Relationale Datenbanken stossen an ihre Grenzen Objektmodell bildet die Basis fuer Dokumenten-Management

04.02.1994

Die Zeit der Aktenordner ist zwar noch lange nicht zu Ende, aber die Forderung nach einer Reduzierung der Papierflut wird immer lauter. Die Loesung waere in einem effektiven Dokumenten-Management- System zu suchen. Ein relationales Datenbanksystem kann dieser Aufgabe allerdings nicht gerecht werden. Dieter Voigt* sieht die Alternative in einer Hybridform aus objektorientiertem Modell, regelbasiertem System und SQL-Schnittstelle.

Die Zeit der genialen Erfinder, denen zum Festhalten ihrer Inspirationen eine Papierserviette genuegte, ist - von wenigen Ausnahmen abgesehen - passe. Die Kellerwerkstatt oder die stille Studierstube haben High-Tech-Laboren und F+E-Abteilungen mit riesigen Staeben von Wissenschaftlern und Konstrukteuren Platz gemacht. Das fuehrte zur Arbeitsteilung bei Forschung und Entwicklung, brachte aber auch erhebliche Kommunikationsprobleme mit sich.

Mit zunehmender Komplexitaet der technischen Entwicklungen waechst das Problem der Dokumentenverwaltung. Bedingt durch die oekonomisch sinnvolle Politik einer Weiterentwicklung bestehender Systeme (man denke nur an die Typenvielfalt in der Autoindustrie) stellt sich zunehmend die Frage nach der Wiederverwendbarkeit bereits vorhandener Dokumentationen beziehungsweise nach den Moeglichkeiten fuer deren Aenderungen. Andererseits wird oft, nicht zuletzt in Verkauf und Kundendienst, das Rad der technischen Informationen zum x-ten Male neu erfunden.

Die Notwendigkeit, eine einwandfreie Beschaffenheit der Erzeugnisse nachzuweisen - im Rahmen der Produkthaftung, der Schulung des Verkaufs-, Wartungs- und Bedienungspersonals sowie der restriktiven Vorschriften im europaeischen Markt - traegt das Ihrige dazu bei, die Papierflut ueberproportional anwachsen zu lassen. Vor dem Hintergrund immer aufwendigerer und umfangreicherer Entwicklungsvorhaben bei gleichzeitig verkuerzter Lebensdauer der Produkte erhaelt dieses Phaenomen eine zusaetzliche Dimension.

Ein Ausweg aus dieser Misere wurde schon frueh im Einsatz elektronischer Datenbanken gesucht. Insbesondere die relationalen Datenbanksysteme versprachen die Loesung: Ueber standardisierte Datenbank-Management-Systeme ist es moeglich, grosse Datenmengen automatisiert zu speichern, zu ordnen und verfuegbar zu machen.

Das funktioniert in vielen Faellen auch hervorragend. So lassen sich Buchhaltungen, Lagerbestaende, aber auch grundlegende Informationen fuer Wissenschaft und Gesellschaft aus unternehmenseigenen oder allgemein zugaenglichen Datenbanken abrufen, aendern und wieder ablegen. Lokale und weltweite Netze haben am Siegeszug dieser Technologie grossen Anteil.

Bald zeigten sich aber auch hier die Grenzen: Eine der Einschraenkungen der relationalen Datenbanktechnologie bedeuten die vorwiegend zweidimensionalen Beziehungen (Relationen), in denen Ablage- und Suchvorgaenge ablaufen. Bei komplexen Beziehungsgeflechten und einer grossen Zahl unterschiedlichster Datenarten (Texte, Kalkulationen, Zeichnungen, Bilder etc.) stoesst der Anwender sehr schnell auf Hindernisse - selbst dann, wenn er bei der Anpassung seiner Datenbank mitgewirkt hat.

Einen weiteren Schritt wuerde es bedeuten, Informationen aus unterschiedlichen Aufgabengebieten zu integrieren, die mit verschiedenen Dokumentationstechniken abgelegt wurden. Dieser Versuch fuehrt jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten fuer Entwickler und Anwender.

Da die relationalen Systeme in bezug auf Bedienung und Suchfunktionen wenig benutzerfreundlich sind, nimmt die Akzeptanz beim Anwender in der Praxis bald rapide ab. Er muesste sich Spezialkenntnisse aneignen, um dieses Manko einigermassen zu ueberwinden. Auch dem Ausbau des Systems stellen sich Huerden in den Weg. Dass bei der Datenmodellierung ein hoher Abstraktionsgrad gefordert ist, geht zu Lasten einer Abbildung der realen Welt und wirft zudem Performance-Probleme auf.

Aber auch im System selbst treten Schwaechen auf. Neben hohem Entwicklungsaufwand sowie aufwendiger Datenmodellierung und - strukturierung besteht die Gefahr von Inkonsistenzen im Gesamtsystem, die letztlich zu mangelhaften oder falschen Antworten fuehren koennen. Schliesslich gibt es auch negative Auswirkungen auf die Hardware: Bedingt durch unvermeidliche Redundanzen steigt der Speicherplatzbedarf ueberproportional an.

