Auch Anwender bedienen sich der Marktforschung, aber Vorsicht:

Restwertprognosen sind kein Alibi für Fehlentscheidungen

28.04.1989

Weit über 70 Prozent aller Großrechner, so die Marktforschungsgesellschaft IDC, finden über Leasingverträge den Weg zum Kunden. Eine entscheidende Größe für beide Vertragspartner ist der Wert, den das Equipment nach Ablauf des Vertrags voraussichtlich noch haben wird, denn danach richtet sich unter anderem die monatliche Rate. Michael Gehlsen, bei der IDC in Kronberg für Anwender-Services zuständig, beschreibt die Faktoren, von denen Restwerte abhängen.

Bei der Anschaffung einer neuen DV-Anlage stellt der Restwert des Altsystems einen wichtigen Faktor für die Ablöseentscheidung dar, weil er das Budget für die Neuinvestition wesentlich beeinflußt. Dabei sind die steuerlichen Abschreibungen als Maßstab ungeeignet, da sie von der tatsächlichen Restwertentwicklung völlig abgekoppelt sind. Jeder Anwender, der sein Anlagevermögen einer realitätsbezogenen Bewertung unterziehen will, benötigt Analysen der tatsächlichen Restwerte. Den Marktwert von DV-Systemen einschätzen zu können, hat eine Reihe von Vorteilen.

Steuerliche Abschreibungen sind als Maßstab ungeeignet

Zum einen erlaubt es dem Anwender, seine Rechner zum finanziell günstigsten Zeitpunkt anzuschaffen beziehungsweise abzustoßen. Zudem gibt es ihm Transparenz über diesen Teil seines Anlagevermögens oder auch des Anlagevermögens anderer Firmen - etwa bei Unternehmensübernahmen. Nicht zuletzt zahlen sich Kenntnisse über den Restwert von DV-Systemen für den Anwender auch bei Verhandlungen mit Herstellern, Leasinggesellschaften und Versicherungen aus. Die Nutzer von Restwertanalysen sind daher nicht nur DV-Anwender, sondern auch Lessinggesellschaften, Banken, Versicherungen und DV-Hersteller. Die Abteilungen, die sich in den Unternehmen mit Restwerten befassen, sind in erster Linie DV/Org., Finanzen, Controlling und Revision.

Natürlich kann jedes Unternehmen - ob Anwender oder Hersteller - versuchen, den Marktwert seines DV-Equipments auf eigene Faust zu bestimmen. Mag dies bei Ist-Analysen hin und wieder noch zu vernünftigen Annahmen führen, so ist die Fehleinschätzung bei Restwertprognosen zumeist schon programmiert. Die Gründe liegen auf der Hand: Die meisten Unternehmen verfügen schlichtweg nicht über das notwendige Fachpersonal. Eine Analyse, die "nebenher" von Mitarbeitern mit anderem Verantwortungsbereich erstellt wird, ist selten das Papier wert, auf dem sie steht. Der Aufbau einer auf Restwerte spezialisierten Marktforschungsgruppe ist jedoch für die Unternehmen unwirtschaftlich. Selbst große DV-Hersteller ziehen für diese Fragen externe Spezialisten zu Rate.

Nun gibt es nur ganz wenige Marktforschungsinstitute, die sich auf Restwertprognosen einlassen. Der Grund: Nur jahrzehntelange Erfahrung, funktionierende Kontakte, ein weltweites Kommunikationsnetz mit den richtigen Informationen zur richtigen Zeit und vor allem die korrekte Interpretation führen zu aussagefähigen Restwertanalysen, die von Kapitalgebern, Herstellern, dem Handel und den Anwendern gleichermaßen anerkannt werden.

Für Restwertanalysen und Prognosen bedient sich IDC, eine Gesellschaft der weltweit tätigen International Data Group, Modellrechnungen, die über Jahre hinweg entwickelt wurden und künftig immer mehr verfeinert werden. Die Grundlagen für diese Modelle sind vielfältig:

- kontinuierliche Beobachtung des Gebrauchtcomputermarktes,

- jährliche Befragung der IBM-Anwender über ihre Pläne für Systemveränderungen (IBM Migration Study),

- Spotmarkt-Untersuchungen über gegenwärtige Marktpreise,

- Auswertung von Produktinformationen und Verkaufslisten der Anbieter,

- Analysen über Produkte und Markttrends,

- Auswertung von eigenen Daten über Computerinstallationen.

Diese Informationen stellen die Basis für die Ermittlung von DV-Restwerten dar. Die Entwicklung der Restwerte auf der Zeitachse hängt ab von Faktoren wie Produktlebenszyklen, Verfügbarkeit von Ersatzsystemen, Preispolitik des Hestellers, Prozessoreigenschaften und nicht zuletzt der Nachfrage nach gebrauchten Computern.

