Erneut Spekulationen um T-Systems

Ricke verordnet der Telekom eine Rosskur

22.11.2002
BONN (gh) - Der neue Vorstandschef der Telekom, Kai-Uwe Ricke, hat einen radikalen Umbau des Konzerns angekündigt. Angesichts eines in der deutschen Wirtschaftsgeschichte beispiellosen Neunmonatsverlustes von 24,5 Milliarden Euro will er den Vorstand verschlanken und die vier operativen Sparten stärken.

Der neue Frontmann des Bonner Carriers nutzte vergangene Woche bei seinem ersten offiziellen Auftritt die Gunst der Stunde, um reinen Tisch zu machen. Mit den Worten "Die Lage ist ernst. Unsere Zukunft heißt konsequente Entschuldung und organisches Wachstum. Wir müssen unsere Handlungsfähigkeit wiedergewinnen", leitete Ricke vor Journalisten in Bonn eine Art Blut-, Schweiß- und-Tränen-Rede ein. Zuvor hatte der seit Juli amtierende Interims-Vorstandsvorsitzende Helmut Sihler die Ära Ron Sommer nicht nur mit der Vorstellung Rickes als neuen Telekom-Chef beendet, sondern vor allem auch mit einem radikalen Schnitt in der Konzernbilanz. Denn mit einem Rekordverlust von 24,5 Milliarden Euro infolge hoher Wertberichtigungen - 20,3 Milliarden Euro allein bei der US-amerikanischen Mobilfunktochter Voicestream beziehungsweise für den Erwerb von Mobilfunklizenzen in den USA - wurden in der aktuellen Neunmonatsbilanz wesentliche Altlasten bereinigt. Immerhin verbesserte die Telekom den Umsatz in den ersten neun Monaten 2002 gegenüber dem Vorjahr um zwölf Prozent von 35 auf 39,2 Milliarden Euro. Der Gewinn vor Steuern und Abschreibungen (Ebitda) kletterte um 5,6 Prozent von 11,3 auf zwölf Milliarden Euro.

Ricke machte bei seinen weiteren Ausführungen ohne Umschweife klar, dass er mit großem Tempo einen Umbau des Konzerns angehen wird: "Die Überprüfung der Strategie ist abgeschlossen. Wir müssen jetzt machen." Neben der Reduzierung der Schulden von derzeit 64,2 auf 50 Milliarden Euro bis Ende 2003, der auch mit dem Abbau von rund 55000 weiteren Stellen einhergeht, soll sich das Unternehmen marktnäher und profitabler aufstellen. "Der Markt bestimmt, nicht die Zentrale", so Ricke. Die momentane Grundstruktur des Unternehmens, die auf seinen Vorgänger Sommer zurückgeht, stellte der 41-jährige Telekom-Lenker dabei jedoch nicht zur Disposition. Danach bleibt das Geschäft in die vier Sparten Festnetz (T-Com), Mobilfunk (T-Mobile), IT-Services (T-Systems) sowie T-Online gegliedert. Die einzelnen Business Units werden noch mehr operative Verantwortung erhalten, während die Konzernholding, also der Vorstand, verschlankt werden soll. Zu weiteren Details nahm Ricke keine Stellung. Glaubt man unternehmensnahen Quellen, müssen die Vorstandsmitglieder Max Hirschberger (Strategie und Recht), Jeffrey Hedberg (Internationales) und Heinz Klinkhammer (Personal) um ihre Posten bangen, während der Chef von T-Systems, Christian Hufnagl, angeblich in das oberste Führungsgremium aufrücken soll.

Ungeachtet dessen will Ricke offenbar auch bei der Konzernsparte T-Systems Tabula rasa machen. Das Marktsegment für internationale Geschäftskunden befinde sich, so der neue Telekom-Chef, sowohl bei IT- als auch TK-Services in "substanziellen konjunkturellen Schwierigkeiten". Trotz einer "relativ stabilen Marktposition" erscheine die weitergehende Internationalisierung beider Bereiche zwingend notwendig. Dies sei jedoch derzeit aufgrund der finanziellen Situation "aus eigener Kraft" nicht möglich. Deshalb sei man offen für einen "Partnering-Ansatz" im Bereich IT-Services. Ricke sprach in diesem Zusammenhang vor allem vom Systemintegrations- und Hosting-Geschäft; Insider wollen auch von einem bevorstehenden Verkauf der T-Systems-Unit "Desktop-Services" wissen. Tatsache dürfte in jedem Fall sein, dass sich die Telekom über kurz oder lang bei großen Teilen der vom Debis Systemhaus übernommenen Aktivitäten nur noch mit der Rolle eines Juniorpartners zufrieden geben wird.

Keinesfalls zurückziehen wollen sich die Bonner indes von ihrem Engagement im US-amerikanischen Mobilfunkmarkt - trotz oder gerade wegen der milliardenschweren Abschreibungen auf die US-Tochter Voicestream. Die vorgenommenen Wertberichtigungen, mit denen man auch aktuellen Marktprognosen Rechnung getragen habe, seien die Voraussetzung dafür, dass Voicestream in Zukunft "den Wert schlechthin" in der Telekom-Bilanz darstellen werde, betonte Ricke.

An Voicestream wird festgehalten

Man setze deshalb "die erfolgreiche Wachstumsstrategie" zunächst alleine fort, hieß es in Anspielung auf die Tatsache, dass Voicestream derzeit von allen sechs Mobilfunkgesellschaften in den Vereinigten Staaten am schnellsten zulegt. Das Ziel, am Jahresende auf neun Millionen Kunden in den USA zu kommen und demnächst operativ schwarze Zahlen zu schreiben, rücke in greifbare Nähe. Zurückhaltend äußerte sich Ricke zu den seit Wochen kursierenden Spekulationen, wonach bereits über eine Fusion mit AT&T Wireless oder Cingular Wireless verhandelt wird: "Ich bin für einen Merger aufgeschlossen, aber er muss den Wert dieses stark wachsenden Unternehmens widerspiegeln. "