Versicherungen scheuen Spezialpolicen

Risikofaktor Softwarepatentierung

22.03.2002
MÜNCHEN (ajf) - Es gilt als sicher, dass Softwarepatente in der EU eingeführt werden. Mit dem Risiko, das Rad neu zu erfinden und gegen das Schutzrecht zu verstoßen, müssen Entwickler und Softwarehäuser allerdings allein fertig werden: Adäquate Patentversicherungen sind hierzulande Mangelware.

Vor rund einem Monat hat die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf zum Thema "Softwarepatente" veröffentlicht. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Kompromiss, der keine Seite - weder die Patentbefürworter noch deren Gegner - richtig zufrieden stellt. Ein Schutzrecht für Programme "als solche" sowie für Geschäftsprozesse auf Softwarebasis wie in den USA soll es in Europa nicht geben; allerdings wird es generell möglich sein, Software durch Patente zu schützen. Diese muss direkt mit einer technischen Anwendung verknüpft, also "computerimplementiert" sein, damit sie den Schutz anstreben kann.

Kaum ist der Entwurf verdaut, üben die Interessengruppen bereits Druck auf die Entscheidungsträger aus. Laut einer Stellungnahme des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) gehe die EU-Richtlinie nicht weit genug. Die Einführung eines umfassenden Patentschutzes für Software sei längst überfällig, heißt es, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas sicherzustellen. Man müsse Programme "von ihren diskriminierenden Fesseln" lösen: Der ZVEI fordert Patente explizit auch für Software "als solche", also ohne Bezug auf die Hardware.

Auch das Bundestagsmitglied Jörg Tauss hat die Justizministerin Herta Däubler-Gmelin in einem Brief aufgefordert, den EU-Richtlinienentwurf in seiner jetzigen Form nicht durchgehen zu lassen - allerdings aus anderen Beweggründen: Das Europäische Patentamt (EPA) habe laut Tauss bereits eine "Unmenge fraglicher Patente erteilt"; es sei nicht angemessen, auf Basis einer Fehlentwicklung "mit einem Federstrich" im Nachhinein Rechtssicherheit herstellen zu wollen, so sein Argument.

500 Softwarepatente pro JahrIn der Tat sind in Europa in den vergangenen Jahren bereits Tausende von Schutzrechten erteilt worden, die sich in ihrem Kern um Programme drehen. Nach der neuesten Statistik des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) erteilte die Behörde im Jahr 2001 rund 500 Patente "für softwarebezogene Erfindungen". Dabei wurden Ausprägungen der Quelltexte nicht berücksichtigt, diese fallen nach wie vor unter das Urheberrecht. Das Beispiel des DPMA: Eine Textverarbeitung "als solche" ist nicht patentierbar, Merkmale zur Steuerung des Programms wie etwa die Änderung der Seitengröße per Mausklick hingegen schon.

Befürworter der Schutzrechte argumentieren mit der Innovationskraft, die von Patenten ausgeht: Weil es bereits eine Lösung für ein Problem gebe, müssten andere Entwickler mit dem gleichen Ziel einen neuen Weg finden - oder sie zahlen Lizenzgebühren. Kritiker, allen voran die Open-Source-Gemeinde, befürchten einen großen administrativen Overhead und dadurch höhere Kosten. Schließlich müssen Patentexperten beschäftigt und bezahlt werden, was sich die freien Programmierer nicht leisten könnten. Zudem bleibe die Gefahr groß, unwissentlich fremde Schutzrechte zu verletzen.

Dass Softwarepatente unkalkulierbare Risiken bergen, wird durch die Angebote der Versicherungskonzerne deutlich: "Wir versichern keine einzelnen Patente, sondern das Unternehmen mit seinem gesamten Patentportfolio", meint Robert Ebel, Underwriter der Axa Versicherung AG. Mit ihrem Angebot, dass sich auch auf Softwarepatente erstreckt, sind die Kölner fast schon eine Ausnahme im Markt, denn der Service wird auch kleineren Firmen und Technologiezentren angeboten.