Parallel nutzen und direkt weiterverarbeiten

Es ist also eine andere Art von Datenbanksystem notwendig - eines, das diese Grenzen auf lange Sicht ueberwinden kann. Um eine solche Loesung zu finden, gilt es zuerst einmal, deren Aufgaben und Anforderungen zu definieren: Das System muss sich beispielsweise fuer die Dokumentation komplexer, hochwertiger Wirtschaftsgueter eignen, und es sollte fuer diese Wirtschaftsgueter alle Aspekte moderner Logistik beruecksichtigen.

Insbesondere ist eine parallele Nutzung und unmittelbare Weiterverarbeitung von Informationen durch Entwicklungsabteilung, Vertrieb, Kundendienst, Schulung, Einkauf und andere relevante Unternehmensbereiche zu gewaehrleisten.

Weitere Anforderungen reichen bis hin zur Verifikation von Sicherheitsvorschriften fuer Krisen- und Katastrophen-Management. Dabei sollte auf einen zentral gehaltenen, redundanzfreien und transparenten Datenbestand zugegriffen werden, in dem alle fuer das Unternehmen wichtigen Daten abgelegt sind. Ueberdies muss das System auch von wenig geuebten DV-Nutzern bedient werden koennen. Dabei duerfen allerdings sicherheitskritische Daten, zum Beispiel Personalunterlagen, Bilanzen, Geschaeftsberichte und Management- Daten, nicht allgemein zugaenglich sein.

Ein moeglicher Ansatz waere hier ein in das Datenbanksystem integriertes regelbasierenden Expertensystem. Dem Benutzer stuende so eine Hilfe zur Verfuegung, um sich in der abstrakten Welt der Datenbanken zurechtzufinden und auch schwer zugaengliche Informationen ausfindig zu machen. Zudem koennte er auf Dokumente zugreifen, die nicht nach ueblichen Identifizierungsmethoden beschrieben sind. Doch lassen sich mit diesem Loesungsansatz nur die Symptome kurieren; die Wurzeln des Uebels bleiben unberuehrt.

Diesen Nachteil ueberwindet hingegen ein objektorientierter Ansatz. Auf der Grundlage eines modellorientierten Expertensystems laesst sich eine Modellierungsart entwickeln, die der menschlichen Vorstellungswelt weitgehend entspricht. Um auch die Vorteile der relationalen Datenbanksysteme zu nutzen, bietet sich ein Hybridsystem aus objektorientierter Modellierung und relationaler Datenbanktechnik an. Die Ueberfuehrung des objektorientierten Modells in die relationale Struktur erfolgt dabei ueber spezielle Umsetzer, die aus Daten- beziehungsweise Transaktions-Management- Systemen abgeleitet sind.

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass mit einer solchen Hybridmethode das DV-Modell der Realitaet relativ nahekommt. Die Implementierung des Modells kann auf einer dem menschlichen Denken adaequateren Ebene erfolgen.

Wenn der Anwender Auswertungen und Erweiterungen selbst vornimmt, gehen nur wenige Informationen verloren. Ausserdem ermoeglicht dies eine fast redundanzfreie Speicherung auf wenig Speicherplatz. Zudem ist die Datenkonsistenz leichter herstellbar. Auch die automatische Generierung neuer Dokumente laesst sich auf diese Weise unterstuetzen. Neuartige Recherchen fuehren darueber hinaus zu besseren Ergebnissen.

Mit Hilfe eines objektorientierten Datenmodells wird es moeglich, vernetzte Informationsdatenbanken mit unterschiedlichen Dokumentenarten (Bilder, Grafiken, Texte etc.) innerhalb unterschiedlicher Unternehmensbereiche zu nutzen, wobei sich verschiedene Datenbanksysteme koppeln lassen. Das Bindeglied bildet eine SQL-Schnittstelle. Zudem koennen Desktop-Anwendungen sowie Applikationen aus dem Konstruktionsbereich in das System eingebunden werden. Volltextrecherche und klassische SQL-Abfragen sind ueber die relationalen Datenbankprogramme ebenfalls moeglich.

Praktische Anwendungen zeigen, dass dieses auf den ersten Blick kompliziert anmutende System gerade dem wenig geuebten Benutzer entgegenkommt. Von besonderer Bedeutung ist dabei weiterhin, dass dem "Artenreichtum" der zu erfassenden Dokumente praktisch keine Grenzen gesetzt sind. Der gleichzeitige Multiuser-Zugriff auf einzelne Informationen birgt zudem einen enormen Rationalisierungseffekt.

Die Einsatzmoeglichkeiten eines solchen Systems reichen von der Dokumentation bei Produktweiterentwicklungen ueber das Erstellen detaillierter Wartungs- und Reparaturanweisungen bis zum Verfassen von Angeboten und Schulungsunterlagen. Im internen Einsatz ermoeglicht ein derartiges System die Wiederverwendung frueher erstellter Dokumente, beispielsweise in der Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung.

Der unmittelbare Einstieg in ein solches System ist selbst bei Unternehmen mit umfangreicher Altdokumentation moeglich. Die Altdokumente koennen nach der Installation und Inbetriebnahme Zug um Zug in das System uebernommen werden.

Ein Informations- und Dokumenten-Management auf der Grundlage dieses Denkmodells stellt eine ideale Plattform fuer das gesamte Unternehmen dar. Bei relativ moderaten Investitionskosten werden so die Voraussetzungen fuer Rationalisierungen nicht nur im Archiv, sondern in nahezu allen Abteilungen geschaffen. Das wirkt sich in Form von Zeit- und Kostenersparnis sowie in einem Mehr an Sicherheit aus.