilgebiete dieses Studienbereichs sind Robotik und Bildverarbeitung.

Steigende Anforderungen in der CIM-Ausbildung

Im Fruehjahr 1990 hat der Fachbereich Technische Informatik ein neues Labor fuer die Aufgabenbereiche Robotik, Bildverarbeitung und CIM-Anwendungen in Betrieb genommen. Damit trug man den staendig steigenden Anforderungen bezueglich der technischen Problematik des Themenkomplexes CIM innerhalb dieses Ausbildungsschwerpunkts Rechnung.

Hintergrund fuer die Neugestaltung des Labors war auch ein Studienprojekt, das in den letzten zwei Jahren in Zusammenarbeit mit IBM durchgefuehrt worden war. Thema des Projektes war die Problematik der robotergefuehrten Exotenbestueckung unter Verwendung von CAD-Basisdaten und intelligenter optischer Sensorik. Ausserdem sollte das Studienprojekt dazu beitragen, die fuer diese Laborumgebung benoetigte komplexe Infrastruktur moeglichst schnell auf ein hohes Niveau zu bringen.

Das neue Labor verfuegt ueber eine flexible Fertigungszelle mit zwei "Scara"-Robotern fuer die automatische Platinenbestueckung. Dabei dient der eine Roboter der Bestueckung von Platinen mit elektronischen Standardbauteilen, der andere hingegen wird fuer die Bestueckung mit sogenannten Exoten wie beispielsweise Relais oder Pneumatikschalter eingesetzt.

Des weiteren arbeitet man mit einem frei programmierbaren Sechs- Achsen-Roboter fuer flexible Handhabungsaufgaben und Forschungsvorhaben im Bereich Hand-Auge-Koordination sowie mit einem weiteren 6-Achsen-Roboter zur automatischen Maschinenbeschickung. Auch eine Drei-Achsen-CNC-Fraesmaschine mit automatischem Werkzeugwechsler und ein freiprogrammierbares Foerdersystem zur flexiblen Verbindung aller Komponenten zaehlen zur Laborausstattung.

Ein umfangreiches Netz verschiedener Rechner

Zwei Workstations RS/6000, die als uebergeordnete Labor- Leitrechner arbeiten, sowie vier IBM-6150-Systeme, die im wesentlichen fuer die CAD- und Robotik-Ausbildung der Studenten genutzt werden, bilden den Kern der Rechnerausstattung. Hinzu kommen noch verschiedene PCs fuer lokale Steueraufgaben sowie ein Transputernetz mit zwoelf Transputern fuer alle Bildverarbeitungsaufgaben.

Ueber Big Blue kam auch der Kontakt zum Hamburger Software- und Systemhaus Carus GmbH zustande. Dieses Unternehmen, ein langjaehriger IBM-Geschaeftspartner fuer RISC-Systeme und Spezialist fuer Systemverbindungen und Netzwerke, unterstuetzte die Fachhochschule bei der Installation im Labor. "Frueher hatten wir einzelne Systeme, zum Beispiel ein lokales PPS-System und lokale DOS-Systeme. Jetzt sind wir dem CIM-Gedanken durch ein offenes Betriebssystem, gemeinsame Software-Strukturen und durch die Integration der lokalen DOS-Anwendungen erheblich naeher gerueckt", beschreibt der fuer den Fachbereich und das Studienprojekt zustaendige Professor Wolfgang Uelzmann die neue Loesung.

Als Systemsoftware kommen IBMs Unix-Derivat AIX, AIX-Windows sowie C-Compiler zum Einsatz. Fuer CAD-Anwendungen nutzt man die CAD-Software "Catia" von IBM/Dassault in unterschiedlichen Ausstattungsvarianten. Fuer Catia entschied sich der Fachbereich, weil die Software die Anbindung an Robotic umsetzen kann und ebenso die Steuerung der CNC-Fraesmaschine erlaubt.

Als das Studienprojekt zur Problematik der Exotenbestueckung im Jahr 1990 startete, konzipierten die Beteiligten zwei Projektphasen, um zwei Teilaspekte zu bearbeiten, die beide in der Praxis von grosser Bedeutung sind: die automatische Ableitung der Einruestdaten fuer die Programmierung der Scara-Roboter aus den Werkstueckdaten der Exoten und die flexible Platinenbestueckung durch intelligente optische Sensorik.

Die Exotenbauteile und die fuer das Handling spezialisierten Greiferkomponenten der Roboterhaende sowie die Platine zur Bauteilaufnahme werden mit Catia konstruiert. Ein Postprozessor leitet aus den Catia-Daten die speziellen Informationen fuer das Bestuecken der Teile auf der Platine automatisch ab.

Bei diesem Postprozessor handelt es sich um eine Spezialentwicklung. Er ermittelt alle fuer die Bestueckung notwendigen Koordinaten und stellt sie einem Steuerprogramm fuer die Fertigungszelle zur Verfuegung. So konnte man sich den haeufig langwierigen und auch fehleranfaelligen "Teach-In"-Vorgang sparen, durch den der Bestueckungsroboter im Normalfall fuer jedes neu zu bestueckende Teil exakt eingerichtet werden muss.

Zusaetzlich integrierte das Labor in die Fertigungssteuerung intelligente optische Sensoren, also Kameras mit intelligenter Bildauswertung. Dadurch lassen sich beispielsweise fehlerhafte Teile oder Fehler in der Platine, auf der das Teil abgesetzt werden soll, fruehzeitig erkennen. Diese zusaetzliche Pruef- und Analysefunktion erhoeht die Zuverlaessigkeit flexibler Fertigungszellen im industriellen Einsatz.

Prozesssteuerung ueber ein Kommunikationsfenster

Fuer den Laborbereich entstand ein intelligentes Netzwerk, ueber das alle Einheiten durch eine spezielle Token-Ring-Prozedur miteinander kommunizieren koennen. Die Ankoppelung an die verschiedenen Steuerrechner erfolgt dabei wahlweise ueber serielle Schnittstellen oder ueber schnelle Transputer-Links. Das gesamte System ist vollstaendig ueber die Leitrechnersoftware konfigurierbar und erreicht eine Datenrate von zwei Megabyte pro Sekunde. Eine Benutzeroberflaeche unter X-Windows bildet die Steuerablaeufe fuer alle Maschinen im gesamten Laborbereich als Benutzerprozesse auf dem aktiven Leitrechner ab.

So laesst sich jeder technische Prozess vom Leitrechner aus ueber ein eigenes Kommunikationsfenster steuern und analysieren. Das gilt auch fuer die komplexen Ablaeufe der Roboter-Offline-Programmierung und der Roboter-Grafik-Simulation. Fuer die Zukunft plant die Fachhochschule Wedel einen Ausbau der Grafik des Leitrechners. Weitere Anforderungen sieht man auch in den Gebieten CASE- Anwendungen und Circuit-Design.

"Wir sind heute in der Lage, im Rahmen von Technologie-Transfer- Massnahmen mit kleinen und mittleren Industrie-unternehmen bei der Konzeption, Planung und technischen Umsetzung von intelligent realisierten Fertigungsaufgaben, wie der robotergefuehrten Exotenbestueckung oder der Problematik der Technischen Bildverarbeitung, beratend und unterstuetzend zusammenzuarbeiten", charakterisiert Dr. Uelzmann das neue Aufgabenspektrum seines Labors.

*Anne Christina Remus ist selbstaendige Beraterin im Unternehmen Marketing-Team, Gruenwald.