Police für Kläger und BeklagteFür Freiberufler und Open-Source-Programmierer kommt die Police allerdings auch nur in Ausnahmefällen in Frage, denn die Mindestprämie liegt bei 6000 Euro im Jahr. Darin enthalten sind eine Rechtsschutz- sowie eine Haftpflichtversicherung - falls man klagen will oder selbst verklagt wird. Allerdings lasse sich die Prämie nicht über den Daumen kalkulieren, so Ebel, denn es gebe von Fall zu Fall Unterschiede. Zudem müssen die Versicherten weiterhin dafür Sorge tragen, dass sie die Rechte Dritter nicht verletzen: "Eine Versicherung bedeutet nicht, dass das Risiko entfällt", weist Ebel auf die Pflicht zur Patentrecherche hin.

Die Brisanz der Softwarepatentierung verdeutlicht auch das Angebot der Allianz AG: Eine Haftpflichtversicherung für Patente aller Art wird nur großen Konzernen angeboten, beispielsweise aus der Pharma- oder der Hightech-Industrie. Kleineren und mittleren sowie explizit Softwareunternehmen steht die Police jedoch nicht zur Verfügung. Weitere Angaben zu dem Produkt wollte der Münchner Konzern nicht machen, weder zu den Kosten noch zur Strategie gegenüber Softwarepatenten. Ähnlich zurückhaltend nimmt sich das Angebot der Gerling-Versicherung aus: Das Risiko durch Softwarepatente lasse sich derzeit noch nicht kalkulieren, daher würden derartige Versicherungen auch nicht angeboten, heißt es.

Guido Funke, Chef der Risqon Underwriting GmbH, sieht in Softwarepatenten ein "reales Risiko" für kleine Softwarehäuser. Das Unternehmen aus Bergisch Gladbach bewertet Spezialrisiken für Versicherungskonzerne und beschäftigt sich auch mit dem Thema Softwarepatentierung. Reine Patentversicherungen würden gegenwärtig so gut wie keine angeboten, schätzt Funke den Markt ein.

Besonders deutlich wird die Gefahr für Freiberufler und kleine Softwarefirmen anhand der Unterschiede des bislang für Programme geltenden Urheberrechts und einem Patent: In letzterem Fall wird in Prozessen fast immer ein Verschulden des vermeintlichen Patentverletzers unterstellt. Der Grund hierfür liegt darin, dass Patente jederzeit zumindest theoretisch recherchierbar sind, was der Natur dieses Schutzrechts entspricht. Man hätte ja nachsehen können, so der gängige Vorwurf. Im Urheberrecht muss hingegen dem Beklagten nachgewiesen werden, dass er fahrlässig fremde Rechte verletzt hat. "Die Möglichkeiten, sich bei einer Patentklage zu entlasten, sind relativ gering und wesentlich schwieriger als im Urheberrecht", beurteilt Funke die Situation.

Patentprozesse werden teurerZudem geht der Risqon-Chef davon aus, dass die Zahl der Prozesse und der Bedarf an anwaltlicher Beratung zunehmen werden, wenn die Softwarepatente einmal den offiziellen Segen haben. Es sei wesentlich leicher, jemanden aufgrund eines Patents zu verklagen, als wenn man sich lediglich auf das Urheberrecht stütze. Auch ist hier laut Funke bei Patent- und Markenklagen der Regelstreitwert höher, weshalb die Anwalts- und Gerichtskosten für Softwerker steigen werden.

Öffentliche Bekenntnisse für und wider Patente sind angesichts der rechtlichen Brisanz auch bei großen Softwarekonzernen Mangelware: "Für eine Entwicklungseinschätzung in Sachen EU-Richtlinie ist es derzeit noch zu früh", schreibt etwa die SAP AG auf Anfrage. Außerdem gebe der Konzern keine Auskunft, ob er das Instrument einer Patenthaftpflichtversicherung nutze oder nicht.

Entwickler und kleine Softwarehäuser können im Rahmen ihrer normalen Berufshaftpflicht versuchen, auch Patente abzudecken. Allerdings schließt nur ein kleiner Teil der Versicherungen dies auch mit ein - nicht zuletzt, weil die Versicherer internationale Prozesse und die damit verbundenen Kosten scheuen. Für die USA, das Mutterland der Softwarepatente, gelten aber auch diese Schutzbriefe allesamt nicht - das Risiko ist hier einfach unkalkulierbar hoch.

LinksUnter www.cowo.de finden Sie Links zur EU-Richtlinie, zum Patentamt sowie zum Tauss-Brief.