Der "Life Cycle" eines Produkts ist gekennzeichnet durch die Phasen Einführung, Wachstum, Reife und Niedergang. Während bei der Einführung Verzögerungen durch mangelnde Produktionskapazitäten, technische Probleme und hohe Produktkosten im Vordergrund stehen, ist die Wachstumsphase von Qualitätsverbesserungen, neuen Leistungsmerkmalen und der Entwicklung neuer Marktsegmente charakterisiert. In der Reifezeit - der längsten Phase im Produktlebenszyklus - kommt es zu einer sinkenden Nachfrage; die Preise fallen bei zunehmendem Absatz des Folgeprodukts. In der Niedergangsphase erlebt ein Produkt nach substantiellen Absatzrückgängen sein Vermarktungsende.

Will man die Ankündigungen etwa von Herstellern richtig einschätzen so darf man sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen lassen. Ein geringes Absatzwachstum für ein Produkt kann ebensogut von mangelnden Produktionskapazitäten des Herstellers wie von einer schwindenden Nachfrage zeugen. Die Folgen einer solchen Fehleinschätzung für eine Restwertprognose sind leicht vorstellbar.

Fünf bis sieben Jahre sind im Mainframe-Bereich traditionelle Zeitspannen zwischen dem Erscheinen zweier Modellreihen. Wer diese Faustregel heute noch anwendet, kommt allerdings kaum zu realitätsgerechten Restwertanalysen. Der Grund: Der Trend zum Einsatz vernetzter Ressourcesysteme anstelle herkömmlicher Mainframe-Konfigurationen hat zusammen mit anderen Entwicklungen Druck auf die Mainframer ausgeübt, allen voran auf IBM. Die Anbieter der Großanlagen reagieren mit einem sich beschleunigenden Innovationstempo, das in den kommenden Jahren noch zunehmen wird. Die Verfügbarkeit von Nachfolgemodellen ist übrigens einer der besonders kritischen Punkte bei der Erstellung von Restwertprognosen.

Die Preis- und Produktpolitik der IBM hat größten Einfluß auf Angebot und Nachfrage auf dem Markt der Gebrauchtmaschinen. Preisreduzierungen gegen Ende der Wachstumsphase im Produktlebenszyklus um 20 bis 30 Prozent sind traditionell üblich. Heute liegt der Abschlag allerdings eher bei 15 bis 20 Prozent.

Eine typische Auswirkung des Preisverfalls ist der Wechsel von der Miet- oder Leasingbasis zum Kauf des Produktes. Das ist ein nützlicher Effekt für den Hersteller, da es seinen Cash-flow erhöht und somit der Finanzierung des Nachfolgeproduktes dient. Der Kunde beschleunigt somit mit seinem Verhalten indirekt den Wertverfall seiner eigenen Anlage.

Liefertermine, Produktionsstatus, Hardwarewartung und Softwaresupport sind wesentliche preisbeeinflussende Faktoren. So kann etwa eine besonders lange Einführungsphase den Lebenszyklus eines Systems durchaus verlängern. Eine die Auslieferungsmöglichkeiten übersteigende Nachfrage zieht in diesem Fall oftmals zunächst Preisaufschläge nach sich.

Auch die Wartung der Hardware und Software ist ein wichtiger preisbestimmender Faktor für den Second-hand-Markt. Die durch gebrauchte Maschinen hervorgerufene Servicelücke wird dabei zunehmend von unabhängigen Serviceunternehmen abgedeckt, die ihre Leistungen deutlich kostengünstiger als die Hersteller anbieten.

Faustregeln gehen an der Realität vorbei

Wenn man berücksichtigt, daß die Restwerte von Computern weniger vom Lebensalter als von der technischen Ausstattung abhängen, wird klar, wie wichtig ein standardisierter Leistungsmaßstab ist. IDC hat daher eine CPU-Meßlatte für die Performance von IBM- und PCM-Mainframes entwickelt. Sie basiert auf den Ergebnissen kontinuierlicher Untersuchungen und wird jeweils neuen Erfordernissen angepaßt.

Der Grad der Kompatibilität ist ein weiterer Bewertungsfaktor. Begrenzte Kompatibilität bedeutet in den meisten Fällen eine niedrige Bewertung auf dem Sekundärmarkt, während Kompatibilität mit den Standards den Markt vergrößert und somit höhere Preise zuläßt.

Die Nachfrage nach Gebrauchtmaschinen verhält sich seit Jahren ungefähr gleich wie die nach Neugeräten. Hieran dürfte sich auch künftig wenig ändern. Es bedarf fast immer eines neuen Systems, bevor ein gebrauchtes abgestoßen werden kann. Dennoch waren hier im Laufe der Jahre gewisse systematische Schwankungen zu beobachten, die für die Bestimmung von künftigen Restwerten zu berücksichtigen sind.

Die Ergebnisse von Marktforschung dienen übrigens vor allem der Orientierung am Markt, als Entscheidungshilfe bei anstehenden Investitionen oder zur Absicherung eigener Erkenntnisse. In keinem Fall können die Resultate und Einschätzungen von Experten den eigenen Sachverstand ersetzen. Restwertprognosen liefern also kein Alibi für Fehlentscheidungen. Allerdings: Richtige Entscheidungen, die auf diesen Werten basieren, sind ebenfalls dem jeweiligen Entscheidungsträger zuzuordnen.